Laborfleisch, Reagenzglas
Die Produktion kultivierten Fleisches steckt bisher noch in den Kinderschuhen.
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In den vergangenen Monaten hat Fleisch aus dem Labor für viel Diskussionsstoff gesorgt. In den USA wurde im Sommer der Verkauf von Laborfleisch genehmigt. In Singapur beginnen indes schon immer mehr Restaurants damit, den Gästen kultiviertes Fleisch zu servieren. Und kürzlich hat nun auch ein Start-up in der Schweiz den ersten Antrag zur Zulassung von kultiviertem Fleisch in Europa gestellt.

Zwar könnte es noch Jahre dauern, bis bei der Zulassung von Laborfleisch in der EU eine Entscheidung getroffen wird. Trotzdem sehen Bauernvertreter bereits großen Anlass, sich zu diesem Thema in Stellung bringen. Für sie ist der langsame Einzug von Laborfleisch vor allem ein Kampf der Gegensätze: Zwischen "natürlich" und "künstlich", "ursprünglich" und "hochverarbeitet", "Kleinbauer" und "Industrie", "Vielfalt" und "Massenkonsum" sowie "Regionalität" und "Weltmarkt". In der jeweils ersten Kategorie wird konsequent die heimische Landwirtschaft, in der zweiten Kategorie die Laborfleischproduktion verortet.

Angriff auf Landwirtschaft

"Fleischimitate sind ein Angriff auf die heimische Landwirtschaft", sagt Georg Strasser, Bauernbundpräsident und Obmann des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft im Österreichischen Parlament, bei einer Konferenz am Dienstag zu dem Thema. Zwar stecke die Technologie bisher noch in den Kinderschuhen. Es sei jedoch damit zu rechnen, dass die Produktion sehr schnell in die Hände von großen Industriekonzernen gerate. Die neue Technologie könnte die kleinstrukturierte Landwirtschaft und die von Landwirten geförderte Kulturlandschaft gefährden. Sollte Laborfleisch auch in Österreich eingeführt werden, sei "natürlich mit Widerstand von Bauern zu rechnen", so Strasser.

Es ist eine Vorstellung wie aus dem Bilderbuch, die Bauernverbände für die heimische Landwirtschaft entwerfen: glückliche Kühe, die auf saftig grünen Almwiesen grasen, deren Milch und Fleisch auf dem Markt im nächsten Ort verkauft wird. "Kühe produzieren gleich einen dreifachen Mehrwert: Sie nutzen Grünland, das zu steil für Ackerflächen wäre, tragen dazu bei, die Biodiversität zu erhalten und CO2 im Boden zu speichern", sagt Josef Plank, Obmann des Vereins Wirtschaften am Land. Diese Landwirtschaft habe eine lange Tradition und helfe, die Vielfalt der Fleischproduktion zu erhalten.

Kühe, Fleisch, Alm
Kühe auf der grünen Almwiese: Die idyllische Vorstellung trifft nicht auf die gesamte Fleischproduktion zu.
APA/BARBARA GINDL

Industrielle Produktion

"Es ist nicht angebracht, kultiviertes Fleisch mit der Biofleisch-Freilandhaltung zu vergleichen", sagt Aleksandra Fuchs, Wissenschafterin am Austrian Center of Industrial Biotechnology. Denn wir essen meistens nicht Rindfleisch in der Qualität, wie sie vom Positionspapier des Vereins Wirtschaften am Land angepriesen wird. Tatsächlich importiert Österreich jährlich rund 300.000 Tonnen Fleisch und 500.000 Tonnen Soja und Sojaschrot, das vor allem als Futtermittel verwendet wird. Österreicherinnen und Österreicher verzehren zudem nicht hauptsächlich Fleisch von Almrindern, sondern größtenteils Schweinefleisch, das von immer weniger Betrieben mit immer mehr Schweinen stammt. Auch Rinder stehen nicht immer auf der grünen Wiese.

