Vor 20 Jahren wurde in Wien – aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem damaligen Bürgermeister Michael Häupl und Sir Peter Ustinov – ein Institut für die Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen gegründet. Viel wissen heute mit dem Namen Peter Ustinov nichts mehr anzufangen. Ustinov wurde vor allem als Schauspieler und Regisseur bekannt. Jedoch war er vor allem auch ein Humanist, der sich für die entsprechenden Werte einsetzte. Er war ein Pragmatiker mit Leidenschaft.

Wie ein Interviewer einmal meinte, sei er nicht eine Person, sondern bestehe aus mehreren. Das war nicht im Sinne einer schizophrenen Persönlichkeit gemeint, sondern im Sinne einer Vielfalt an Fähigkeiten und einer positiven Einstellung zu Diversität und Vielfalt in unserer Welt. Ustinov selbst hatte eine vielfältige Herkunft. Sein Vater hatte russische, deutsche, polnische, äthiopische und jüdische Vorfahren. Er selbst ist im Bauch seiner Mutter – die wiederum französische, deutsche und russische Wurzeln hatte – nach Großbritannien eingewandert.

Grenzschild Österreich
Laut Ustinov sollte Europa besser ein einzelner Spieler sein, als aus vielen Tennisbällen zu bestehen.
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Ustinov war ein Europäer aus tiefster Überzeugung. Er meinte einmal, es sei besser, wenn Europa ein einzelner Spieler wäre, als aus vielen Tennisbällen zu bestehen. Er war gleichzeitig ein Kosmopolit, der sich für die internationale Zusammenarbeit und gegen die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt und vor allem gegenüber den Kindern, die in Armut lebten, aktiv engagierte. Er sah das Leid, aber er war dennoch immer ein Optimist. Er meinte, der Pessimismus sei eine "romantische Einstellung", die er sich nicht leisten könne.

"Wir schaffen das"

Diese grundsätzlich optimistische Einstellung führt auch zur Migrationsfrage und einer ebenso optimistischen Aussage der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die meinte, "Wir schaffen das", als viele andere meinten, der Zuzug von Tausenden von Flüchtlingen – vor allem aus Syrien – würde Europa überfordern. Aber viele von dem "wir", wie zum Beispiel die Vertreter der rechten Partei AfD, wollten es gar nicht schaffen. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die Aussage "Wir schaffen das" bleibt umstritten. Sie sollte jedenfalls nicht so aufgefasst werden, als ob die Aufnahme und Integration einer größeren Anzahl von Flüchtlingen ohne besondere Anstrengungen zu schaffen sei. Migration ist immer mit besonderen Herausforderungen verbunden – sowohl für die Flüchtenden als auch für die aufnehmenden Gesellschaften. Das zu leugnen macht keinen Sinn. Wer sich vor allem im ländlichen Bereich umhört, wird bemerken, dass manchmal schon der Zuzug aus benachbarten Gemeinden – zum Beispiel durch Heirat – Probleme bereitet und die Zuziehenden viele Jahre für die Integration in die neue dörfliche Struktur benötigen.

Das gilt umso mehr für die Zuwanderung aus ferneren Ländern und unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Auch Menschen, die fliehen, die also zur Migration gezwungen werden, nehmen Teile ihrer alten Heimat mit. Man kommt nie ohne persönliche und gesellschaftliche Eigenschaften in ein neues Land. Man überschreitet die Grenzen immer mit einem Rucksack – auch wenn man nur mit seinen Kleidern fliehen kann.

Gefahr durch Rechtspopulismus

Ernstzunehmende Politiker:innen ringen in Europa – und auch in den einzelnen Ländern – um eine machbare und der Bevölkerung vermittelbare Migrationspolitik. Dabei machen ihnen die Rechtspopulist:innen durch ihre Demagogie und Angstmacherei das Leben schwer. Und einige verlassen daraufhin die Ebene der pragmatischen Suche nach Lösungen und werden selbst zu Populist:innen. Sie wollen das Problem nach "außen" abschieben und kaum mehr Asylsuchende ins Land lassen. Das ist das Rezept, das die konservative Regierung in Großbritannien verfolgt, aber auch die Lösung, die der sozialdemokratischen Regierung in Dänemark vorschwebt. In beiden Fällen sollte das afrikanische Land Ruanda das Asylverfahren durchführen und im Fall von Großbritannien dann sogar auch bei positivem Asylbescheid die Flüchtlinge dauerhaft aufnehmen.

