Washington – US-Präsident Joe Biden lässt weiterhin kaum Zaudern erkennen. Zwar fordert er seit rund zwei Wochen Feuerpausen im Krieg gegen die Hamas, den Israel im Gazastreifen führt. Doch die Idee eines Waffenstillstandes schlägt er aus. Ein solcher, argumentiert er ganz im Einklang mit der israelischen Regierung, würde nur der Terrorgruppe dabei helfen, sich neu aufzustellen. Überhaupt hält sich Biden mit öffentlicher Kritik an Israels Regierung massiv zurück.

Im Kongress herrscht Unruhe: Parlamentsmitarbeiter der Demokraten wollen den Israel-Kurs "ihrer" Abgeordneten nicht länger unterstützen.
AFP/MANDEL NGAN

Gelegentlich sind, so wie am Montag, Zwischentöne zu hören: Krankenhäuser müssten geschützt werden, stellte Biden da fest, ohne zu sagen, wer genau dies tun solle. Israel solle aus der US-Erfahrung vom 11. September lernen, ließ er Premier Benjamin Netanjahu bei seinem Solidaritätsbesuch in Jerusalem nach dem Terror vom 7. Oktober wissen. Deutlicher wird Biden, dessen Draht zu Netanjahu vor den Pogromen der Hamas als schwer geschädigt galt, allenfalls im direkten Gespräch mit dem israelischen Premier, wie es heißt.

Drohung mit Stimmentzug

In seiner Partei hat dieser Kurs der fast uneingeschränkten öffentlichen Unterstützung und der allenfalls privaten Kritik nicht nur Freunde. Das zeigte sich zuletzt schon mehrfach: Abgeordnete des Senats und des Repräsentantenhauses haben Biden bereits vor Wochen öffentlich kritisiert. Außerdem hat der National Muslim Democratic Council – eine lose Verbindung mancher amerikanisch-muslimischer Parteigruppen der Demokraten – schon vor knapp zwei Wochen gedroht, seine Unterstützung für Biden im kommenden Wahlkampf zurückzufahren, sollte der Präsident seinen Einfluss nicht deutlicher als bisher geltend machen.

Das ist keine ganz leere Drohung: Zwar machen Muslime in den USA einen relativ kleinen Teil der Wählerschaft aus, in einigen Swing States können ihre Stimmen aber durchaus einen Unterschied machen. In Michigan etwa leben laut Schätzungen rund 240.000 Muslime. Biden gewann den Staat im Jahr 2020 gegen Donald Trump mit rund 150.000 Stimmen Vorsprung. Die wenigsten Befragten gaben in einer Umfrage, über die NBC News jüngst berichtete, zwar an, nun statt Biden etwa Trump wählen zu wollen. Allerdings möchten demnach auch nur rund 16 Prozent Biden ihre Stimme geben.

Maskierter Protest

Nun gibt es zusätzlichen Protest an zwei für die Demokraten nicht unerheblichen Fronten. Zum einen mehrt sich das Murren unter parlamentarischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von demokratischen Abgeordneten im Kongress. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, wird von den meist jungen Menschen, die so einen Einstieg in die Welt der Politik versuchen, doch verlangt, ihre eigene Meinung hintanzustellen und öffentlich stattdessen nur jene "ihres" Abgeordneten zu vertreten. Öffentlicher Protest ist aus demselben Grund aber sehr selten. Bisher. Denn am Montagabend fanden sich rund hundert Mitarbeitende vor dem Kapitol ein.

Sie brachten rund 10.000 Nelken mit, die für die Toten im Gazasteifen stehen sollen – und sie traten bei ihrem Protest maskiert auf, um ihre Verpflichtung ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gegenüber nicht zu brechen, wie die "New York Times" schreibt. "Die Menschen in unseren Wahlkreisen fordern einen Waffenstillstand – und wir sind diejenigen, die ihre Anrufe entgegennehmen müssen", sagten drei der Demonstrierenden zu der Zeitung. Sie seien "nicht mehr damit einverstanden", diese Politik mitzutragen. Wichtig zu betonen: Die rund hundert Demonstrierenden spiegeln nicht die Meinung aller Kongressmitarbeitenden wider. Viele betonen auch offen ihre persönliche Unterstützung für den aktuellen Krieg gegen die Hamas. Nur hundert, wie der Protest vermuten lassen könnte, sind es aber auch nicht: Mehrere Hundert Mitarbeitende der Kampagnen aller aussichtsreichen demokratischen Bewerber bei der Vorwahl 2020 haben etwa Briefe mit ähnlichen Forderungen unterzeichnet.

Der "dissent channel" läuft heiß

Darüber hinaus gibt es auch zunehmenden Widerspruch in der Regierung und im US-Außenamt. Auch hier gehen Briefe um, rund 400 Regierungsmitarbeiter haben etwa ein Schreiben an Biden signiert. Außerdem sollen, erneut laut "New York Times", auch mehrere Memos im Außenamt zirkulieren, in denen Außenminister Antony Blinken aufgefordert wird, im Krieg mäßigend zu wirken. Die Forderung nach einem Waffenstillstand haben rund tausend Mitarbeitende der US-Entwicklungsagentur unterzeichnet, außerdem wird über den sogenannten "dissent channel" immer wieder Kritik laut.

Dieser diplomatische Kanal war im Vietnamkrieg eingerichtet worden, um interne Kritik am Handeln der Regierung zu sammeln. Biden hatte sich bereits vor mehreren Woche mit muslimisch-demokratischen Gruppen getroffen und war auch dabei mit einigem Widerspruch konfrontiert worden. Ob er bis zur Wahl 2024 die Wogen wieder glätten kann, ist offen. (Manuel Escher, 14.11.2023)