Nach einigen Monaten mit einer Unmenge an geheimen Finanzdaten aus Zypern kommt kaum ein Fund mehr überraschend. Reihenweise hat man schon sanktionierte russische Geschäftsleute dokumentiert, bis hoch nach fast ganz oben. Man hat Betrüger und Kriminelle aus den Tiefen der Daten-Terabytes nach oben getaucht, Yachten, Villen und millionenschwere Kunstwerke bestaunt, die anonym von Briefkastenfirmen gehalten wurden, und Verträge mit singenden Superstars und verkauften Fußballspielern sortiert.

Geldscheine und Cyprus Confidential Logo
Cyprus Confidential
Mehr als 3,6 Millionen Dokumente von sechs zyprischen Finanzdienstleistern wurden analysiert.
Collage: Lukas Friesenbichler

Aber dass der auf Russland spezialisierte, mehrfach preisgekrönte ARD-Journalist und Buchautor Hubert Seipel einwilligt, hunderttausende Euro aus dem Oligarchen-Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin für sein Buch zu bekommen – das ist dann doch erstaunlich. Zwar wurde Seipel oft als "Putin-Versteher" bezeichnet, aber dass er sich offenbar schlicht hat kaufen lassen? Hubert Seipel bestätigte auf Anfrage "Unterstützung" aus Russland für seine Buchprojekte über Russland – er bestreitet jedoch, dass diese seine Unabhängigkeit beeinträchtigt hätte.

Mehr als 3,6 Millionen Dokumente

Diese Erkenntnisse stammen, wie zahlreiche weitere, aus der internationalen Recherche "Cyprus Confidential", die auf mehr als 3,6 Millionen geleakten Dokumenten aus Zypern beruht. Schon länger war klar, dass Zyperns Handeln nicht maßgeblich von seiner Solidarität mit den anderen EU-Mitgliedern geprägt wurde, sondern eher schon von seiner Abhängigkeit von Russland und anderen fragwürdigen Regierungen. Bereits vor mehreren Jahren hat die Europäische Union ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des Verkaufs von Staatsbürgerschaften eingeleitet, das noch immer läuft. Dann marschierte Russland in die Ukraine ein und brach einen brutalen Krieg vom Zaun. Zypern steht seither zwischen den Fronten: auf der einen Seite der Westen und die EU, zu der der Inselstaat seit 2004 gehört. Auf der anderen Seite: Russland, seit Jahrzehnten eine Art Verbündeter, vor allem aber ein Quell stetigen Einkommens.

Denn noch immer spielt Zypern eine zentrale Rolle für den Reichtum der russischen Oligarchen, die sich um Putin scharen. Im Zuge der "Cyprus Confidential"-Investigation konnten etwa zwei Drittel der 104 im Forbes -Magazin gelisteten russischen Milliardäre – 67 Personen – als Kunden der Finanzdienstleister der Insel in den geleakten Daten gefunden werden. "Es befindet sich weiterhin so viel russisches Geld in Zypern, dass die Regierung von einer Finanzindustrie angetrieben wird, die zu einem großen Teil von den Gebühren russischer Kunden abhängig ist", sagt der Kreml-Kritiker Bill Browder, der einst einer der wichtigsten ausländischen Investoren in Russland war. Das Land im Mittelmeer sei nicht weniger als eine "russische Kolonie".

Sicherer Hafen für Oligarchen

Eine monatelange Recherche belegt nun erstmals konkret, in welchem Ausmaß das EU-Mitglied Zypern die russische Finanzmaschinerie befeuert, aber auch Tyrannen und Kriminellen einen sicheren Hafen gewährt. Wie das Land genutzt wird, um demokratische Institutionen anzugreifen und um mutmaßlich Sanktionen zu umgehen.

Die gemeinsame Recherche wurde vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und dem Investigativ-Start-up Paper Trail Media organisiert, die Washington Post war ebenso an Bord wie der britische Guardian und die französische Le Monde. Im deutschsprachigen Raum kooperierten DER STANDARD und der ORF exklusiv für Österreich, der Schweizer Tamedia-Verlag sowie der Spiegel und das ZDF.