Dabei ist eine verstärkte internationale Zusammenarbeit für eine effiziente und humane Migrationspolitik durchaus entscheidend. Ziel sollte allerdings nicht die Abwehr jeglicher Zuwanderung beziehungsweise der Gewährung von Asyl und faktischem Aufenthalt sein. Ziel einer solchen Zusammenarbeit sollte vielmehr sein, dass Menschen davon abgehalten werden, ein großes Risiko auf sich zu nehmen, wenn sie keine Chance auf ein erfolgreiches Asylverfahren haben. Eine Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern – soweit diese nicht selbst die Menschen vertreiben – und mit den Transitländern kann hier viel dazu beitragen, Leid und Verzweiflung zu vermeiden.

Strukturelle Veränderungen sind nötig

Zu viele Menschen sterben auf dem Weg nach Europa, und zu viele erreichen zwar Europa, ohne aber hier einen vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthaltstitel zu bekommen. Und zu viel Geld verschwindet in den Händen verbrecherischer Schlepper. Aus meiner Sicht spricht also nichts dagegen, verlässliche und rechtlich korrekte Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen – entweder an den EU-Außengrenzen oder auch weiter entfernt, aber immer unter Einhaltung des Völkerrechts und humaner Grundsätze.

Selbstverständlich müsste auch in Europa selbst die Zusammenarbeit besser funktionieren. Es kann nicht sein, dass sich nur einige Länder für die Aufnahme von Flüchtlingen verantwortlich fühlen. Einige verhalten sich ruhig und ducken sich, andere wieder verteufeln sogar die Aufnahme von Flüchtlingen als Gefahr für das "christliche Europa". Es sind aber dann genau diese Länder und Politiker:innen, die gleichzeitig und parallel zur demagogischen Abwehr von Flüchtlingen insgeheim auf Suche nach Arbeitskräften gehen, um ihren diesbezüglichen Bedarf zu decken. Rechtspopulistische Parteien und autoritäre Regierungen verfolgen eine Politik der Täuschung, indem sie der Öffentlichkeit vorgaukeln, die Zuwanderung zu begrenzen, aber gleichzeitig die Interessen der Wirtschaft nach ausländischen Arbeitskräften befriedigen.

Migration und Integration

Wie erwähnt, kommen Flüchtende und Migrant:innen immer mit einem Rucksack von Gewohnheiten und Einstellungen in ein fremdes Land. Die Frage ist, inwieweit diese mit den Normen und üblichen Verhaltensweisen im Aufnahmeland kompatibel sind beziehungsweise kompatibel gemacht werden können. Die jüngsten Zwischenfälle bei Demonstrationen gegen das israelische Vorgehen gegen die Terrorangriffe der Hamas zeugen von einem – angesichts der europäischen Geschichte – besonders heiklen Fall der Inkompatibilität. Antisemitismus wurde allerdings erst nach Jahrhunderten von Vorurteilen, vor allem christlichen Ursprungs, und vielen Pogromen und zuletzt dem Holocaust in Europa zum Tabu erklärt.

Allerdings hat gerade die autoritäre Rechte nach wie vor ein sehr gespaltenes Verhältnis zum Antisemitismus, der sich auch in den eigenen Reihen immer wieder zu Wort meldet. Und da der Antisemitismus einen besonderen Fall von Vorurteilen und Intoleranz darstellt, ist die autoritäre Rechte am wenigsten dazu berufen, Ideen zur Verbreitung von Toleranz, Akzeptanz und Vielfalt zu entwickeln. Gerade sie ist es, die einer Integration in eine Gesellschaft aufgrund europäischer Werte und Erinnerungen im Wege stehen. Integration auf der Basis dieser Werte und einer kritischen Erinnerungskultur muss also immer mit einer Auseinandersetzung mit den autoritären Rechtspopulist:innen Hand in Hand gehen.

