Bücherstoß
Herbstzeit ist Lesezeit.
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Dunkelheit, Nässe und Kälte sind nicht unbedingt erfreulich. Der Herbst hat aber auch eine gute Seite: Er bringt jede Menge Neuerscheinungen. Für Sachbuch-Liebhaberinnen und -Liebhaber hat die STANDARD-Wissenschaftsredaktion einige kürzlich erschienene Werke kompakt rezensiert.

Buchcover:
Elfriede Iby, Anna Mader-Kratky, "Schönbrunn. Die kaiserliche Sommerresidenz". € 49,90 / 552 Seiten. Kral, Wien 2023
Kral

Neuer Blick auf das Werden von Schloss Schönbrunn

Die Faszination, die von Österreichs größtem Schloss ausgeht, ist bis heute ungebrochen. Jedes Jahr ziehen der Prachtbau und seine weitläufigen Gärten bis zu zehn Millionen Besucherinnen und Besucher an. Vielfach wird die 1996 ins Unesco-Welterbe-Verzeichnis aufgenommene Anlage mit schillernden Persönlichkeiten wie Maria Theresia und Kaiserin Elisabeth aka Sisi verbunden.

Doch die Geschichte des Schlosses beginnt weit vor der Regierungszeit der beiden Herrscherinnen und reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Nachdem das ehemalige Anwesen Katterburg 1569 in den Besitz des Hauses Habsburg überging, blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Das barocke Jagdschloss wandelte sich zur aufwendig und prunkvoll umgestalteten Sommerresidenz Maria Theresias, selbst im 19. Jahrhundert verliehen bauliche Veränderungen dem Anwesen Glanz.

Fast 150 Jahre nach der ersten Schönbrunn-Monografie im Auftrag von Kaiser Franz Joseph entstand das mehr als 500 Seiten umfassende Werk als Kooperation der Schönbrunn Group und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und rollt den aktuellsten Wissensstand zur Bau- und Ausstattungsgeschichte von Schloss Schönbrunn, seiner Nebengebäude und Gärten auf. (mare)

Buchcover:
Lucy Cooke, "Bitch. Ein revolutionärer Blick auf Sex, Evolution und die Macht des Weiblichen im Tierreich". € 22,70 / 432 Seiten. Malik/Piper, München 2023
Malik

Das feministische Update der Evolutionsgeschichte

Überraschenderweise gilt das weibliche Geschlecht nicht als Norm. Das könnte man aus Tierversuchen folgern, die eine grundsätzliche Entwicklung femininer Körper zeigen, wenn nicht ausreichend Testosteron für die Ausbildung des männlichen Pendants sorgt. Stattdessen schrieb die patriarchale Gesellschaft und die Wissenschaft anderes vor.

Obwohl der als Vater der Evolution bekannte Charles Darwin mit seiner Theorie der sexuellen Selektion postulierte, dass Männchen um Weibchen buhlen, stellte er die Entscheidungsträgerinnen als passiv dar. Ein Missverhältnis, das die Zoologin und Wissenschaftskommunikatorin Lucy Cooke mit Bitch ins Gleichgewicht bringt - nun auch in deutscher Übersetzung.

In der cleveren, unterhaltsamen Tour de Force führt sie von bizarren Beatbox-Balz-Discos bei Beifußhühnern zu bisexuellen Bonobo-Kommunen, erzählt von kannibalischen Spinnen, Klitoris-Erektionen und "geplantem" Schwangerschaftsabbruch im Tierreich. Viele Expertinnen und Experten kommen zu Wort, räumen mit Mythen um das keusche Weibliche auf und stützen ein Plädoyer für die gleichberechtigte, nicht von alten Vorurteilen geprägte Erforschung und Darstellung der Natur. (sic)

Buchcover
Birgit Högl, "Besser schlafen: Wie erholsamer Schlaf Gehirn und Körper fit hält und uns länger und gesünder leben lässt". € 26,- / 182 Seiten. Brandstätter, Wien 2023
Brandstätter

Die ungeahnt positiven Effekte des Schlafes

Wir verbringen rund ein Drittel unserer Lebenszeit im Bett, idealerweise schlafend. Warum das alles andere als verlorene Zeit ist, erklärt die Schlafforscherin Birgit Högl in ihrem neuen Buch. Viele positive Effekte des Schlafes auf Gesundheit und Wohlbefinden werden darin ebenso thematisiert wie zahlreiche Erkrankungen, die die nächtliche Ruhe stören. An der Medizinischen Universität Innsbruck forscht Högl zu Schlafstörungen und Therapien.

