"Aber für mich ist nichts vorbei!" Cordelia Edvardson lebte von 1977 bis 2006 in Jerusalem, sie starb 2012 in Stockholm.
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"Die Vergangenheit", lautet das Motto zu Cordelia Edvardsons Buch Gebranntes Kind sucht das Feuer, "ist unserer Barmherzigkeit ausgeliefert." Dieses Zitat des schwedischen Schriftstellers Lars Gyllensten ist wie ein Zuruf der Autorin an sich selbst, denn sie hätte allen Grund, unbarmherzig gegenüber ihrem Schicksal, ihrer Herkunft, ihrer leiblichen Mutter zu sein. Der ist das Buch zwar gewidmet, aber da werden noch eine "Mutter" in Stockholm und eine in Jerusalem erwähnt – Bezüglichkeiten, die Cordelia Edvardsons Weg aus Deutschland nach Schweden und schließlich Israel sichtbar machen.

Als Cordelia Hoffmann ist die 1929 in München geboren Autorin als uneheliche Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer in Berlin aufgewachsen. Die Mutter, obzwar katholisch getauft, ist jüdischer Herkunft, und da auch der Vater Jude ist, gilt Cordelia in Nazideutschland als gebrandmarkt. "Das Mädchen hatte schon immer gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte." Mit diesem Satz beginnt Edvardsons 1984 auf Schwedisch erschienenes Erinnerungsbuch, das in der Übersetzung von Ursel Allenstein nun ein zweites Mal auf Deutsch vorliegt.

Unerbittliche Distanz

Zweifellos ein wichtiges Buch der Holocaustliteratur, aber mindestens so bedeutsam als literarischer Text, der in seiner Nüchternheit und Knappheit überzeugt. Vor allem ist es ein in unerbittlicher Distanz zu sich selbst und den Umständen geschriebener autobiografischer Roman. Indem die Autorin über sich in der dritten Person schreibt, tritt sie aus sich heraus und wählt so eine Perspektive mit Anspruch auf Objektivität.

Das "Mädchen" ist sie selbst und zugleich eine andere, so wie sie auch in der deutschen Gesellschaft als eine andere gilt. Als sie sechs Jahre alt ist, heiratet die Mutter einen "Arier", die Familie übersiedelt nach Berlin, aber im selben Jahr (1935) machen die Nürnberger Rassengesetze sie zu einem Paria, während die Mutter, die als "Halbjüdin" gilt, durch die Eheschließung mit einem Deutschen geschützt ist.

Das "sündige, schamvolle, dunkle Geheimnis", das als soziales Stigma auf Cordelia lastet, macht ihre Kindheit zu einem einsamen Gefängnis, die Mutter scheint das wenig zu berühren. Dass Elisabeth Langgässer Sympathie für die Nazis empfand, hat zum Spannungsverhältnis beigetragen, in dem das "Mädchen" aufwuchs. Das "Anderssein" wird als "eigene Unvollkommenheit" erfahren, als "Mangel" und "Fluch". "Dreckiges Judenbalg", wird dem Mädchen von einem mit der Mutter befreundeten Arztehepaar im Allgäu an den Kopf geworfen. Das wird Dela, das Mädchen, bald auch anderswo hören. Als Deportationen an der Tagesordnung sind, arrangiert Elisabeth Langgässer für ihr Kind eine Scheinadoption. Mit spanischer Staatsbürgerschaft wäre Dela dem Zugriff der Behörden entzogen. Doch die Gestapo droht, sich an der Mutter schadlos zu halten, wenn das Mädchen nicht eine Doppelstaatsbürgerschaft annimmt und sich deutschen Gesetzen unterwirft.

Cordelia Edvardson, "Gebranntes Kind sucht das Feuer". Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. € 22,70 / 144 Seiten. Hanser, München 2023
Hanser

Theresienstadt, Auschwitz

Die Mutter, die dann lieber ihre eigene Haut als die ihres Kindes retten möchte, sieht sie mit "ihren schönen braunen Augen" an, und Dela, die weiß, dass sie eine tödliche Bedrohung für die Familie ist, willigt ein. Mit 14 landet das Mädchen in Theresienstadt, später in Auschwitz, wo sie bei Selektionen die Namen derer notieren muss, die ins Gas geschickt werden. Das "Totenreich", schreibt sie später, "ging sie nichts an. Es drang nicht in sie hinein, dafür war kein Platz, sie war vom großen grauen Nichts erfüllt."

Nach der Befreiung kommt Dela nach Schweden. Die Gastfamilie bedeutet dem Mädchen, nun sei doch alles vorbei, "jetzt musst du alles geschehene Böse vergessen". Zuerst fehlen Dela die Worte, dann explodiert sie: "Aber für mich ist es nicht vorbei!" Eine Weile hallt der Zorn der Überlebenden nach. Dann kommt der Einbruch. Das Mädchen fühlt sich "wie zerstörtes, wertloses Treibgut nach einem Schiffbruch".

"fast komisch"

Die Mutter erfährt erst nach einem Jahr, dass Dela überlebt hat. Sie schreibt ihr einen Brief, in dem sie um Details über die Lagererfahrung ersucht, sie möchte darüber einen Roman schreiben. "Wenn es nicht so unerträglich wäre", schreibt Daniel Kehlmann in seinem Nachwort, müsste man es "fast komisch finden". Cornelia Edvardson ist ihrer Mutter nur noch ein einziges Mal, 1949, begegnet. Elisabeth Langgässer hat den besagten Roman geschrieben, die Tochter sich darin nicht wiedererkannt.

Wie auch, das Buch "war von einer Lebenden geschrieben worden", während die Überlebende ihr Totsein in sich trug, die "Schattenlandschaft der Unterwelt". Erst in Schweden hat Cordelia Edvardson eine jüdische Identität gefunden. 1973, während des Jom-Kippur-Kriegs, zog sie nach Israel. (Gerhard Zeillinger, 10.11.2023)