Stets an der Seite des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan: der Chef der einflussreichen Religionsbehörde in Ankara, Ali Erbaş (rechts).
REUTERS/Murad Sezer

Ali Erbaş ist der mächtigste islamische Geistliche in der Türkei. Er ist der Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet und gibt als die oberste Autorität die theologische und ideologische Linie für die Imame in seinem Land vor. Erbaş ist damit eine zentrale Figur im Regime des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan, der sich in den vergangenen Wochen immer klarer als Fan der Terrororganisation Hamas geoutet und sie als "Befreiungsgruppe" etikettiert hat.

Im Gleichklang damit hetzt Erbaş gegen Israel, im Oktober nannte er das Land einen "rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Welt". Der religiöse Führer ergeht sich dabei auch in antisemitischer Rhetorik. Bei einer virtuellen Konferenz vor rund 200 Theologen aus aller Welt sagte er vergangene Woche: "Das zionistische Israel begeht in Gaza einen Völkermord mit seinen Angriffen, die auf einem schmutzigen und perversen Glauben basieren." Zudem sprach er der jüdischen Bevölkerung Israels indirekt die Existenzberechtigung ab: "Jerusalem gehört den Muslimen. Palästina und Gaza sind Heimatländer der Muslime und werden es bis ans Ende der Zeit bleiben."

Erbaş ist nicht nur in der Türkei einflussreich, seine Behörde kontrolliert auch religiöse türkische Verbände in Europa. In Deutschland untersteht ihr etwa der Verband Ditib, der nach eigenen Angaben mehr als 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime zu vertreten beansprucht. Aus Ankara fließt dafür nicht nur Geld, auch viele Imame werden aus der Türkei entsendet und sind quasi Beamte des türkischen Staates. Die Ditib hat den Hamas-Terror gegen die Zivilbevölkerung zwar ihrerseits scharf verurteilt, diese Haltung in der eigenen Community allerdings nicht sonderlich offensiv kommuniziert, wie aus einem Bericht des WDR hervorgeht.

Die Aussagen von Erbaş rund um den Krieg in Nahost sorgten auch in Deutschland für Diskussionen.

Der Draht der türkischen Religionsbehörde Diyanet reicht aber auch bis nach Österreich. Als Pendant zur deutschen Ditib gilt die Atib, die sogenannte Türkisch-Islamische Union in Österreich. Mit mehr als 60 Moscheen und geschätzt bis zu 100.000 Mitgliedern stellt sie den größten muslimischen Verband hierzulande. Der Einfluss der Atib reicht bis in die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) hinein, die offizielle Vertretung aller Musliminnen und Muslime in Österreich. Bis Ende 2018 stellte die Atib mit Ibrahim Olgun den Präsidenten der IGGÖ.

Stellvertretend für den Draht aus Ankara ins Innerste der Atib steht Fatih Mehmet Karadaş. Der frühere Religionsattaché der Türkei war laut einem Grundlagenbericht der Dokumentationsstelle Politischer Islam bis 2017 gleichzeitig Diplomat der Türkei, Funktionär der Diyanet – und eben auch Vorsitzender der Atib.

Als der Einfluss der Diyanet in Österreich damals auch öffentlich immer stärker kritisiert wurde, versuchte sich die Atib mit einer neuen Satzung als unabhängiger und überparteilicher Verband zu präsentieren. Botschafter haben demnach keinen Platz mehr im Vereinsvorsitz. Doch ihr eigenes Regelwerk lässt eine weiterhin bestehende Verbindung zur türkischen Religionsbehörde zumindest vermuten. So sieht die Satzung fünf hochrangige Mitglieder der Diyanet als Ehrenmitglieder der Atib vor. Statutengemäß haben jene Mitglieder das Recht, den Atib-Vorstand mitzubestimmen. Überdies gibt es die Möglichkeit, Ehrenmitglieder als Vorstandskandidaten vorzuschlagen, die auch gewählt werden können.

Die Dokumentationsstelle weist aber noch auf eine weitere Verquickung hin: Das Büro des Botschaftsrats für religiöse Angelegenheiten der türkischen Botschaft befindet sich im selben Eckgebäude der Atib.

Glaubensgemeinschaft lehnt Agitation von Erbaş ab

Und wie sieht nun die Atib die Aussagen von Erbaş und dessen Agitation gegen Israel? Haben vielleicht Imame aus Österreich der aufwieglerischen Rede des türkischen Chef-Imams auf der Theologenkonferenz gelauscht? Das lässt sich zumindest vorläufig nicht beantworten. Die Atib ließ einen ausführlichen Fragenkatalog des STANDARD unbeantwortet.

Eine klare Position bezieht hingegen die Islamische Glaubensgemeinschaft: Man lehne die Aussagen von Erbaş ab, heißt es von der IGGÖ auf STANDARD-Anfrage. Bei der Rede seien keine Funktionäre der IGGÖ und ihrer Kultusgemeinden dabei gewesen. Dabei betont die IGGÖ auch den rechtlichen Unterschied zwischen der Atib als Verein und der mit der Atib verbundenen Türkisch-Muslimischen Kultusgemeinde – nur Letztere ist formal ein Teil der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Die IGGÖ erklärt weiters: Das Existenzrecht Israels stehe außer Frage, und "wir pflegen einen aktiven und wertschätzenden Umgang mit der jüdischen Gemeinschaft". Den Anschlag und die Gewaltexzesse der Hamas habe man stets aufs Schärfste kritisiert und dazu aufgerufen, jegliche Gewaltverherrlichung zu unterlassen.

Der türkische Botschafter in Österreich, Ozan Ceyhun, geht auf Erbaş erst gar nicht ein. Ceyhun verweist lediglich darauf, dass die Atib über "demokratisch gewählte Vorstände" verfüge, "die ihre Entscheidungen unabhängig und frei treffen" würden. Der Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten stehe allen Vereinen zur Verfügung und somit nicht nur der Atib. (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 11.11.2023)