Das EU-Parlament spricht sich gegen eine anlasslose Massenüberwachung aus. Manche Länder, allen voran Spanien, wollen dennoch daran festhalten.
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Kaum ein digitalpolitisches Thema erhitzte die Gemüter in der jüngeren Vergangenheit in der Europäischen Union mehr: Der heftig umstrittene Entwurf der EU-Kommission zur Bekämpfung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Child Sexual Abuse Material, CSAM) hätte laut Kritikern zu einer umfassenden und vor allem anlasslosen Chatkontrolle geführt. Darüber hinaus hätte der Entwurf bedeutet, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Whatsapp, Telegram, Signal und Co ausgehebelt würde. Nun hat das EU-Parlament dem Vorschlag die Zähne gezogen. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (Libe) hat am Dienstag die Position der Abgeordneten beschlossen.

Demnach dürfen Aufdeckungsanordnungen für elektronische Kommunikation nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Aufdeckungsanordnungen verpflichten die Anbieter ihrerseits nach potenziellem Missbrauchsmaterial zu suchen, was nicht nur das Scannen von Inhalten bedeutet, sondern auch Uploadfilter ins Spiel gebracht hätte. Derartige Aufdeckungsanordnungen sollen laut den Abgeordneten nur auf Einzelpersonen oder Gruppen, etwa Abonnenten eines Kanals, ausgerichtet sein und nur dann, wenn sie mit sexuellem Kindesmissbrauch in Verbindung stehen und begründete Verdachtsmomente bestehen.

Parlament möchte keine Whatsapp-Überwachung

Man habe versucht, eine Balance zu finden: einerseits einen wirksamen Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet zu führen, andererseits aber die totale Überwachung zu verhindern. Die Plattformen müssen künftig die Risiken für ihren Dienst bewerten, erst wenn die Maßnahmen zur Risikominderung nicht ausreichen, sollen gerichtlich bestätigte Aufdeckungsanordnungen eingesetzt werden, um illegales Material aufzuspüren.

Das Parlament möchte Ende-zu-Ende-verschlüsseltes Material von der Aufdeckung ausschließen – Messengerdienste wie Whatsapp, Signal oder Telegram wären damit von der Überwachung ausgenommen.

Pornoseiten müssen Altersüberprüfung einführen

Die Abgeordneten wollen zudem sicherstellen, dass pornografische Websites über angemessene Altersüberprüfungssysteme, Kennzeichnungsmechanismen für Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs und eine menschliche Inhaltsmoderation verfügen, die diese Meldungen auch bearbeitet. Um zu verhindern, dass Minderjährige online umworben werden, sogenanntes Grooming, schlagen die Abgeordneten vor, dass Dienste, die auf Kinder abzielen, standardmäßig die Zustimmung der Nutzer für unerwünschte Nachrichten erfordern, Sperr- und Stummschaltungsoptionen haben und die elterliche Kontrolle verstärken sollten.

Der Entwurf des Parlaments wurde mit 51 Ja-Stimmen bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen. Die interinstitutionellen Verhandlungen wurden mit 48 Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen genehmigt.

Verhandlungen mit dem Rat

Der Entwurf des Parlaments muss noch vom Plenum gebilligt werden. Am 20. November wird der Beginn der Verhandlungen bekanntgegeben, und die Abgeordneten haben bis zum Ende des folgenden Tages Zeit, Einspruch zu erheben. Wenn sich eine ausreichende Zahl von Abgeordneten dafür entscheidet, wird noch während derselben Sitzung darüber abgestimmt. Im Rat, der Vertretung der Länder der Union, stocken die Verhandlungen aber. Denn Spanien, das gerade die Ratspräsidentschaft inne hat, plädiert für umfassende Chatkontrolle, während sich Deutschland querlegt.

Das Thema sorgt seit Wochen für hitzige Debatten, vor allem weil der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson ein Naheverhältnis zu der angeblichen Wohltätigkeitsorganisation Thorn nachgewiesen wurde. Diese vom US-Schauspieler Ashton Kutcher gegründete Organisation soll die treibende Kraft hinter den Plänen für die anlasslose Messengerüberwachung sein und auch gleich die passende Software für die Chatkontrolle liefern.

"Wir haben immer vor der geplanten Chatkontrolle der Europäischen Kommission gewarnt und kritisiert, dass der Gesetzesentwurf nicht grundrechtskonform ist. Dass nun auch das Europäische Parlament der anlasslosen Chatkontrolle eine klare Absage erteilt hat, sehen wir als wichtigen Etappensieg", sagte der stellvertretende Klubobmann und Datenschutzsprecher der Neos, Nikolaus Scherak, nach dem Abstimmungsergebnis. Die Regierung sei nun in der Pflicht, für ein rasches Ende der anlasslosen Chatkontrolle zu sorgen, so der Politiker. (pez, 14.11.2023)