Einem bisher unterbeleuchteten Aspekt wird in dem Buch auch Platz eingeräumt: dem unterschiedlichen Schlafbedürfnis von Frauen und Männern. "Was die ideale Schlafdauer anbelangt, lautet die generelle Empfehlung der World Sleep Society für Erwachsene: sieben bis neun Stunden", schreibt Högl. "Aber diese generelle Angabe ist verkürzt und lässt einen wichtigen Aspekt außer Acht: das Geschlecht. Denn genau genommen brauchen Männer durchschnittlich sieben bis acht Stunden, Frauen dagegen acht bis neun Stunden, wobei es natürlich auch individuelle Unterschiede gibt." Da Frauen neben der Berufstätigkeit meist immer noch das Gros der Sorgearbeit leisten, seien aber gerade sie es, die beim Schlaf Abstriche machten, um die Mehrfachbelastung zu stemmen. (trat)

Buchcover Roman Köster
Roman Köster, "Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit". € 30,50 / 422 S. C. H. Beck, München 2023
C.H.Beck

Eine saubere Geschichte des menschlichen Abfalls

Sie wachsen unaufhaltsam in den Himmel, die Müllberge dieser Welt. Und die Mengen, die anfallen, sind weder für unser Vorstellungsvermögen noch für die Müllhalden rund um den Planeten mehr so richtig fassbar. Allein der Plastikmüllhaufen, den die Menschheit täglich (!) produziert, wiegt so schwer wie 200 Eiffeltürme. Machen wir so weiter wie bisher, werden 2050 jährlich allein 3,4 Milliarden Tonnen Hausmüll anfallen, prognostiziert der deutsche Sozial- und Wirtschaftshistoriker Roman Köster in Müll, einer Globalgeschichte des Abfalls.

Der Mitarbeiter der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist ein echter Müllfachmann: Er hat sich 2015 über die deutsche Abfallwirtschaft nach 1945 habilitiert. Mit seinem neuen, gründlichen, aber keineswegs akademisch-trockenen Werk zielt er zeitlich wie auch örtlich aufs Ganze.

Das Buch beginnt mit der Sesshaftwerdung des Menschen vor rund 10.000 Jahren und wühlt sich durch die Abfallprobleme des Alten Rom, schildert die Erfindung der Müllabfuhr im Industriezeitalter und endet in unserer heutigen Wegwerfgesellschaft. Ein erhellendes Buch, das drastisch vor Augen führt, wie sehr unser Alltag und unsere Lebensweise untrennbar mit Abfall verbunden sind – und wie schwer es ist, unsere (Plastik-)Müllprobleme in den Griff zu bekommen. (tasch)

Buchcover Chalmers
David Chalmers, "Realität+. Virtuelle Welten und die Probleme der Philosophie". € 40,50 / 638 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2023
Suhrkamp

Wie neue Technologien den Realitätsbegriff ändern

Der australische Philosoph David Chalmers hat einen Hang zu großen Fragen und selbstbewussten Thesen. Erst vor kurzem hat er öffentlichkeitswirksam eine Wette gewonnen, die er vor 25 Jahren eingegangen war: Damals hatte er mit dem Neurologen Christof Koch bei einer Tagung darüber diskutiert, ob sich das menschliche Bewusstsein auf der Ebene der Neuronen erklären ließe. Koch bejahte dies, Chalmers hielt dagegen. Heuer musste Koch Chalmers schließlich den Wetteinsatz von einer Flasche Wein aushändigen.