Dennoch scheint den Bauernverbänden weniger Fleisch aus Massentierhaltung, sondern mehr kultiviertes Fleisch ein Dorn im Auge zu sein. "Laborfleisch ist eher mit Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten als mit normalen Lebensmittel zu vergleichen", sagt Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbandes. Während man in Österreich und der Schweiz Fleischprodukte immer mehr auf Natürlichkeit ausgerichtet habe, könnte durch Laborfleisch wieder vermehrt die industrielle Produktion Einzug halten.

Fuchs sieht es genau andersherum: Tatsächlich könne kultiviertes Fleisch im Vergleich zu Fleisch aus Massentierhaltung wieder ein Schritt in Richtung Natürlichkeit sein. Denn die Herstellung von kultiviertem Fleisch könne aufgrund des geringeren Platzbedarfs den ökonomischen Druck reduzieren, Tiere auf zu kleinen Flächen und mit Einsatz von Antibiotika zu halten, sagt Fuchs.

Frage des Tierleides

Dem Argument, wonach Laborfleisch dazu beitragen könnte, Tierleid zu reduzieren, können die Bauernvertreter jedoch wenig abgewinnen. "Dass es bei Laborfleisch kein Tierleid gibt, stimmt so nicht", sagt Plank. Denn damit die Konsistenz und der Geschmack bei Laborfleisch erreicht werden kann, seien Muskelzellen aus lebenden Tieren nötig. Das Tier stirbt bei diesem Eingriff zwar nicht, dennoch könne das mögliche Schmerzen bedeuten.

Damit die Zellen im Labor heranreifen können, brauche es zudem Blut lebender Föten, sogenanntes Kälberserum. Dafür sei die Schlachtung von Kuh und Kalb nötig, sagt Plank. Außerdem brauche die Herstellung von Laborfleisch ein Umfeld, das frei von Keimen ist, weshalb bisher nach wie vor Antibiotika zum Einsatz kommen. Auch das Argument mit der emissionsarmen Erzeugung stimme so nicht. Man brauche zwar keine Futtermittel, so Plank, dafür müsse man aber mehr Energie zuführen. Im Vergleich dazu "wachse" das Fleisch von Kühen auf der grünen Weide quasi von allein. Nicht zuletzt stelle sich die Frage nach der Gesundheit von Laborfleisch. "Hochverarbeitete Lebensmittel sind generell kritisch zu sehen. Bei Laborfleisch gehen wir schon von Grund auf in diese Richtung", sagt Plank.

Neue Alternativen

Dass bei kultiviertem Fleisch viele Antibiotika nötig seien, bestreiten Forschende. "Man kann bei kultiviertem Fleisch mittlerweile komplett ohne Antibiotika arbeiten", sagt Petra Kluger, die an der Hochschule Reutlingen zu In-vitro-Fleisch forscht. Denn die Herstellung von kultiviertem Fleisch im Bioreaktor sei ein komplett steriler Prozess. Auch die Entnahme von Muskel- und Fettzellen aus dem lebenden Tier sei nur eine Überbrückungstechnik: In Israel forsche man bereits daran, embryonale Stammzellen über viele Jahrzehnte zu vermehren und diese dann immer wieder für die Herstellung von kultiviertem Fleisch zu verwenden. Die Entnahme des ungefähr "eurogroßen" Stück Muskelgewebes eines Tieres wäre dann nicht mehr nötig.

Nicht zuletzt sei auch Kälberserum ein Auslaufmodell beziehungsweise bereits ausgelaufen. Es gebe mittlerweile einige Alternativen auf Pflanzenbasis, für die teilweise auch Reststoffe aus der Landwirtschaft verwendet werden. "Es wäre viel zu teuer, Kälberserum für die größere Produktion von kultiviertem Fleisch zu verwenden", sagt Kluger. Zudem wäre es auch ethisch fragwürdig, wenn für die Herstellung von kultiviertem Fleisch Tiere sterben müssten.

