"Traurig, aber wahr". Elisabeth Kais beendet fast jedes Kapitel ihres Lebens mit diesem Satz. Wenn sie vom Vater erzählt, der die Familie für eine andere Frau verlassen hat, vom Krieg und von Stalin, vom harten Leben in den Waldkarpaten. Und vom Aussterben der Österreicher und Österreicherinnen im Theresien-Tal, das seinen Namen der berühmten "Kaiserin" verdankt. Es liegt im westlichsten Teil der Ukraine, im Oblast Transkarpatien, und heißt heute Tereswa-Tal. Unweit von hier sollen einst habsburgische Eisenbahningenieure den geodätischen Mittelpunkt Europas definiert haben.

Das "österreichische" Dorf Deutsch Mokra / Nimezka Mokra in den frühen Neunzigerjahren.
Hermine Kürner

In den Häusern der Altösterreicher

Als die Russen im Februar 2022 in der Ukraine einmarschierten, schlugen auch in Transkarpatien Raketen ein. Die große Entfernung vom kriegerischen Wahnsinn im Osten des Landes ließ trotzdem viele Binnenflüchtlinge hier Schutz suchen. Einige von ihnen wohnen in Häusern, die einst von Familien mit dem Namen Plakinger, Holzberger oder Zeppezauer erbaut wurden. Familiennamen, wie sie bis heute typisch für das Salzkammergut sind. Von dort sind die Vorfahren der Theresientaler "Teitschn" gekommen, die sich vor über 200 Jahren im damaligen östlichen Oberungarn angesiedelt haben.

Auch Elisabeth Kais' Mutter war eine geborene Plakinger. Elisabeth, Jahrgang 1933, wollte nie weg aus dem Tereswa-Tal, und doch ist sie noch im hohen Alter in Ebensee gelandet, wo ein Teil ihrer Familie auf sie gewartet hat. Wo die Enkelin Viktoria, die die ersten Jahre ihres Lebens noch in der Ukraine verbracht hat, mit ihrem Mann ein erfolgreiches IT-Unternehmen führt. Sie setzen sich seit Jahren für die Ukraine ein, auch weit über die engere Heimat Transkarpatien hinaus. Sie sammeln mit ihrem Verein Hilfsgüter für Alte und für Waisenhäuser, aber auch Schutzausrüstung für Feuerwehren. Die Unterstützung in Österreich ist groß.

Feuerwehreinsatz bei einem Brand in einem Privathaus in Dnipro. Die Ausrüstung stammt auch aus österreichischen Spenden.
Pressezentrum der Hauptdirektion der Feuerwehren, Ukraine

Die Ansiedlung von Salzkammergütlern in Transkarpatien

Es sind mitunter die historischen Bezüge, die es ermöglichen, Brücken aus Österreich in die Ukraine zu schlagen. Bezüge, die mit dem Salz in den Alpen und in den Karpaten zu tun haben. Denn nicht nur im "Kammergut" war das "weiße Gold" zu finden und gutes Geld damit zu verdienen. Auch entlang der Theiß gab es bedeutende Salzvorkommen. Um einen effizienten Abbau zu gewährleisten, waren Unmengen an Holz von Nöten. Sie wurden für die Stützkonstruktionen der Stollen und den Transport des gewonnenen Salz über die Theiß und die Donau auf Flößen verwendet.

Allerdings herrschte Fachkräftemangel in der Region. Darum bat die ungarische Hofkammer in Preßburg, dem heutigen Bratislava, Maria Theresia darum, Waldarbeiter aus dem Salzkammergut zu schicken. Nach zähen Verhandlungen, die mit einer Reihe von Privilegien für die potenziellen Arbeitsmigranten endeten, konnten circa 100 katholische Holzarbeiterfamilien aus Ebensee, Ischl und Goisern überzeugt werden, in die Waldkarpaten nördlich der Theiß zu ziehen. So entstand im Jahr 1775 die Siedlung Deutsch Mokra, auf Ukrainisch Nimezka Mokra. Diese wuchs derartig schnell, dass im Jahr 1815 ein paar Kilometer weiter die Tochterkolonie Königsfeld (Ust-Tschorna) gegründet wurde.

Die Theresientaler und Theresientalerinnen waren allerdings nicht die einzigen deutschsprachigen Siedler und Siedlerinnen in Transkarpatien. Auch die Grafen von Schönborn riefen Arbeiter auf ihre umfassenden Besitzungen, aus Franken und aus dem Böhmerwald. Und der auf altösterreichische Varianten spezialisierte Dialektforscher Wilfried Schabus hat sogar ein Dorf mit Waldviertlern und Waldviertlerinnen identifiziert.