Wenig überraschend tauchen in den "Cyprus Confidential"-Daten auch viele österreichische Firmen und Geschäftsleute auf. So finden sich Dokumente zu mindestens zwei bislang unbekannten Firmen des ehemaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser. Zyprische Firmen haben schon bei der Causa Buwog eine Rolle gespielt, bei der es um die Privatisierung der Bundeswohnungsgesellschaft (Buwog) in Grassers Amtszeit gegangen ist. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vermutet, dass über derartige Firmenkonstruktionen Bestechungsgelder geflossen sind. Grasser ist in der Causa Buwog zu acht Jahren Haft verurteilt worden, das Urteil ist nicht rechtskräftig, für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

In den Daten finden sich auch zwei neue Briefkastenfirmen, die Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser zugeordnet werden können – und viele Konten bei der RBI.
derStandard/Friesenbichler Foto: APA (3), Imago

Zu den zwei bislang unbekannten Firmen, die in "Cyprus Confidential" auftauchen, erklärt Grasser über Anwalt Norbert Wess, eine der Firmen sei "einmal – kurz – ein Thema" gewesen, aber "nicht verwendet" worden und "nie operativ tätig" gewesen. Die andere sei "gänzlich unbekannt". Die Firmenkonstruktionen auf Zypern seien Teil einer von Grassers damaligem Steuerberater aufgesetzten "Stiftungskonstruktion" und der Finanz gegenüber offengelegt worden. Sie seien auch Teil des Finanzstrafverfahrens gegen Grasser gewesen, das mit einem Freispruch geendet habe.

Der Investor Siegfried Wolf verwendete eine zyprische Briefkastenfirma, um eine Immobilie in bester Wiener Innenstadtlage zu kaufen. Dazu wollte sich sein Sprecher nicht äußern. Auch der in Wien lebende ukrainische Oligarch Dmitry Firtasch verwaltet seit Jahren seine Unternehmen über Zypern. Auf Anfrage ließ er mitteilen, er habe Gesellschaften in Zypern angesiedelt, weil dort "Rechtsstaatlichkeit herrscht". Die rechtliche Situation im postsowjetischen Raum sei oftmals eine komplizierte gewesen, so sein Sprecher sinngemäß.

Ebenso wie Firtasch taucht der Unternehmer Martin Schlaff, einer der reichsten Österreicher, in den Daten auf. "Wir sehen keine Veranlassung, normale Geschäftsvorgänge zu kommentieren", antwortete Schlaffs Sprecher auf die Frage, warum die Stiftung des Milliardärs Geschäfte über Zypern betreibt.

Auch zahlreiche wohlhabende Russen und Ukrainer kauften sich teure Wohnungen und Häuser in Österreich diskret über Briefkastenfirmen mit zyprischer Adresse. Darunter befindet sich etwa auch der sanktionierte russische Oligarch Roman Abramowitsch, der für eine Villa am Fuschlsee eine besonders verschachtelte Konstruktion wählte – und sich auf Anfrage dazu nicht äußerte.

Geschäfte mit Raiffeisen

Ein weiteres millionenschweres Investment, das über Zypern abgewickelt wurde, ist das Luxushotel Panhans am Semmering. Bislang unbekannte Unterlagen geben nun neue Einblicke in die Geschäfte des späteren FPÖ-Abgeordneten Thomas Schellenbacher mit ukrainischen Oligarchen.

Auch die Raiffeisen Bank International (RBI) sowie ihre Tochter, die Kathrein Privatbank, tauchen mit zahlreichen Treffern in den "Cyprus Confidential"-Daten auf – offenbar liefen zahlreiche zyprische Geschäfte über die österreichischen Banken. Dabei hatte die Raiffeisen zu einem der zyprischen Finanzdienstleister offenbar ein besonders enges Verhältnis: Ein geleaktes Meeting-Protokoll deutet darauf hin, dass die Firma jahrelang ein Wertpapierdepot bei der Raiffeisen hatte. Auf Anfrage gab die RBI an, "selbstverständlich alle anwendbaren Sanktionen" einzuhalten. Weder die RBI noch die Kathrein Privatbank hätten Dienste der zyprischen Finanzdienstleister genutzt und "niemals Dienste der genannten Firmen an KundInnen weiterempfohlen".

