Der britische Ex-Premier David Cameron auf dem Weg in die Downing Street zehn im blauen Anzug.
Nach sechs Jahren kehrt David Cameron, der sich nach dem Brexit-Referendum weitgehend aus dem Politikbetrieb zurückgezogen hatte, in die Sphäre der Macht zurück – als neuer Außenminister.
EPA/ANDY RAIN

Mit einer gewagten Personalie versucht der britische Premierminister den Befreiungsschlag für seine schlingernde Regierung. Am Montag berief Rishi Sunak den liberalkonservativen Ex-Premier David Cameron zum neuen Außenminister. Der war nach seinem Scheitern im Brexit-Referendum 2016 aus der Politik verschwunden. In nicht zuletzt außenpolitisch schwierigen Zeiten wolle er Sunak dabei helfen, Sicherheit und Wohlstand des Königreichs zu sichern, sagte der 57-Jährige: "Die neue Aufgabe ehrt mich."

Der politischen Tradition zufolge können auf der Insel nur Parlamentsangehörige Minister werden. Weil Cameron nicht mehr im Unterhaus sitzt, erhielt er am Montag einen Sitz im Oberhaus. Das letzte prominente Kabinettsmitglied in dieser Konstellation war von 2008 bis 2010 der Labour-Wirtschaftsminister und frühere EU-Kommissar Lord Peter Mandelson. Für die Rückkehr eines Premierministers ins Kabinett gibt es das ehrenwerte Vorbild des konservativen Kurzzeit-Regierungschefs Alec Douglas-Home (1963 bis 1964), der in den 1970er-Jahren dem Premierminister Edward Heath als Außenminister diente. Die Labour-Opposition machte sich über Sunaks Schritt lustig: Mit Camerons Rückkehr sei dessen Anspruch, er stehe für "Veränderung", endgültig Vergangenheit.

Vorwürfe gegen die Polizei

In den vergangenen Tagen hatte sich die politische Debatte in London freilich vor allem um Innenministerin Suella Braverman gedreht. Die Galionsfigur des rechten Parteiflügels nannte Palästina-Demonstranten "Islamisten und Hassmarschierer" und setzte Scotland Yard unter Druck, eine für Samstag geplante Demonstration von mindestens 300.000 Menschen zu verbieten. Zudem beschuldigte sie die Polizei, diese behandle Proteste unterschiedlich, je nachdem, ob ihnen das Anliegen sympathisch sei oder nicht. Weil diese in einem Meinungsbeitrag für die Times gemachten Äußerungen nicht mit der Downing Street abgesprochen waren, galt Braverman als Ministerin auf Abruf.

Großbritanniens Innenministerin Suella Braverman
Großbritanniens bisherige Innenministerin Suella Braverman.
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Dem Vernehmen nach war Sunak aber auch empört darüber, dass die Parteifeindin Obdachlosigkeit kürzlich als "frei gewählten Lebensstil" bezeichnet hatte. Auf den Hinterbänken der Fraktion, wo die Tory-Niederlage bei der kommenden Wahl 2024 als unausweichlich gilt, dürfte die 43-Jährige an ihrer Bewerbung für Sunaks Nachfolge basteln.

Ins Innenministerium holte der Premierminister den bisherigen Außenminister James Cleverly. Der 54-jährige Oberstleutnant der Reserve, die Mutter aus Sierra Leone, der Vater ein weißer Engländer, hat sich in vielfältigen Ämtern bewährt und ist für seine besonnene Sprache bekannt. Seine erste Bewährungsprobe steht am Mittwoch bevor, wenn der Supreme Court über die Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda entscheidet.

Rochade "in gefährlicher Zeit"

Cleverlys ehrenvolle Versetzung machte das Außenressort frei für Cameron. Die Rochade dürfte längst festgestanden haben, als die Pressestelle der Downing Street am Sonntagnachmittag Auszüge aus der außenpolitischen Grundsatzrede verschickte, die Sunak am Montagabend halten wollte. "In gefährlicher Zeit" wolle er "unsere Sachkenntnis, unsere Fachleute und unsere Bündnisse zusammenführen."

Als Fachmann mit einiger Sachkenntnis in außenpolitischen Fragen wird Cameron nach sechs Jahren als Regierungschef (2010 bis 2016) gelten dürfen. Allerdings meldeten sich auch sofort die Zweifler zu Wort und erinnerten an Versäumnisse und Fehler aus dieser Zeit. Die britisch-französischen Militärschläge gegen den libyschen Diktator Muammar Gaddafi etwa führten 2011 zwar dessen Tod herbei, Frieden aber hat das nordafrikanische Land seither nicht gefunden.

Video: Comeback in London: Ex-Premier Cameron wird Außenminister.
AFP

Den längsten Schatten auf die politische Karriere des neuen Außenministers wirft das Brexit-Referendum, dessen aus Camerons Sicht falsches Ergebnis langjährige Bündnisse des Königreichs auf Dauer beschädigt hat. Viele Briten auf beiden Seiten der Debatte machen ausschließlich den damaligen Premier für das Debakel verantwortlich.

Sie vergessen dabei die negative Rolle des damaligen Labour-Chefs und eingefleischten EU-Feindes Jeremy Corbyn, zumal Referenden über europäische Fragen der LSE-Politikprofessorin Sara Hobolt zufolge stets von der Position der Opposition abhängen. (Sebastian Borger aus London, 13.11.2023)