Hinter dem Eisernen Vorhang

Mit dem Ende der Donaumonarchie fiel Transkarpatien an die neu gegründete Tschechoslowakei. Nach wechselnder Zugehörigkeit wurde die Region 1945 Teil der ukrainischen Sowjetrepublik. Deutsch Mokra hieß nun Komsomolsk, benannt nach der Jugendorganisation der KPdSU.

Viele "Volksdeutsche", darunter auch die Salzkammergütler, waren noch in den letzten Kriegsmonaten zur Zwangsarbeit nach Thüringen verbracht worden. Als einige von ihnen 1946 in ihr Tal zurückkehrten, wurden sie auf Geheiß Stalins umgehend nach Sibirien verschleppt, um dort erneut Frondienst zu leisten, als Kollektivstrafe, und um die heimatlichen Wurzeln zu kappen.

Der halbe Kontinent verschwand hinter dem Eisernen Vorhang, und mit ihm auch Transkarpatien. Während sich die Holzwirtschaft in den Waldkarpaten unter planwirtschaftlichen Bedingungen verhältnismäßig gut entwickelte, kehrte nur ein Teil der nach Sibirien verschleppten Nachfahren der Salzkammergütler ins Theresiental zurück. Viele konnten in die DDR und später auch in die BRD auswandern oder blieben in Sibirien, wo sie sich meist assimilierten.

Die Wiederentdeckung der "Landsleute"

Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Gründung der Ukraine als unabhängiger Staat wurde der durch den Eisernen Vorhang verschleierte Blick auf Transkarpatien wieder klarer. Landsleute in der fernen Ukraine? Konservierte Kultur, eine Sprachinsel! Wie passend, dass die "Teitschn" dort an einer zweiten, inoffiziellen Zeitrechnung festgehalten haben, die sich statt an der offiziellen Kiewer Zeit an Mitteleuropa orientierte. Sie nannten sie "inzrige Zeit" – unsere Zeit.

Wie sich die Salzkammergütler aus Oberösterreich und ihre ausgewanderten Vorfahren gegenseitig wiederentdeckten, zeigt anschaulich die Sendung "Ferne Landsleut", ein "Österreichbild" des ORF Oberösterreich aus dem Jahr 1992: Zeppezauers grüßen Zeppezauers, Reisenbichlers treffen Reisenbichlers, die Oberösterreicher bringen Hilfsgüter und Kaiser-Bier. Im Königsfelder Wirtshaus "Edelweiß" singen die ukrainischen Salzkammergütler neue Lieder von der alten Heimat. Selbst die "schönen Gamslein" in Tirol werden thematisiert.

Auswanderung der Altösterreicher nach Deutschland

Eine Mischung aus postsowjetischen Phantomschmerzen und Hoffnung auf einen westorientierten Neubeginn wird sichtbar. Eine frische Liebe zur österreichischen "Urheimat", aber auch die Verbundenheit mit der Karpatenlandschaft, die der oberösterreichischen zum Verwechseln ähnlich ist. Sie wollen bleiben, die deutsche Sprache vor dem Verschwinden retten, allen Zukunftsängsten zum Trotz: "Für sie ist dieses Karpatental ein Stück Altösterreich."

Ausgewandert sind die allermeisten Theresientaler und Theresientalerinnen aber trotzdem. Überall hin, aber vor allem nach Deutschland, wo ihnen aufgrund ihrer deutschen "Nationalität" alle Arbeitsjahre für die Pension angerechnet wurden. Österreich "kann und will" sich das nicht leisten, meinte dazu der Reporter im "Österreichbild" von 1992. Woher er das "Kann" genommen hat, bleibt offen.

Mit dem Hubschrauber über die Waldkarpaten

Einige sind dann trotzdem in der "Urheimat" an der Traun gelandet. Und manche wollten nun ihre alten Dörfer in der Ukraine besuchen, Familienmitglieder finden. Hilfe bekamen sie dabei von Hermi Kürner, die mit ihrem Mann ein Reiseunternehmen in Wels betrieb und ab den frühen Neunzigern regelmäßig mit einem großen Bus Richtung Transkarpatien aufbrach. Bald brachte sie nicht nur Menschen, sondern auch Hilfsgüter in die Region, oft in Zusammenarbeit mit der oberösterreichischen Landlerhilfe, die ihr Wirkungsgebiet von Rumänien auf die Ukraine ausweitete.

Mit angemieteten Hubschraubern flogen sie zu den österreichischen Dörfern in den Waldkarpaten. Hermi kann einiges berichten aus jener Zeit, auch über Schneestürme und menschliche Enttäuschung. Aber vor allem über viele gelungene Aktionen, über Freundschaften, die sie bis heute mit der Region und ihren Menschen verbinden.

