Ein Motorrad wird im KTM-Werk bei Manila montiert
Seit 2017 baut KTM in einem Werk nahe der philippinischen Hauptstadt Manila Motorräder, die neuerdings bis Australien und Neuseeland geliefert werden.
DER STANDARD / Strobl

Knapp 120 Millionen Einwohner, verteilt auf 7600 Inseln. Das sind die Philippinen, 10.000 Flugkilometer von Österreich entfernt. Wobei allein in der Hauptstadtregion mehr als 20 Millionen leben. Der tägliche Stau auf der Tangente in Wien ist ein Lercherl im Vergleich zur morgendlichen und abendlichen Rushhour in Manila. Dort geht lange nichts, außer man fährt Motorrad.

Diese Erkenntnis und die Tatsache, dass die Philippinen mit Steuervorteilen in Sonderwirtschaftszonen um ausländische Unternehmen buhlen, dürfte den Motorradbauer KTM vor sechs Jahren bewogen haben, ebendort eine Produktion aufzuziehen. Ein Werk in Indien hatte KTM bereits, in China, dem weltgrößten Motorradmarkt, auch, aber noch keines in der Asean-Region. Dem südostasiatischen Staatenbund gehören neben den Philippinen auch Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Singapur, Thailand und Vietnam an.

Werk stand nach vier Monaten Bauzeit

Andre Angelo S. Santos hat schon damals vor Ort die Fäden gezogen. Er war 22 Jahre bei einer Bank tätig, bevor er den gutdotierten Job quittierte und sich ohne Vertrag in Händen auf das Abenteuer KTM einließ, wie er bei einem Lokalaugenschein des STANDARD sagt. Er heuerte die ersten Mitarbeiter an, in vier Monaten stand das Werk, einige Monate später waren schon mehrere Hundert Motorräder produziert. Dafür war die Gründung eines Joint Ventures mit einem lokalen Partner notwendig und die Erfüllung gewisser Kriterien. 40 Prozent müssen lokale Wertschöpfung sein, 60 Prozent können importiert werden.

Zwei Arbeiter bei der Qualitätskontrolle auf einem KTM-Prüfstand im Werk nahe Manila
Zwei Arbeiter bei der Endkontrolle eines eben fertiggestellten Motorrads im KTM-Werk nahe Manila.
DER STANDARD / Strobl

Das KTM-Werk steht im Laguna-Technopark nahe Manila, logistisch gut verbunden mit dem Hafen der Hauptstadt. Die Aufgabenteilung zwischen KTM, mittlerweile einer der größten Motorradhersteller der Welt, und dem lokalen Partner ist so einfach wie klar: "Wir als KTM schauen, ob die Zutaten gut sind, die hineinkommen, und ob das Produkt, das am Ende vom Band geht, die Qualität hat, die wir vorgeben", sagt Werksleiter Alexander Auer. Für den Zusammenbau selbst ist der lokale Partner verantwortlich.

Der Produktionsleiter im KTM-Werk nahe Manila, Alexander Auer.
Alexander Auer, Produktionsleiter im KTM-Motorradwerk nahe Manila.
DER STANDARD / Strobl

Wurden anfangs nur kleinere Motorräder von 200 bis 390 Kubik gebaut, gehören inzwischen auch leistungsstärkere zum Sortiment. Und dieses wird neuerdings bis nach Australien und Neuseeland verkauft. Möglich geworden ist das durch eine Iso-Zertifizierung des Werks. Nächstes Jahr will man von Manila aus auch Taiwan und Südkorea beliefern. Auch schwere Maschinen sollen künftig lokal gebaut werden. Auer: "Wir folgen der Nachfrage."

Die Vorteile einer Produktion vor Ort seien das stabile Wirtschaftswachstum von rund sechs Prozent, die gute Arbeitsmoral, der hohe Alphabetisierungsgrad von 97 Prozent und Englisch als verbindende Sprache über alle Inseln hinweg.

Mozartkugeln und Kulturschock

Andre Santos, Mann der ersten Stunde, erinnert sich an seinen "Kulturschock", als er erstmals zum Vorstellungsgespräch bei KTM nach Österreich kam. "Die Stewardess im Flugzeug hat Mozartkugeln verteilt, ich habe mir welche in die Hosentasche gesteckt, nicht ahnend, was passieren würde. Die Schokolade hat sich verflüssigt. Es war die einzige Hose, die ich hatte. Also suchte ich vor dem Meeting die Toilette auf, um den Fleck auszuwaschen. Ich stand vor zwei Türen: Damen, Herren. Ich wählte Damen, weil ich dachte, das klingt nach ‚men‘. War aber falsch, wie sich kurz darauf herausstellte. Eine Frau klopfte an die Tür und fragte, ob besetzt sei. Ich sagte, nur noch fünf Minuten, woraufhin die Frau einen Schrei ausstieß und ich mir sicher war, auf der falschen Toilette zu sein."

Seitdem wisse er um die Bedeutung von Damen und Herren, sagt Santos. Er schätze auch den österreichischen Pragmatismus bei der Lösung von Problemen, das komme der philippinischen Mentalität näher als die deutsche Art, Probleme anzugehen und abzuarbeiten.

Durchschnittsverdienst 200 Euro

Den Höchststand in der Produktion hat man im Werk Manila im Jahr 2021 mit mehr als 12.000 Einheiten erreicht. Seitdem ist die Nachfrage zurückgegangen. Statt maximal 80 Fahrzeugen, die pro Tag zusammengebaut werden könnten, sind es im Moment 20. Ein Mitarbeiter am Band verdient im Schnitt umgerechnet 200 Euro pro Monat. Produktionsleiter Auer: "Hier erwartet man, dass man Überstunden machen darf." Den einen oder anderen guten Mitarbeiter habe man nach Europa verloren. Auer: "Da konnten wir gehaltsmäßig nicht mithalten."

(Günther Strobl aus Manila, 8.11.2023)