Frau bei Feldarbeit
Die Situation von Frauen in Tansania ist oft sehr prekär: Männer stehen in der Hierarchie deutlich über den Frauen, und Frauen finden sich in starren Geschlechterrollen wieder.
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Um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist es in Tansania nicht sehr gut bestellt. Der Mann steht in der Hierarchie meist deutlich über der Frau. Ihr ist die Rolle als Hausfrau und Kindeserzieherin zugedacht. Häusliche Gewalt, auch sexuelle, gegen Frauen ist weitverbreitet. Genitalverstümmelung, obschon seit Jahrzehnten illegal, ist nach wie vor Realität. Die tansanische Regierung ist bemüht, das Problem mithilfe von Gesetzen einzudämmen. Das ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass mit Samia Suluhu Hassan seit 2021 eine Frau als Präsidentin an der Spitze des Staates steht.

"Es gibt viele Bemühungen seitens der Regierung, aber das Problem existiert weiter", sagt Zena Mnasi Mabeyo, Wissenschafterin am Institute of Social Work in der tansanischen Stadt Daressalam. "Aktuelle Statistiken zeigen, dass fast 40 Prozent aller Frauen bereits körperliche Gewalt erfahren haben und rund 17 Prozent sexuelle Gewalt." Gemeinsam mit Helmut Spitzer, Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kärnten, untersucht sie im Rahmen des Forschungsprojekts Protecting Women in Tanzania: Prevention of Gender-based Violence through Indigenous Approaches (PROWOMEN) die Ursachen für diesen tristen Befund. Mehr noch aber suchen sie nach Lösungen. Und zwar – das ist die Besonderheit des Projekts – nach Lösungen, die eine Fundierung in den indigenen Kulturen Tansanias besitzen. Kürzlich stellten Mabeyo und Spitzer ihr Projekt in Wien im Rahmen der 3rd General Assembly in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vor.

Positive Normen

"Eine Ursache des Problems ist, dass bei Gewalt gegen Frauen immer negative Normen im Spiel sind", sagt Mabeyo. "Unser Forschungsfokus ist, positive Normen, Werte und Ansätze in den traditionellen indigenen Gesellschaften zu identifizieren, die zu einer Lösung führen können." Dies soll erfolgen, indem die positiven Normen über Sozialarbeit ins Bewusstsein der Menschen gelangen und dort eines Tages ihre negativen Pendants ersetzen. Letztlich ist also die Generierung neuer Formen des Wissens das Ziel.

Eines der Probleme ist zum Beispiel das Phänomen, dass Mädchen oder junge Frauen oft von ihren Eltern verheiratet werden. "Der Ehemann für die Tochter wird aufgrund von wirtschaftlichen Erwägungen oder Beziehungen zwischen den Familien ausgewählt", meint Mabeyo. "Oft ist keine Liebe im Spiel. Und oft ist der Mann viel älter als die Frau."

Initiationsrituale

Als eine alternative Sichtweise verweist sie auf traditionelle Initiationsrituale, in denen junge Menschen von den Eltern, den Stammesältesten oder der Dorfgemeinschaft gleichsam ins Erwachsenenleben eingeführt werden. "Die jungen Menschen lernen dabei, was im Erwachsenenleben von ihnen erwartet wird", sagt die Forscherin. "Aber auch, wie sie besser mit einem Partner zusammenleben können, wie man mit Missverständnissen umgeht, wie man Gewalt vermeidet."

Oft entstünden Probleme auch daraus, dass Frauen arbeiten gehen, statt zu Hause zu bleiben, sich womöglich sogar dagegen entscheiden, Kinder zu bekommen – und falls doch, diese schon früh in Betreuung gegeben werden. Damit kommen viele Männer nicht zurecht. "Die sozialen Rollen geben den Geschlechtern heute nicht den Schutz und die Sicherheit wie früher", sagt Mabeyo. Sie ist der Ansicht, dass man Männer und Frauen darin schulen muss, die Auswirkungen des Globalen und der Moderne zu verstehen und dieses Wissen in ihre persönlichen Beziehungen zu integrieren.

Tradition und Moderne

Probleme mittels derselben Tradition lösen, in der diese Probleme entstanden sind – kann das funktionieren? Das sei nur ein scheinbarer Widerspruch, betont Spitzer: "Wir erleben hier ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne", lautet seine Diagnose. "Die Moderne in Afrika ist etwas anderes als die Moderne in Europa oder Amerika. Hier entsteht gerade etwas völlig Neues, und es ist noch nicht absehbar, wohin es führen wird."

So meinten etwa viele der im Rahmen der Studie befragten Teilnehmer und Teilnehmerinnen, dass das Internet und die sozialen Medien dazu beitragen, Informationen zu verbreiten, dass Mädchen Rechte haben, nicht alles Traditionelle unhinterfragt zu akzeptieren. Auf der anderen Seite stehen westliche Technologien für den Verlust dessen, worin die Geschichte des Landes und ihre Kultur geboren worden sind. Die Schwierigkeit, in solchen Spannungssituationen Orientierung zu finden, begünstige das Auftreten von Gewalt als scheinbarer Lösung, sagt Spitzer.

Die Gegenmittel Aufklärung und Bildung können über Sozialarbeit und Schulen, also durch Bildung, erfolgen. Die Ergebnisse des österreichisch-tansanischen Forschungsprojekts sollen deshalb nicht nur in Workshops und wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht werden, sondern auch in die Lehrpläne der Ausbildungseinrichtungen von Sozialarbeitern Einzug halten. (Raimund Lang, 20.11.2023)