Die Auseinandersetzungen mit vergangener Gewalt und Verbrechen in unseren und durch unsere europäischen Gesellschaften sind noch lange nicht abgeschlossen. Integration der Zuwanderer in unsere Gesellschaften bedeutet und erfordert dabei auch zweierlei. Die Zuwanderer müssen – vor allem in unseren Schulen – aktiv in diese Auseinandersetzungen einbezogen werden. Anderseits aber sollten auch die Konflikte in den Regionen, aus denen Zuwanderer kommen, Teil der einheimischen Auseinandersetzung werden. Das gilt insbesondere für den Nahostkonflikt, der ohnedies eng mit der europäischen und gerade auch österreichischen Geschichte verbunden ist. Israel ist vor allem aufgrund der schändlichen Verfolgungen in Europa ein Zufluchtsort für viele Jüd:innen geworden. Aber auch viele Konflikte in ehemaligen Kolonien sind Teil unserer europäischen Geschichte. Ein Minimum an gemeinsamem Erinnern ist unabdingbar für die Integration der Migrant:innen.

Von Peter Ustinov lernen

Im Zuge dieser umfassenden Erinnerungskultur ist der Fanatismus, der oft auf Vorurteilen basiert und zu externen Handlungen führt, durch einen Pragmatismus, gepaart mit Leidenschaft, zu ersetzen – so wie ihn Peter Ustinov praktizierte. Leidenschaft, Mitleiden und Empathie sind wichtige menschliche Eigenschaften, wenn sie nicht zu Hass und Rache führen. Denn die zwei letzteren Phänomene verzerren den Blick auf die anderen Menschen und widersprechen einer weiteren Eigenschaft, die Peter Ustinov auszeichnet: ein Schuss von Selbstironie. Auch das würde vielen guttun und dem friedlichen Zusammenleben helfen. Selbstironie bedeutet vor allem, immer auch die eigenen Positionen zu hinterfragen.

Jedenfalls, solange es Fluchtursachen gibt – das betrifft insbesondere den Klimawandel – und solange Europa einen Arbeitskräftebedarf hat, wird es Zuwanderung nach Europa geben. Und ich fürchte, so lange wird es Auseinandersetzungen mit jenen Kräften geben, die den Klimawandel leugnen und jegliche Zuwanderung als Gefahr sehen. Diese Auseinandersetzung ist eine ideologische, aber sie sollte parallel zu einer pragmatischen und rationalen Einwanderungspolitik geführt werden. Und ein offener und ehrlicher Dialog muss sowohl mit der "einheimischen" Bevölkerung als auch mit den Zuwanderern geführt werden: in den Medien, in den Schulen, am Arbeitsplatz etc. Das bleibt uns nicht erspart.

Klar ist, die Einwanderung hat unser Europa und die einzelnen Mitgliedsländer verändert und wird das auch weiter tun. Die Frage ist allerdings, wie das zum Nutzen aller gestaltet werden kann. Auch wenn Peter Ustinov ein besonderer Fall eines Migranten war, so kann man von seiner Kombination aus Pragmatismus und Leidenschaft für die Menschenrechte, ein gemeinsames Europa und eine globale Zusammenarbeit viel lernen.

Peter Ustinov hat sich vor allem auch für die Rechte der Kinder in Afrika engagiert. Unser Nachbarkontinent Afrika ist der "jüngste" Kontinent geworden – 2050 werden 35 Prozent der Weltbevölkerung in Afrika beheimatet sein, aber nur 5,1 Prozent werden in Europa leben. Das Durchschnittsalter in Afrika ist bereits jetzt 19 Jahre. Soweit die Afrikaner:innen auswandern, wandern sie großteils in die Nachbarländer aus. Aber wie wir bereits sehen, versuchen Menschen aus bestimmten Bevölkerungsgruppen und Regionen auch nach Europa auszuwandern. Die Nähe Afrikas zu Europa ist also ein Wanderungsfaktor. Das alles sollte allerdings nicht Angst machen und zur Idee einer unbezwingbaren Festung Europa führen. Es sollte vielmehr zu einer starken und auf Augenhöhe funktionierenden Zusammenarbeit zwischen den Kontinenten beitragen. All das hat Peter Ustinov vor Augen gehabt. Leider sind wir noch nicht viel weitergekommen. (Hannes Swoboda, 14.11.2023)