Unter dem Namen AI Pin hat das Start-up Humane ein Gerät vorgestellt, das aus der Vision des Kommunikators aus "Star Trek" Wirklichkeit machen soll. Eine künstliche Intelligenz (KI), basierend auf einem GPT-Sprachmodell von OpenAI, soll auf Fragen und Befehle des Trägers und auch auf per Kamera erkannte Gesten reagieren. Mittels eines kleinen Projektors können außerdem Inhalte projiziert werden, etwa auf die eigene Hand.

Die Fähigkeiten des "Cosmos"-Betriebssystems will der Hersteller mit der Zeit erweitern. Die Fähigkeiten des smarten Ansteckers sollen vom Zusammenfassen eingegangener E-Mails über Nährwertinformationen zu Produkten bis hin zum Diktieren von Textnachrichten und Führen von kurzen Telefonaten reichen. Künftige Features sollen unter anderem eine Navigationsfunktion für Onlineeinkäufe ermöglichen. Interessenten müssen allerdings etwas tiefer in die Tasche greifen, denn Humane verlangt 700 Dollar für das Hightech-Accessoire.

Wenig Enthusiasmus

Die Reaktionen auf die Vorstellung fielen wohl nicht so aus, wie man sich das bei Humane erhofft hatte. Manche sahen sich an Produkte wie Narrative Clip erinnert, eine Ansteckkamera für Life-Vlogging, die sang- und klanglos unterging. Andere wiederum zogen Vergleiche zu Google Glass, einem tragbaren Smart-Display, für deren Träger sich in der San Francisco Bay Area alsbald der wenig schmeichelhafte Beiname "glassholes" etablierte.

The Human Experience
Promovideo für den AI Pin
humane

Allgemein wurde stark angezweifelt, dass das Gerät wie versprochen in der Lage ist, das Smartphone abzulösen. Auch die kommerziellen Aussichten wurden angesichts des hohen Anschaffungspreises und 24 Dollar monatlicher Abogebühr nicht als allzu rosig bewertet.

Bill Gates begeistert von Idee

Einen Fan hat der AI Pin von Humane allerdings – oder zumindest die Idee dahinter. Nämlich den Microsoft-Gründer Bill Gates. Dieser hat just am Tag von dessen Vorstellung auf Reddit einen Beitrag verfasst, allerdings ohne den AI Pin namentlich zu nennen. In seinem Text prognostiziert er einen massiven Umbruch in der Interaktion zwischen Mensch und Computer.

Das Stichwort lautet "Agent". Zu verstehen sind diese als Systeme, die vom und über ihren Nutzer lernen und als Schnittstelle zwischen ihm und seinen gewünschten Tätigkeiten oder Informationen stehen. Heute könne man zwar Google Docs und Microsoft Word nutzen, um ein Geschäftsangebot zu schreiben, aber diese Programme können keine E-Mails versenden, Selfies aufnehmen und teilen, einen Termin für eine Party anlegen, Daten analysieren oder Kinotickets kaufen.

Wofür man heute noch einen menschlichen persönlichen Assistenten oder einzelne Apps braucht, soll künftig ein solcher Agent einspringen. Er beschäftige sich schon seit gut 30 Jahren mit diesem Konzept, sagt Gates, doch erst seit kurzem sei es dank Fortschritten im KI-Bereich möglich, es in die Praxis zu überführen.

Microsoft-Gründer Bill Gates
Bill Gates ist angetan von der Idee hinter dem AI Pin von Humane.
REUTERS

Die Agents kommen

Heutige KI-Assistenten sind laut Gates eher als Bots zu betrachten. Sie sind in der Regel limitiert auf sehr spezifische Funktionen, üblicherweise in Verbindung mit einer App. Als Beispiel nennt er Clippy (zu Deutsch: Karl Klammer), die virtuelle Büroklammer die dereinst in Word Hilfestellung anbot. Im Vergleich zu einem Agent seien diese Bots wie ein Wählscheibentelefon, wenn man es einem Smartphone gegenüberstelle.

