Klassik
Sir Antonio Pappano im Rausch der Noten.
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Wien – Gefühlterweise ewige, da über mehrere Jahrzehnte dauernde Beziehungen zwischen Orchester und Dirigent sind in der ersten Klassikliga selten. Rekordhalter dürfte Herbert von Karajan sein, der die Berliner Philharmoniker 34 Jahre lang dominierte. Ganze 17 Lenze währte immerhin Sergiu Celibidaches Arbeit bei den Münchner Philharmonikern, die zu beispiellos zeitlupenhaften Versionen des symphonischen Werkes von Anton Bruckner führte.

Ein aktueller Mann der Kontinuität, der mit historischen Größen mithalten kann, ist Dirigent Antonio Pappano. Seit 21 Jahren ist er Musikchef am Royal Opera House in Covent Garden. Heuer beendet er seine Tätigkeit als Chefdirigent des Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Nach 18 Jahren.

Die Unvollendeten

Im Wiener Musikverein gibt sich das Orchester also mit einem alten Bekannten dem rätselhaften Charme des Unvollendeten hin. Wie Mozarts Requiem, Puccinis Turandot und Bergs Lulu wurden auch Schuberts achte Symphonie und Bruckners Neunte trotz ihrer Fragmentiertheit zum Teil des Kernrepertoires. Nun, in der Version der italienischen Gäste kam im Musikverein zumindest bei Schubert nicht wirklich der Wunsch nach einem dritten und vierten Satz auf.

Es war vor allem der schmerzlich harte Klang bei den Tutti-Stellen, der ernüchterte. Damit klaffte auch in Pappanos Lesart ein Widerspruch: Die melodischen Linien schien er eher süßlich-gedehnt darzustellen, um die Passagen dann allerdings oft in harmonisch geprägter Stellen trocken und spröde enden zu lassen.

Entfaltung der Klangmassen

Nach Schubert aber ein verwandeltes, nunmehr groß besetztes Orchester: Bei Bruckners neunter Symphonie rundete sich der Klang, alles kam kontrolliert breitflächig und imposant zum Vorschein. Pappano ist in seinem Ansatz – wie die meisten – weit entfernt von der zeitlichen Bruckner-Gedehntheit eines Celibidache.

Er setzte auf Kompaktheit, die besonders dem impulsiven Scherzo zugutekam. Die Entfaltung der Klangmassen wirkte maßvoll; zugleich leuchtete jenes Spezielle, Prunkvolle samt Details nobel auf. Die Summe all dessen, was den Charakter dieser symphonischen Kathedrale prägt, war zugegen – unvollendet wirkte dabei eigentlich gar nichts mehr. (Ljubisa Tosic, 10.11.2023)