Die Daten der "Cyprus Confidential"-Recherche reichen zeitlich von den Neunzigerjahren bis ins Jahr 2022 und stammen von einer Reihe zyprischer Offshore-Provider, die mal mehr, mal weniger anonyme Briefkastenfirmen anbieten. Die Firmen heißen DJC Accountants, ConnectedSky, Cypcodirect, MeritServus, MeritKapital sowie Kallias and Associates. Ihre Daten wurden Paper Trail Media, dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und der Whistleblowerplattform Distributed Denial of Secrets (DDOS) zugespielt, die sie mit dem ICIJ und 68 Medien geteilt haben. ConnectedSky und Cypcodirect wiesen Fehlverhalten zurück. Letztere Firma erklärte, Opfer eines erpresserischen Hackerangriffs geworden zu sein.

Die Geldgeschäfte der Schurken

Die Kritik an Zypern ist nicht neu. Seit Jahren nennen Korruptionsbekämpfer, Ermittler und Transparenzaktivisten Zypern in einem Atemzug mit Malta, Panama und den Britischen Jungferninseln: als Staat, der wissentlich und willentlich den Schurken dieser Welt bei ihren heimlichen Geldgeschäften hilft. Etliche zyprische Politiker sind selbst in die Geschäfte verwickelt. Teile der Finanzindustrie hätten wichtige Reformen seit Jahren erfolgreich verhindert, sagt der zyprische Bankenhistoriker Alexander Apostolides. Die Finanzindustrie des Inselstaats tue Dinge, die "illegal oder zumindest unethisch" seien.

Davon lassen sich in den geleakten Daten tatsächlich genug Beispiele finden. Zum Beispiel assistierte einer der Dienstleister dem Regime des syrischen Diktators Bashar al-Assad offenbar, trotz Sanktionen an US-amerikanisches Ölbohrequipment zu gelangen. Ein iranisch-amerikanischer Milliardär wiederum konnte mit zyprischer Hilfe offenbar einen Pensionsfonds in der Karibik plündern. Und der Mörder des kroatischen Journalisten Ivo Pukanić, der 2008 mit einer Bombe getötet wurde, erhielt drei Wochen vor dem Mord 780.000 Euro von einer karibischen Briefkastenfirma, die einer der zyprischen Dienstleister verwaltete. Die Staatsanwaltschaft war damals überzeugt davon, dass die Zahlung eine Rolle in dem Mord spielte – konnte aber nicht herausfinden, wem die Firma gehörte. Nun ist klar: Sie gehörte einem bulgarischen Geschäftsmann, einem Ex-Agenten.

Nicht nur die EU, auch die USA übten in den vergangenen Jahren Druck auf Zypern aus. Immer wieder reisten amerikanische Diplomaten und Ermittler auf die Insel, wo sie, so wird es jedenfalls kolportiert, Listen mit Namen problematischer russischer Kunden übergaben, deren Konten geschlossen werden sollten. Von einem 800-seitigen Dossier berichtete der Guardian im Mai. Die USA drohten angeblich damit, den zyprischen Banken bei Nichtbeachtung den Zugang zum US-Markt abzuschneiden. Das wäre das faktische Ende fast aller internationalen Geschäfte der Banken, jedenfalls aller US-Dollar-Geschäfte.

Limassol
Die Finanzdienstleister sind unter anderem in Limassol zu finden, mit fast 110.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Zyperns.
APA/AFP/ALEX MITA

Einen Vorgeschmack gab es im Frühjahr 2023. Damals sanktionierten Großbritannien und die USA mehr als ein Dutzend Zyprer beziehungsweise zyprische Finanzdienstleister, weil sie russischen Oligarchen geholfen haben sollen, ihr Geld zu verstecken.

Darunter auch solche, die zum Zeitpunkt der Sanktionierung keine Kunden mehr waren. Allein die Firma MeritServus verwaltete mehr als 100 zyprische Firmen russischer Oligarchen, etwa des sanktionierten Kreml-Propagandisten Konstantin Malofejew.