Im Zentrum von Chalmers jüngstem Buch, das nun auf Deutsch vorliegt, steht aber weniger das Bewusstsein als eine traditionsreiche philosophische Frage: Was ist Realität? Neue Technologien würden es verlangen, unser Verständnis von Realität neu zu denken. In einem Streifzug durch die Technophilosophie widmet sich Chalmers Fragen wie: Können wir beweisen, dass es eine Außenwelt gibt? Wie wahrscheinlich ist es, dass wir in einer Simulation leben? Und nicht zuletzt: Ist Gott eine Hackerin in der nächsthöheren Welt? Chalmers zentrale These lautet: "Virtuelle Realität ist echte Realität. Virtuelle Welten müssen keine Realitäten zweiter Klasse sein, sondern können vollwertige Realitäten darstellen." (trat)

Buchcover Saini
Angela Saini, "Die Patriarchen. Auf der Suche nach dem Ursprung männlicher Herrschaft". € 26,50 / 350 Seiten. Hanser, München 2023

Die historischen Wurzeln des Patriarchats

In ihren vielfach ausgezeichneten Büchern hat sich die britische Autorin Angela Saini ebenso die Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft vorgenommen wie die historische Aufarbeitung von rassistischen Lehren. In ihrem aktuellen Werk "Die Patriarchen: Auf der Suche nach dem Ursprung männlicher Herrschaft" steht nichts Geringeres als die Entstehung des Patriarchats im Fokus.

In der historischen Rückschau zeigt sich, dass patriarchale Strukturen weniger selbstverständlich sind, als es heute ob ihrer Dominanz erscheint. "Wenn sich Formen patriarchalischer Gesellschaft an unterschiedlichen Enden der Welt auf unheimliche Weise ähneln, liegt das nicht daran, dass sich diese Gesellschaften auf magische (oder biologische) Weise gleichzeitig patriarchalisch organisierten oder dass Frauen sich überall plötzlich unterwarfen", schreibt Saini. "Es liegt daran, dass Macht erfinderisch ist." Geschlechtsspezifische Unterdrückungen seien jahrhundertelang durch Zwangsmissionierungen und Kolonialismus absichtlich in andere Gesellschaften exportiert worden.

Wissenschaft hat sich laut Saini immer wieder dafür hergegeben, männliche Dominanz zu stützen. Sie liefere aber auch Fakten, um gegen Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern zu argumentieren. (trat)

Buchcover Martin Rees
Martin Rees, "Wenn uns Wissenschaft retten soll". € 24,- / 200 Seiten. Edition Konturen, Horn 2023
Edition Konturen

Breites Wissen für faktenbasierte Debatten

"Wissenschaft ist nicht nur etwas für Wissenschafter“ - für den britischen Physiker und Buchautor Martin Rees hat sich diese Einsicht nicht zuletzt in der Covid-Pandemie gezeigt, wie er in seinem neuen Buch schreibt. Doch nicht nur in Gesundheitsfragen, sondern auch bei Klima, Energie und Umwelt sind wissenschaftliche Erkenntnisse wichtige Ideengeber für politische Entscheidungen.

Die Entscheidungen, die Politikerinnen und Politiker in den kommenden Jahren treffen, "könnten die Zukunft der Erde bestimmen", schreibt Rees. Umso wichtiger sei es, dass diesen "eine informierte öffentliche Debatte vorausgeht". Mit seinem Buch will Rees gewissermaßen den Boden dafür bereiten. Sein Credo dabei lautet: "Die großen Konzepte der Wissenschaft können mit nichttechnischen Worten und einfachen Bildern vermittelt werden. Zumindest glaube ich das."

Insgesamt sieht Rees die Vermittlung von Wissenschaft vor immer größeren Herausforderungen. Denn: "Die Kluft zwischen dem, was für Fachleute geschrieben wird, und dem, was für den Durchschnittsleser zugänglich ist, wird immer größer." Genau diese Kluft will Rees überwinden, wenn er in einem historischen Streifzug das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft beleuchtet. (trat)

(Marlene Erhart, Julia Sica, Tanja Traxler, Klaus Taschwer, 11.11.2023)