Michael Reimon, Abgeordneter der Grünen, richtete auch seiner Klubchefin Sigi Maurer über Facebook aus, warum er für eine Kandidatur bei der EU-Wahl nun doch nicht zur Verfügung stehen möchte.
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Bei den Grünen rumpelt es gewaltig. Die überraschende Absage des Bundeskongresses, der für den 16. Dezember angesetzt war, sorgt intern für Unverständnis und Ärger. Beim Bundeskongress hätte unter anderem die Kandidatenliste für die EU-Wahl im Juni 2024 bestimmt werden sollen. Die Grünen haben ihren Kongress jetzt auf kommenden Februar verschoben. Als Grund wird die Absage von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler kolportiert, die als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl hätte antreten sollen, jetzt aber nicht mehr will. Eine Nachfolgerin ist noch nicht gefunden. Im Gespräch ist auch Justizministerin Alma Zadić, die sich aber ebenfalls sträuben soll. Daher die Verschiebung des Kongresses. Die Parteispitze hat keine geeignete Kandidatin.

"Aufgewühlte Stimmung"

Am Donnerstag sagte ein weiterer Kandidat, der als fix gesetzt galt, ab: Michel Reimon, derzeit Abgeordneter im Nationalrat, verkündete über Facebook seinen Ärger über die Verschiebung des Kongresses und zog seine angekündigte Kandidatur zurück – oder stellte sie zumindest infrage. Er könne die offizielle Begründung der Partei nicht nachvollziehen, erklärte Reimon.

Tags zuvor hatte Bundesgeschäftsführerin Angela Stoytchev die Verschiebung des Kongresses in den Februar mit den aktuellen Ereignissen im Nahen Osten begründet. Man wolle den Wahlkampf "in einer besonders aufgewühlten Stimmung nicht künstlich in die Länge ziehen". Die Polarisierung sei auch in Österreich spürbar, "als Grüne haben wir daher beschlossen, dass es besser ist, nicht frühzeitig, kurz vor Weihnachten, in den Europawahlkampf zu starten".

Reimon äußerte zwar Verständnis dafür, angesichts der aktuellen Ereignisse kurz innezuhalten, aber eben nur kurz. Gerade jetzt seien die Grünen gefordert, laut und deutlich Position zu beziehen und ihre Argumente auszubreiten. Reimon: ",Nie wieder‘ ist eben genau jetzt." Dass die Grünen die aktuellen Entwicklungen nicht thematisieren wollen, "ist doch ein markanter Unterschied zu meiner politischen Einschätzung (...) Eigentlich genau das Gegenteil meiner Bewerbung. Ich wollte Aufmerksamkeit auf genau diese Zusammenhänge lenken."

"Wenn die Erdöl- und Erdgas-Regime von Russland bis zum Iran unsere Welt mit Terror, Krieg und Unterdrückung, mit Desinformation und Hetze, mit Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus überziehen, dann sollten wir Grüne das ins Zentrum unserer Außen- und Europapolitik rücken, davon bin ich überzeugt", argumentiert Reimon. Unter der neuen strategischen Vorgabe der Partei sei er einfach kein geeigneter Kandidat. "Unter dieser Prämisse sollte ich nicht antreten. Das finde ich schade."

Leonore Gewessler will nicht als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl antreten. Sie ist als nachfolgerin von Werner Kogler als parteichefin im Gespräch, da wäre Brüssel ohnedies ein Umweg.
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Mit der Verschiebung des Kongresses haben die Grünen zumindest Zeit gewonnen, neue Kandidatinnen und Kandidaten für die EU-Wahl zu suchen – und zu überreden. Warum Gewessler aus der zentralen Position im Klimaschutzministerium ins EU-Parlament hätte wechseln sollen, war ohnedies schwer nachvollziehbar. Und wäre sie nur Spitzenkandidatin gewesen, ohne das Mandat dann anzunehmen, wäre das den Grünen wohl negativ ausgelegt worden. Eine derartige Trickserei unmittelbar vor der Nationalratswahl hätte die Glaubwürdigkeit der Grünen untergraben. Gleiches gilt für Alma Zadić: Warum sollte eine erfolgreiche Justizministerin diese Position aufgeben, um dann in Brüssel unterzutauchen? Gewessler ist zudem als Nachfolgerin von Parteichef Werner Kogler im Gespräch. Der Umweg über das EU-Parlament erscheint da nicht logisch, eher hinderlich.

Dass das EU-Parlament, das abwechselnd in Brüssel und Straßburg tagt, ein Ort ist, an dem man sich im Heimatland politisch profilieren könne, darf infrage gestellt werden. Die derzeitige Delegationsleiterin der Grünen, Monika Vana, ist in Österreich weitgehend unbekannt und im öffentlichen Diskurs nicht präsent. Das gilt auch für die Abgeordneten Thomas Waitz und Sarah Wiener. Das spricht auch dagegen, dass Vana selbst den ersten Listenplatz einnimmt, dazu bräuchte es eine Persönlichkeit mit mehr Reichweite. Die müssen die Grünen nun suchen. Und überreden. (Michael Völker, 9.11.2023)