Das bestätigt auch Fuchs: Alternativen, die mithilfe unterschiedlicher Proteine und Mineralien hergestellt werden, seien nicht nur genauso effizient wie Kälberserum, sondern bieten auch den Vorteil, dass sie günstiger und einheitlicher sind und eine Übertragung von Krankheiten ausgeschlossen werden kann. Ein Vorteil, der sich auch durch kultiviertes Fleisch insgesamt ergebe: "Das Risiko, dass es bei kultiviertem Fleisch zu Krankheitsübertragungen kommt, wie dies etwa in der Massentierhaltung passieren kann, ist minimiert", sagt Fuchs.

Energieproblem lösen

Was die gesundheitlichen Auswirkungen von kultiviertem Fleisch betrifft, gibt es bisher noch keine aussagekräftigen Ergebnisse. Dafür müsste das Fleisch erst einmal von mehr Menschen probiert werden und über einen längeren Zeitraum untersucht werden. Fest steht jedoch: Auch der übermäßige Verzehr von konventionellem Fleisch ist ungesund. So belegten Studien schon vor vielen Jahren, dass ein zu hoher Konsum von Fleisch das Risiko für Herzerkrankungen und Diabetes erhöht.

Lediglich beim Energieverbrauch stimmt Fuchs den Bauernvertretern zu. "Die Herstellung von kultiviertem Fleisch braucht derzeit noch sehr viel Energie", sagt sie. Allerdings werde auch in diesem Bereich bereits intensiv an Verbesserungen gearbeitet, beispielsweise durch den Einsatz von Bioreaktoren, die kleiner und effizienter sind. "Es spricht zudem nichts dagegen, dass die Energie für die Bioreaktoren zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen kommt", sagt Fuchs.

Laborfleisch, USA
In den USA ist der Verkauf von kultiviertem Hühnerfleisch seit kurzem erlaubt. Noch sind die Mengen jedoch sehr überschaubar.
GETTY IMAGES NORTH AMERICA/JUSTI

Kooperation statt Konkurrenz

Dass Fleisch aus dem Labor die biologische Landwirtschaft gefährden soll, halten die Wissenschafterinnen für unbegründet. "Erstens halte ich es für absolut unmöglich, dass morgen ein riesiger Bioreaktor aufgestellt wird, mit dem plötzlich kultiviertes Fleisch in Massen produziert wird", sagt Fuchs. Denn dafür fehle es einerseits an Genehmigungen, andererseits an geeigneter Infrastruktur. Bis kultiviertes Fleisch bei uns in den Regalen landet, könnte es noch viele Jahre dauern.

Zweitens können kultiviertes Fleisch, Biofleisch und kleinere Landwirte letztlich alle voneinander profitieren, sagt Fuchs. Landwirte könnten beispielsweise Muskelzellen und Medienkomponente für kultiviertes Fleisch zuliefern – oder gleich selbst zu Produzenten von kultiviertem Fleisch werden. "Der Prozess ähnelt stark dem des Bierbrauens", sagt die Expertin.

Auch pflanzliche Zusatzstoffe, die für die Herstellung von kultiviertem Fleisch benötigt werden, könnten Landwirte zuliefern und sich damit ein zweites finanzielles Standbein aufbauen, sagt Kluger. Ziel sei, dass kultiviertes Fleisch eines Tages Fleisch aus nicht artgerechter Haltung ersetzt. Das könne auch Druck von Landwirten nehmen und ihnen die Möglichkeit bieten, sich auf eine artgerechte Tierhaltung zu konzentrieren. "Von der industriellen Tierhaltung, wie wir sie jetzt haben, profitiert keiner", sagt Kluger, "weder der Landwirt noch das Tier."

Mehr Transparenz

"Laborfleisch müsste jedenfalls eindeutig als solches gekennzeichnet werden", fordert Bauernbund-Präsident Strasser. Diese Transparenz sei bei neuen Produkten besonders wichtig, damit Konsumenten diese gut unterscheiden können.

Dieselbe Transparenz fordern Umweltorganisationen wie der WWF seit Jahren auch für konventionelles Fleisch – beispielsweise wenn es um die Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie geht. Auch das würde laut WWF die heimische Landwirtschaft von "Billigfleisch" entlasten. (Jakob Pallinger, 16.11.2023)

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