Hilfsaktion nach dem großen Hochwasser im Tereswa-Tal 1998.
Hermine Kürner

Die Realität des russischen Angriffskriegs

So hat sie einst auch Alisa kennengelernt, eine Germanistin aus Transkarpatien, die "in ihrem früheren Leben" Reiseleiterin für österreichische Gäste in Transkarpatien war. Sie hat in Österreich studiert, liebt dieses Land. Diese Zuneigung wird im Moment jedoch auf eine harte Probe gestellt: Viele ihrer Freunde und Bekannten in Österreich scheinen nicht zu begreifen, was in der Ukraine vor sich geht. Pflegen alte Bilder, sehen den Krieg nur als vorübergehende Störung. Meinen es nur gut mit ihrem "Ja, aber".

Seit der russischen Invasion vor fast zwei Jahren kümmert sich Alisa vor allem um Hilfsbedürftige in ihrer Heimatregion, Einheimische wie Binnenflüchtlinge. Auch wenn momentan keine Raketen bis hierher finden, ist Transkarpatien vom Krieg betroffen. Umso wichtiger für Alisa, dass die Dörfer hier intakt bleiben. Darum vermittelt sie auch Patenschaften für Nutztiere und macht mit Kindern Projekte über den Wert von Lebensmitteln.

Auch sie hat viel zu erzählen: von dem Arzt aus Mariupol, der sich mit einem entwurzelten Weinstock vergleicht, keinen Boden unter seinen Füßen findet. Oder vom kleinen Artem, der während eines Ausflugs nach Wien eine Feder findet, die er wie einen Schatz hütet. Denn die habe ihm sein gefallener Vater geschickt, vom Himmel aus, als Zeichen, dass alles in Ordnung sei.

"Mit eigenen Augen" (deutschsprachiges Video über Alisa Smyrnas Projekte in Transkarpatien)

Auch Alisas Partner war an der Front. Er hatte sich schon 2014 als Freiwilliger gemeldet, 2022 erneut. Er konnte nicht anders. Vor einigen Tagen hat er Alisa ein Bild geschickt, von einem Projektil, das in seiner Kalaschnikow steckt. Nur ein Stück Metall zwischen Leben und Tod. Nun kommt er nach Hause. Ihre Tochter hatte Alisa nach der Invasion zur Großmutter nach Italien in Sicherheit gebracht. Dort aber hat die Kleine Alpträume bekommen, wurde von massiven Verlustängsten geplant. Nun sind die beiden wieder zusammen. Niemals wieder getrennt werden, auch nicht vom Krieg.

Die Welt dreht sich weiter

Elisabeth Kais scheint, umgeben von der Familie, zufrieden zu sein in Ebensee. Im 2020 fertigstellten Dokumentarfilm "Die letzten Österreicher" von Lukas Pitscheider kann man zusehen, wie sie ihr Haus in Königsfeld verlässt, wie aus den Zimmern ein Lager für Ersatzteile wird, wie die neuen Eigentümer darüber nachdenken, das Gebäude abzureißen. "Traurig, aber wahr" wird Elisabeth Kais' Kommentar im Film dazu lauten.

Elisabeth Kais beim Auszug aus ihrem Haus in Königsfeld. Szene aus dem Film "Die letzten Österreicher“.
Lukaspit Filmproduktion

Auf der Leinwand wird deutlich, dass sich diese Welt auch ohne die "Teitschn" weiterdrehen wird, selbst im abgelegenen Tereswa-Tal, das letztlich nie eine Insel war, weder eine der Seligen noch eine "Sprachinsel". Die Mundart und Kultur aus dem Salzkammergut hat auch hier regelmäßig ihre Updates bekommen: Vom Ungarischen der Donaumonarchie, vom importierten Herrschaftsrussisch, von den alteingesessenen Varianten des Ukrainischen – und vom Hochdeutschen, wie es aus dem Fernseher tönt und wie es die Heimaturlauber und Heimaturlauberinnen aus dem Westen mitbringen.

Trailer zum Film "Die letzten Österreicher" (Ö/UA 2020)

Schwindende Eindeutigkeiten

So schwinden auf den zweiten Blick die Eindeutigkeiten: Die Geschichte mit dem Mittelpunkt Europas stellt sich rasch als Überinterpretation einer alten Inschrift heraus. Elisabeth Kais, Nachfahrin und nun auch Vorfahrin katholischer Salzkammergütler, macht ihr Kreuz, wohl unbewusst, auf die orthodoxe Art. Vielleicht weil sie daheim gern "zu den Ukrainern" beten ging. Vielleicht weil ihr Vater Ukrainer war. Und ihr erstes Büchlein, das sie von der Mutter als Kind geschenkt bekommen hat und bis heute so sehr liebt, hat sie auf Ungarisch gelesen. Es handelt vom Heiligen Antonius, der ihr so viel geholfen hat in ihrem Leben. Der Schutzpatron der Bergleute, der Reisenden und der Sozialarbeiter soll auch in Kriegsnot helfen. Und beim Wiederfinden von Verlorenem. (Florian Kührer-Wielach, 15.11.2023)