Es ist in Sachen Asyl wohl die Traumvorstellung für viele rechte und konservative Politiker und langsam auch für Akteure anderer Couleur: dass man Asylverfahren von der EU in Drittstaaten auslagert, nach dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn". Die Idee ist nicht neu, nun scheint sie tatsächlich Realität zu werden.

Ein Schiff der italienischen Küstenwache bringt Migranten nach Sizilien.
Ein Schiff der italienischen Küstenwache bringt Migranten nach Sizilien. Künftig sollen sie in Albanien unterkommen.
AP/Salvatore Cavalli

In Europa – in Australien wird das Konzept schon länger umgesetzt – hat sich 2022 der britische Premier Boris Johnson erstmals ernsthaft daran versucht. Allerdings verhinderte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof Abschiebungen nach Ruanda aufgrund rechtlicher Bedenken. Nun wartet man auf ein neues Urteil britischer Gerichte.

Weitere Länder interessiert

Dänemark und Österreich sind auch sehr an der Idee interessiert, und nun will auch Deutschland derlei prüfen. Einen Schritt weiter ist man in Italien, das am Montag eine Abmachung mit Albanien verkündete: Dort will man zwei Asylzentren bauen und betreiben.

Darin sollen ausschließlich Migranten und Migrantinnen gebracht werden, die im Mittelmeer von der italienischen Küstenwache oder von Schiffen der Finanzpolizei gerettet werden. Die Kosten für die Lager, die im März den Betrieb aufnehmen sollen, übernimmt Italien. Und im Gegensatz zum britischen Plan soll Italien für Einreise, Unterbringung und Asylverfahren verantwortlich sein – nur eben in Albanien.

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Zwar gab es in beiden Ländern sofort Widerstand, trotzdem hat das Land mit dem Deal zunächst einmal eine große Hürde gemeistert: Man hat einen Drittstaat gefunden, der sich dazu bereit erklärt, Asyleinrichtungen auf seinem Territorium zuzulassen. Daran sind frühere Initiativen gescheitert: Kein Staat wollte Aufnahmezentren auf seinem Gebiet tolerieren, die zu Massenlagern mit schlechten Bedingungen werden könnten. Denn was passiert mit jenen Menschen, die einen negativen Asylbescheid erhalten? Abschiebungen sind kaum möglich, weil die Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen. Albanien nimmt wohl in Kauf, dass diese Menschen weiter im Land bleiben könnten.

Theoretisch möglich

Die andere Hürde ist rechtlicher Natur: Ist es mit EU-Recht und den Menschenrechten vereinbar, Asylverfahren outzusourcen? "Theoretisch ist das möglich", sagt Adel-Naim Reyhani zum STANDARD, "sofern die Menschen aus internationalen Gewässern nach Albanien gebracht werden." Sollten die Menschen italienische Gewässer bzw. italienisches Territorium erreichen, so der Asylrechtsexperte des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Grund- und Menschenrechte in Wien, würde die EU-Asylverfahrensrichtlinie gelten. Und die besagt unter anderem, dass Menschen nur in einen Drittstaat gebracht werden können, zu dem sie eine "Verbindung" haben – was bei Albanien in der Regel nicht der Fall ist.

Diese Hürde lässt sich wohl nehmen. Reyhani sieht für eine rechtskonforme Umsetzung aber auch andere beträchtliche Schwierigkeiten. So muss bei den Migrantinnen und Migranten eine Einzelfallprüfung nach dem Non-Refoulement-Prinzip durchgeführt werden, bevor sie nach Albanien gebracht werden – dabei muss ausgeschlossen werden, dass ihnen im Zielland schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. "Es ist zu befürchten, dass ein adäquates rechtsstaatliches Verfahren auf hoher See nicht gewährleistet sein wird", sagt Reyhani.

Hinzu kommt: Italien hat angekündigt, Schwangere, Minderjährige und besonders vulnerable Personen nicht nach Albanien zu schicken. Auch hier die Frage: Wie soll auf hoher See auf die Schnelle das Alter oder eine besondere Vulnerabilität festgestellt werden?

Fragen über Fragen

Bei der Unterbringung in Albanien hat Reyhani ebenfalls noch offene rechtliche Fragen: Werden die Aufnahmebedingungen in den Asylzentren, der Zugang zu Rechtsschutz während des Asylverfahrens oder die geplante Einschränkung der Bewegungsfreiheit oder der Freiheitsentzug menschenrechtskonform sein? Werden unabhängige Beobachter, NGOs oder Medien Zugang erhalten?

Fragen, die sich offenbar auch die EU-Kommission stellt, weshalb sie von Italien weitere Informationen erbeten hat. Kopenhagen, Wien und Berlin werden wohl genau hinschauen, was dabei herauskommt. (Kim Son Hoang, 9.11.2023)