Bei den wichtigen Lohnverhandlungen der Metaller stehen die Zeichen auf verschärfte Konfrontation. Nachdem es der Regierung nicht gelungen ist, die Inflation so wie in anderen EU-Ländern weiter zu drücken, müssen die Sozialpartner nun über die Abgeltung einer Inflationsrate von 9,6 Prozent über die Periode der vergangenen zwölf Monate verhandeln. Für beide Seiten eine knifflige Situation: Wenn die Arbeitgeber den vollen Inflationsausgleich gewähren und vielleicht sogar noch etwas mehr, kostet sie das viel Geld. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wiederum bleiben auf der Teuerung sitzen, wenn sie einen Abschluss unter der Inflationsrate akzeptieren.

Nach den Warnstreiks diese Woche könnte in der kommenden Woche ein unbefristeter Streik starten. Als möglicher Ausweg aus der verfahrenen Situation tauchen seit Wochen diverse Ideen auf, die vor allem in Richtung Gewerkschaften appellieren, doch etwas Zurückhaltung zu üben. Aber wäre das vernünftig? Aus Sicht der Gewerkschaften jedenfalls nicht. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat etwa empfohlen, dass Lohnerhöhungen künftig gleich für zwei Jahre gelten sollten. Wenn allerdings nach einem Jahr nicht automatisch die Löhne an die Inflation angepasst werden, ist das aus Sicht der Arbeitnehmer ein schlechter Deal.

Eine öffentliche Betriebsversammlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Metalltechnischen Industrie (FMTI) zu Wochenbeginn in Wien.
APA/ROLAND SCHLAGER

Zweijährige Kollektivverträge dieser Art gibt es schon, etwa bei den Metallern in Deutschland. Dort sind die Gehälter im Juni 2023 um 5,2 Prozent gestiegen und werden im Mai 2024 noch einmal um 3,3 Prozent zulegen. Das sieht aktuell nach einem Verlust für die Arbeitnehmer aus, weil die Inflation in Deutschland zwar gesunken ist, aber immer noch deutlich über den 3,3 Prozent seit Juni liegt (bei etwas über fünf Prozent).

Ein anderer Vorschlag lautet, die Gewerkschaft soll gar nicht so viel verlangen, weil Arbeitnehmer ja schon kompensiert wurden: in Form der Abschaffung der kalten Progression. Die schleichenden Steuererhöhungen wurden von der Regierung tatsächlich abgeschafft und tragen damit dazu bei, Kaufkraft zu erhalten.

Streit über Einmalzahlungen

Aber erstens wurden Arbeitnehmer für Kaufkraftverluste auch bisher schon kompensiert (wenn auch zeitverzögert über Steuersenkungen). Vor allem aber muss das Verhältnis berücksichtigt werden: 3,6 Milliarden Euro bringt die Entlastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Jahr. Die bezahlten Arbeitnehmerentgelte belaufen sich in Österreich auf 217 Milliarden Euro – um die rollierende Inflation abzudecken, wären also 21 Milliarden Euro nötig. Dass also die Steuern auf einen Teil der gezahlten höheren Löhne geringer ausfallen als in der Vergangenheit, spielt angesichts der Summen, um die es geht, nur eine untergeordnete Rolle.

Eine andere Idee, die stark von den Arbeitgebern propagiert wird und auch vom Forschungsinstitut Wifo Unterstützung erfährt, lautet, dass die Gewerkschaft Einmalzahlungen akzeptieren soll. Aus Sicht der Arbeitnehmer ist allerdings auch das ein schlechter Deal. Eine Einmalzahlung bedeutet, dass das Gehalt in den Folgejahren weniger steigt, weil Gehaltserhöhungen immer auf die Ist- oder Kollektivvertragslöhne draufgeschlagen werden und Einmalzahlungen dabei nicht berücksichtigt werden. Ein Beispiel, angelehnt an eine Rechnung des gewerkschaftsnahen Momentum-Instituts: Ein Arbeitnehmer verdient 1.000 und bekommt zehn Prozent Lohnsteigerung. Nach einem Jahr kommen noch einmal zehn Prozent drauf, nun verdient der Beschäftigte 1.210 Euro. Gibt es stattdessen im ersten Jahr 100 Euro Einmalzahlung und dann im Jahr darauf zehn Prozent Lohnplus, steigt das Gehalt nur auf 1.100 Euro. Monatlich ist das eine Differenz von 110 Euro. Im Jahr wären das 1.540 Euro Verlust für den Beschäftigten.

Ihr gutes Recht

Nun sind Lohnverhandlungen ein freies Ringen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In einer Marktwirtschaft kann jede Seite darauf schauen, das beste Ergebnis für sich herauszuholen. Gelingt es also Arbeitgebern in den Verhandlungen, die Gewerkschaften zu drücken, ist das ihr gutes Recht, und ein fähiger Industriekapitän wird genau das tun. Bisher haben die Arbeitgeber zwei Vorschläge vorgelegt: einmal eine Lohnerhöhung über zwei Jahre nach deutschem Vorbild plus eine Einmalzahlung. Die zweite Idee sieht ein Lohnplus von 2,5 Prozent vor, dazu 100 Euro als Fixbetrag in Form einer Lohnsteigerung sowie 1.050 Euro Einmalzahlung.

Zugleich ist es das gute Recht einer Gewerkschaft, Ideen abzulehnen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer offenkundig Geld kosten werden im Vergleich zu möglichen Alternativen, also der vollen Inflationsabgeltung plus X.

Volkswirtschaftlich haben ja beide Seiten plausible Argumente. Die Gewerkschaft sagt, Beschäftigte tragen die Inflation seit einem Jahr mit, während Unternehmen schon von Preissteigerungen profitiert haben. Die Industrie dagegen argumentiert, dass die Produktion heuer rückläufig ist und um fast drei Prozent schrumpfen dürfte. Nachdem sie davor siebzehn Prozent zugelegt hat, sagt die Gewerkschaft, die darauf verweist, dass Kapitalgesellschaften, die für das Jahr 2022 Gewinne ausgeschüttet haben, heuer keine Zurückhaltung bei Dividenden zeigten. Das werde sich ändern, sagen Arbeitgeber, angesichts der schwächeren Konjunktur und so weiter.

Bleibt abzuwarten, wer sich durchsetzt. Aber dass jede Seite auf ihre Forderungen pocht, ist ihr gutes Recht und alles andere als unvernünftig. So läuft das nun einmal in einer Marktwirtschaft. (András Szigetvari, 9.11.2023)