Ein besonders prominenter MeritServus-Kunde war der inzwischen ebenfalls sanktionierte russische Milliardär Roman Abramowitsch. Ihm gehören dutzende Offshore-Firmen, die sich im Leak finden lassen. Manche davon dienen dem eher schnöden Verwalten von Beteiligungen, andere sprühen immerhin ein wenig Glitzer zwischen die Finanzdaten – etwa wenn Millionen US-Dollar für Privatkonzerte von Megastars wie Prince, Robbie Williams oder den Black Eyed Peas ausgegeben werden. Oder wenn Abramowitsch zeitweise Kunstwerke im Wert von einer Milliarde Euro in seinem Offshore-Portfolio versammelt.

Gleichzeitig belegen die Dokumente, wie Abramowitsch in seiner Zeit als Besitzer des englischen Erstligaklubs Chelsea FC sein Netzwerk aus Briefkastenfirmen offenbar verwendete, um durch geheime Zahlungen in Millionenhöhe seinem Verein einen unlauteren Vorteil zu verschaffen. Abramowitsch äußerte sich dazu nicht.

Die Rolle der Berater

In den Seiten dutzender geheimer Unterlagen finden sich wieder und wieder die steuernden Eingriffe der Mitarbeiter von PwC, einem der wichtigsten Wirtschaftsprüfungsunternehmen der Welt – und zugleich einem willfährigen Helfer von Putins engstem Zirkel. Allein für die russischen Oligarchen Alexander Abramow und Alexander Frolow dirigierten die PwC-Leute ein Offshore-Imperium aus 62 Briefkastenfirmen und Trusts auf drei Kontinenten. Weder Abramow noch Frolow nahmen dazu Stellung. Und auch auf den heimlichen Verträgen, die dem deutschen TV-Journalisten Seipel hunderttausende Euro aus dem Konzern des Oligarchen Alexej Mordaschow zusicherten, finden sich die Spuren respektive die Unterschriften der PwC-Leute.

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Die Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) mischte im Geschäft mit zyprischen Firmenkonstruktionen mit.
REUTERS/YVES HERMAN

Eine Analyse von Dokumenten und E-Mails aus den Wochen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Frühjahr 2022 zeigt, wie sehr PwC-Mitarbeiter ihren von Sanktionen bedrohten Kunden halfen, hunderte Millionen Euro zwischen Briefkastenfirmen zu verschieben. In wenigstens einem Fall könnten sie so bei dem Versuch geholfen haben, EU-Sanktionen zu umgehen. PwC erklärte, die Anwendung von Sanktionen "extrem ernst" zu nehmen, man habe sich strenge Regeln auferlegt, die "über das hinausgehen, was rechtlich erforderlich ist". Nach Russlands Angriff auf die Ukraine habe man sich von 150 Klientengruppen getrennt, 60 davon aufgrund der "umfassenderen PwC-Sanktionspolitik gegen Russland im Jahr 2022". Heute sei keiner der genannten sanktionierten russischen Oligarchen mehr PwC-Kunde.

Zypern und die "Null-Toleranz"

Nach Jahren des Wegduckens wird nun selbst Zyperns Regierung tätig, sogar eine Sondereinheit zur Umsetzung von Sanktionen wurde im März 2022 gegründet und aufgebaut. Vergangenen Mittwoch trafen sich der zyprische Präsident, mehrere Minister und der Generalstaatsanwalt zu einer Dringlichkeitssitzung – die Teil der erklärten Absicht der Regierung sei, in Fragen der "Sanktionsumgehung und der Gesetzesverstöße Null-Toleranz zu zeigen". Damit wolle man den Ruf des Landes als verlässlicher Finanzplatz wahren, erklärt ein Regierungssprecher.

Zum Zeitpunkt dieses eher überraschenden Treffens hatten die Medien der "Cyprus Confidential"-Recherche schon dutzende Anfragen an zyprische Behörden gestellt. Eine weitere der nun beschlossenen Maßnahmen ist demnach auch eine Informationskampagne, um das Image Zyperns im Ausland "zu korrigieren". An Anlass dafür wird es nicht fehlen. (Frederik Obermaier, Sophia Baumann, Carina Huppertz, Dajana Kollig, Hannes Munzinger, Bastian Obermayer, Frederik Obermaier, Ruben Schaar, Timo Schober, Sophia Stahl, Maria Christoph, Renate Graber, Fabian Schmid, Jan Michael Marchart, 14.11.2023)