Es ist eine lange Abschiedsrede, die Leif K-Brooks, Gründer und Betreiber von Omegle auf der Website seines Dienstes veröffentlicht hat. Nach 14 Jahren Betrieb wurde Website vor wenigen Tagen eingestellt. Das 2009 gestartete Portal war ein Mitbewerber des damals bekannteren "Chatroulette" und verknüpfte Besucher nach dem Zufallsprinzip per Webcam und Textchat miteinander.

K-Brooks schreibt ausführlich darüber, wie für ihn als Einwohner eines kleinen Ortes das Internet schon in jungen Jahren ein "magischer Ort" war und für ihn das Tor in eine "vielfältige, lebendige Welt" öffnete, die auch für seine eigene Persönlichkeitsentwicklung essentiell war. Und als jemand, der als Kind selbst vergewaltigt worden war, bot es ihm auch eine Möglichkeit, Menschen zu treffen, ohne sich einer körperlichen Gefahr auszusetzen.

Betreiber bemängelt gesetzliche Auflagen

Als 18-jähriger hatte er daher Omegle gestartet, um diese Aspekte zu vereinen und dabei eine "soziale Spontanität" einzubringen, die es sonst nirgends gab. Dabei vergleicht er das Portal damit, eine Straße im "globalen Dorf" des Internets entlang zu spazieren und dabei das Prinzip "Leute treffen" in kondensierter Form umzusetzen. Wie lange man mit jemandem reden wollte, blieb dabei den Nutzerinnen und Nutzern überlassen. Wer keine Lust mehr auf einen Chat hatte, konnte per Knopfdruck einfach zu einem neuen Gesprächspartner wechseln.

Nach 14 Jahren stellte Omegle den Betrieb ein.
Omegle/Leif K-Brooks

Er erzählt von einsamen Menschen, die so Anschluss fanden, Menschen, die ihren Lebenspartner entdeckten und Einblicken in fremde Kulturen. Allerdings gesteht er auch Schattenseiten ein. Omegle habe gegen Missbrauch mit automatisierten Systemen und menschlicher Moderation gekämpft und stets mit Polizeibehörden sowie dem US National Center for Missing and Exploited Children zusammen gearbeitet. Aufgrund pro-aktiver Hinweise und Beisteuerung von Beweisen würden heute Kriminelle "hinter Gittern verrotten".

Anschließend attestiert er, dass es immer mehr Angriffe auf "Kommunikationsdienste wie Omegle" gab und dass die Seite nun das Opfer eines solchen geworden ist. Dabei spricht er davon, dass Standards verlangt wurden, die sich realistisch nicht erreichen lassen und insinuiert, dass die dafür Verantwortlichen in Wahrheit erst zufrieden wären, wenn ein Dienst zum Treffen zufälliger Menschen geschlossen wird. Das sei, wie wenn man den New York Central Park zusperre, weil dort Verbrechen geschehen könnten. "Eine gesunde, freie Gesellschaft kann nicht weiterbestehen, wenn wir in derartiger Angst voneinander leben", resümiert K-Brooks.

Letztlich sei es finanziell und psychisch zu aufwändig geworden, Omegle weiter zu betreiben und den Missbrauch der Seite zu bekämpfen.

Opfer von jahrelangem Missbrauch zog vor Gericht

Was in der Trauerrede des Gründers allerdings unerwähnt bleibt, ist der konkrete Grund für die Abschaltung von Omegle. Diese, fasst Wired zusammen, ist nämlich die Folge einer außergerichtlichen Einigung mit einer jungen Frau, die gegen das Unternehmen vor Gericht gezogen ist. Sie hatte bereits 2021 wegen unzureichenden Moderations- und Unterstützungsmaßnahmen geklagt und 22 Millionen Dollar Schadenersatz gefordert.

2014 hatte sie als Elfjährige auf Omegle einen Mann in seinen Dreißigern kennen gelernt. Dieser hatte sie über einen Zeitraum von drei Jahren dazu gebracht, Nacktaufnahmen in Bild und Video an ihn zu schicken und anzügliche Handlungen vor laufender Kamera für ihn und seine Freunde vorzunehmen. Die Einwilligung, zuzusperren, ermöglichte es K-Brooks, dem Verfahren vor einem Schöffengericht zu entgehen, dem seine Anwälte wohl skeptisch entgegen gesehen haben dürften. Zwei Tage nach der Einigung erfolgte die Schließung der Plattform.

Zuvor hatten die Anwälte von Omegle versucht, Ausnahmen gemäß Section 230 des Telecommunication Act von 1996 in Anspruch zu nehmen. Dieser Abschnitt legt fest, dass Seiten wie soziale Netzwerke nicht grundsätzlich verantwortlich für Inhalte sind, die ihre Nutzerinnen und Nutzer veröffentlichen.

Der Richter sah allerdings keine Anwendbarkeit von Section 230 gegeben, da der Vorfall ursächlich auf den Aufbau von Omegle zurück zu führen sei und wesentlich mehr dazu hätte beitragen können um zu verhindern, dass Minderjährige und Erwachsene in Kontakt gebracht werden.

Langzeit-Problem

Omegle war immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, sehr beliebt unter Pädokriminellen zu sein und Kindern nicht ausreichend Schutz zu bieten. 2022 gab es bei der Telefonstelle für Hinweise auf Kindesmissbrauch des National Center for Missing and Exploited Children rund 609.000 Meldungen zu Omegle. Damit reiht sich die Plattform auf Platz 5 hinter Facebook, Google, Instagram und Whatsapp ein, die allerdings auch um ein Vielfaches mehr Nutzer haben.

Es brauche allerdings Maßnahmen auf regulatorischer Ebene, sagt Signy Arnason von der NGO Canadian Centre for Child Protection. Andernfalls sei es nur eine Frage der Zeit, bis eine andere Seite in die Fußstapfen von Omegle tritt. Eine Prognose, die angesichts der Existenz verschiedener weiterer Portale, die nach dem gleichen Konzept operieren, nicht abwegig erscheint. (red, 12.11.2023)