Agents sollen mehr wissen und proaktiver sein. Während ein Reise-Bot etwa Hotels findet, die dem eigenen Budget entsprechen, weiß ein Agent bereits im Voraus, zu welcher Zeit man wahrscheinlich reist, ob man gerne neue Orte erkundet oder bestimmte Lieblingsziele hat, und kann dann Unterkünfte und Aktivitäten basierend auf den Bedürfnissen und Interessen des Nutzers buchen. Die neuen KI-Helfer werden laut Gates auch Dienstleistungen "demokratisieren", die derzeit für viele Menschen noch zu teuer sind. Dies erwartet er sich insbesondere für die Bereiche Gesundheit, Bildung, Produktivität und Entertainment.

Das werde auch "Schockwellen" durch die Techindustrie schicken. Gates sieht das Ende von Apps und klassischen Betriebssystemen wie Android, iOS oder Windows dräuen. "Agents werden die nächste Plattform sein", schreibt er. Nutzer werden sich eines Tages per Kommando eigene Apps und Services bauen können, ohne dafür eine Programmiersprache beherrschen zu müssen. Agents werden auch konventionelle Suchmaschinen ablösen, weil sie besser darin sind, Informationen zu finden und zusammenzufassen. Auch klassische Produktivitäts-Apps wie Textverarbeitung und Tabellenkalkulationen, in welche heute Agents teilweise eingebettet sind, werden verschwinden.

Der Reddit-Beitrag von Bill Gates.

Weiters sagt er voraus, dass es keinem Unternehmen gelingen wird, den Markt stark zu dominieren. Es werde eine Vielfalt an KI-Modellen und Agents geben. Manche werden kostenlos und werbegestützt nutzbar sein, die meisten aber gegen Bezahlung. Durch die erwartbar große Konkurrenz, die sich schon heute an der Anzahl der Firmen zeige, die in dem Feld tätig seien, werde der Zugang aber sehr günstig sein.

Offene Fragen

Vor diesem Durchbruch liegen aber noch technische Hürden. Eine Frage ist dabei, wie Nutzer die Agents bedienen. Eine dieser Ansätze seinen auch Anstecker, Gates denkt allerdings, dass Kopfhörer sich hier als erste Plattform etablieren werden.

Ein weiterer Punkt ist auch die Verbesserung der KI-Modelle, um die unbeabsichtigte Generierung von Falschinformationen – sogenannte Halluzinationen – gerade in heiklen Bereichen wie Medizin zu verhindern. Vor dem Aufkommen verselbstständigter, "böser" Agents fürchtet sich Gates nicht, sehr wohl Sorgen bereiten ihm aber Kriminelle, die KI für böswillige Zwecke einsetzen.

Geachtet werden müsse auch auf die Privatsphäre. Nutzer müssen stets entscheiden können, auf welche Daten ein Agent Zugriff hat und dass diese auch nur mit anderen Menschen und Unternehmen geteilt werden, für die man das genehmigt hat. Geklärt werden muss auch, wem die Daten letztlich gehören, ob die Behörden sie in einem Gerichtsverfahren als Beweismaterial abfragen dürfen, welche Befehle Agents ablehnen sollen oder müssen und wer eigentlich die "Werte" festlegt, nach denen sie sich ausrichten sollen.

Langfristiger gedacht werfen die Fortschritte im Bereich KI auch Fragen zum Sinn des menschlichen Daseins auf. Denn Agents könnten eines Tages so mächtig werden, dass man hohe Lebensqualität genießen und dabei viel weniger arbeiten muss. Dann müsste man einen Weg finden, die frei gewordene Zeit konstruktiv zu füllen.

Bis zu diesem Punkt sei es aber noch "ein langer Weg", so Gates abschließend. Nun sei aber die Zeit der Agents angebrochen. "In den nächsten paar Jahren werden sie völlig verändern, wie wir leben – online und offline." (gpi, 15.11.2023)