Ehepaar besiegelt Kauf eines Hauses mit dem Makler, Figürchen, dahinter unscharf das Haus.
Der Traum vom Eigenheim rückte zuletzt für viele in weite Ferne, die Neuaufnahme von Krediten ist seit längerem rückläufig. Banken fordern eine Aufweichung der Vergaberichtlinien, OeNB und Finanzmarktaufsicht verweisen auf den Leitzins. Was stimmt nun?
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Für den Kreditschutzverband 1870 (KSV1870) ist klar: Die strengen Vergaberichtlinien würgen die Immobilienkredite ab. In den ersten drei Quartalen 2023 gab es immerhin einen Einbruch der Hypothekarkredite von 50,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Grund dafür seien zwar auch die gestiegenen Zinsen, "vor allem" aber die sperrig benannte Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung, kurz KIM-VO. Seit August 2022 ist das Regelwerk in Kraft und soll vor einer Überschuldung der Kreditnehmer schützen – ebenso lange steht es aber auch schon in der Kritik.

Vor allem die Banken und Kreditinstitute laufen Sturm gegen die Verordnung. Das Neukreditgeschäft ist um bis zu 70 Prozent eingebrochen, verantwortlich dafür sehen sie – wie auch der KSV1870 festgestellt zu haben scheint – die KIM-VO. Zur Erinnerung: Die von der Finanzmarktaufsicht (FMA) erlassene Verordnung sieht eine Beleihungsquote von 90 Prozent vor, was einer Eigenkapitalquote von rund 20 Prozent entspricht. Die Rate darf nicht mehr als 40 Prozent des monatlich verfügbaren Nettohaushaltseinkommens ausmachen, die Laufzeit 35 Jahre nicht übersteigen.

Zu streng, bemängelt die Finanzwirtschaft. Zu hohe Einstiegshürden für junge Menschen, kritisiert der KSV1870. Angesichts steigender Kreditzinsen, sinkender Kreditvergaben und fallender Immobilienpreise sei die Verordnung ohnehin obsolet, zudem belaste der Kreditrückgang die Baubranche. Vor allem letzteres Argument wurde erst kürzlich durch eine Äußerung von Wifo-Chef Gabriel Felbermayr befeuert, der eine Aufweichung der KIM-VO ins Treffen führte – der STANDARD berichtete.

Aber sind tatsächlich die strengeren Vergaberichtlinien schuld am Rückgang? Oder liegt die Ursache vielmehr bei der Zinswende, die fast zeitgleich im Juli 2022 eingeläutet wurde und die Finanzierungskosten deutlich erhöht?

Ausnahmekontingente nicht ausgeschöpft

Die FMA und die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) sehen derzeit jedenfalls keinen Grund, die Vergaberichtlinien zu ändern – ganz im Gegenteil: Die strengen Vorschriften brauche es, um dem Finanzmarkt Stabilität zu verleihen und systemische Risiken zu vermeiden. Kurz: um die Ausfallswahrscheinlichkeit von Krediten zu senken. Österreichische Immobilien waren laut den Daten der Europäischen Zentralbank in den vergangenen Jahren zudem deutlich überbewertet (siehe Grafik unten).

Einen Rückgang der Neuvergaben von Wohnbaukrediten bestätigt zwar auch die OeNB, betont aber, eine Lockerung der KIM-VO würde zu keiner signifikanten Steigerung der Kreditvergabe an private Haushalte führen. Grund für den Rückgang sei nämlich vielmehr das wirtschaftliche Umfeld und die steigenden Zinsen. Das werde schon allein dadurch deutlich, dass die Banken ihre Ausnahmekontingente bei der Kreditvergabe mehrheitlich nicht ausschöpfen. Die Kontingente erlauben den Kreditgebern, auch dann Hypothekarkredite zu gewähren, wenn einzelne Vorgaben der KIM-VO nicht erfüllt werden. Insofern könne die KIM-VO nicht der begrenzende Faktor der Neukreditvergabe von Wohnbaukrediten sein.

Ein weiteres Argument: Die Entwicklungen des Kreditvolumens im Neugeschäft für Wohnbauzwecke verlaufen in Österreich fast deckungsgleich mit jenen in Deutschland und der Eurozone (siehe Grafik oben). Zwar war in Österreich durch die Einführung der stärkeren Vorgaben ein gewisser Vorzieheffekt spürbar, mittlerweile verläuft die Kurve aber wieder ähnlich wie in anderen EU-Staaten. Da die KIM-VO eine nationale Regelung ist, dürften also andere Auslöser der Grund für die rückläufigen Kreditvergaben sein, so die Argumentation. Etwa die länderübergreifende konjunkturelle Eintrübung und – vor allem – der seit Juli 2022 mehrfach angehobene Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die Banken wollen angesichts "der enormen Rückgänge bei Wohnfinanzierungen" in diesem "gesamtwirtschaftlich schwierigen Umfeld" dennoch eine Evaluierung der KIM-Verordnung erreichen, heißt es auf Anfrage des STANDARD bei der Bankensparte der Wirtschaftskammer (WKÖ). Dazu gebe es aktuell "konstruktive Gespräche mit der Aufsicht".

Dass die KIM-VO die Kreditaufnahme vor allem jüngerer Menschen erschwert, dürfte angesichts der jahrelangen Überbewertungen des Immobiliensektors und der erlittenen Kaufkraftverluste in der Teuerungsphase unbestreitbar sein – auch wenn sich die Immobilienpreise zuletzt tendenziell rückläufig zeigten.

Dass eine Aufweichung der Vergaberichtlinien das eingetrübte Neugeschäft bei den Krediten stark aufhellt, dürfte aber nicht der Fall sein, wie der Ländervergleich zeigt. Demnach sind es eher die gestiegenen Zinsen sowie das wirtschaftliche Umfeld, die die Kreditnachfrage nach unten drücken. Eine Aufhellung der Wolkendecke über dem Kreditneugeschäft dürfte damit wohl erst in Sicht sein, wenn sich die wirtschaftliche Lage entspannt – gesunkene Inflation und fallende Zinsen inklusive. (Nicolas Dworak, Jakob Pflügl, 16.11.2023)