Abramowitsch 
Abramowitsch soll stets der tatsächliche Eigentümer einer Villa am Fuschlsee gewesen sein.
derStandard/Friesenbichler Foto: APA (3), Reuters, Maria Retter

Der Hauptdarsteller dieser Geschichte hat, soweit es diese Geschichte betrifft, weder einen Namen noch ein Gesicht. Sein Rechtsberater hat einer identifizierenden Berichterstattung widersprochen. Der Mandant sei "keine Person des öffentlichen Interesses" und habe "keinen sachlichen Anlass zur Nennung seines Namens gegeben", teilte der Wiener Anwalt Thomas Voppichler den recherchierenden Medien auf Anfrage mit.

Das ist einerseits zu respektieren und andererseits auch irgendwie bedauerlich. Denn der Werdegang des 51-jährigen Kochs ließe sich auch als Erfolgsgeschichte inszenieren.

Sie erzählt von einem Tiroler, der sich Anfang der 1990er-Jahre in einem burgenländischen Haubenlokal erste Sporen verdient hatte, ehe er eine Anstellung bei einem Londoner Starkoch fand und schließlich Ende 1997 in die Dienste eines Mannes eintrat, von dessen Seite er über viele Jahre nicht mehr weichen sollte: Roman Abramowitsch.

Der Putin-Vertraute

Der russische Oligarch und Ex-Politiker gilt als einer der reichsten Menschen der Welt und als Vertrauter des russischen Präsidenten. Auch deshalb steht er seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine auf Sanktionslisten, unter anderem der EU und Großbritanniens.

Abramowitsch, groß geworden im Geschäft mit Öl und Aluminium, hatte Ende der 1990er-Jahre begonnen, die Offshore-Welt für sich zu erschließen, Zypern spielte dabei eine bedeutende Rolle. Rund um Abramowitschs zentralen zyprischen "HF Trust" entstand im Laufe der Jahre ein undurchschaubares Netz aus Briefkastenfirmen, deren Spuren auch nach Österreich führen. So gab es einst Konten bei der Raiffeisenbank International (RBI), auch der Kauf einer Villa am Fuschlsee wurde Abramowitsch zugerechnet.

Abramowitsch 2015 bei einem Spiel des Chelsea FC.
imago images/Shutterstock

Die nun im Rahmen des Projekts "Cyprus Confidential" des International Consortium of Investigative Journalists (ICJI) von STANDARD, ORF und Paper Trail Media ausgewerteten Dokumente fügen Abramowitschs Offshore-Puzzle neue Teile hinzu. Und das führt zurück zum eigentlichen Protagonisten dieser Geschichte, der ungeachtet der Prominenz seines Dienstgebers anonym bleiben muss.

Der Name des Tirolers taucht in den Datensätzen an mehreren Stellen auf. So hatte er bis vor einigen Jahren etwa die Funktion eines "Protektors" in zwei Trust-Konstruktionen, deren Begünstigter Roman Abramowitsch war. Ein Protektor überwacht den Treuhänder bei der Erfüllung seiner vertraglich festgelegten Pflichten. Bis heute fungiert er auch als Vertreter einer Firma, die ein Anwesen von Abramowitsch in der Karibik verwaltet.

Das ist deshalb einigermaßen überraschend, als der Mann ja einst als Abramowitschs Leibkoch begonnen hatte. In öffentlich zugänglichen Quellen ist nicht viel über seine Vita zu erfahren, wer seinen Namen googelt, findet kein einziges Foto von ihm. Wer wusste, wie der Mann aussieht, konnte ihn früher aber immer wieder mit Abramowitsch bei Spielen des FC Chelsea entdecken, damals ein Spielzeug des Russen.

"Fantastische Reisen"

2011 trat er als Zeuge in einem Londoner Zivilprozess auf, den ein früherer Geschäftspartner von Abramowitsch gegen den Oligarchen angestrengt hatte. Man stritt um angeblich gebrochene Absprachen, es ging um Milliarden. Im Zeugenstand gewährte der Österreicher Einblicke in das Leben als "private personal live-in chef" des Oligarchen. Demnach hatte er Ende 1997 im Alter von 25 Jahren bei Abramowitsch angedockt und sich nach und nach dessen Vertrauen erkocht.

Er bespielte Küchen in Villen und Chalets an der französischen Riviera, Antibes, St. Jean-Cap Ferrat, im Wintersportort Megève, auf Yachten, einfach überall da, wo Abramowitsch gerade war. "Ich habe unglaubliche Orte gesehen und hatte fantastische Reisen mit Herrn Abramowitsch", sagte er unter anderem. Auf die Frage, ob ihm Abramowitsch vertraue, entgegnete er: "Das hoffe ich."

Die Klage wurde zugunsten von Abramowitsch abgewiesen. Die Richterin hatte den Aussagen des Tirolers bei der Urteilsbegründung durchaus Gewicht beigemessen.

Persönlicher Assistent

Zu dieser Zeit war der Koch, der auch einige Zeit in Moskau verbracht hatte, seiner ursprünglichen Rolle längst entwachsen, er war da schon mehr Abramowitschs persönlicher Assistent und Projektmanager.

Sein Mandant sei als Abramowitschs Assistent "hauptsächlich mit der Betreuung von Immobilien betraut" gewesen, schreibt Rechtsanwalt Voppichler in seiner Stellungnahme. Die Frage nach seinem Lebensmittelpunkt blieb unbeantwortet, der gelernte Koch hat allerdings bis heute eine Meldeadresse im Burgenland, die auch in den vorliegenden Datensätzen immer wieder auftaucht.

So unter anderem in einem Dokument, das im Nachgang zum erwähnten Immobiliendeal am Fuschlsee aufgesetzt wurde, der viel über das geschäftliche Selbstverständnis reicher Russen erzählt. Man kauft Luxusimmobilien, ohne je in Erscheinung zu treten, den Papierkram erledigen helfende Hände. Die offizielle Lesart: Eine britische Vertraute von Abramowitsch erwarb 2007 von der Unternehmerfamilie Lieben-Seutter das 1637 erbaute "Fischerhaus", eine Seeliegenschaft am Südufer des Fuschlsees, für 11,3 Millionen Euro.

"Mit 640 Laufmetern, die unmittelbaren Seezugang bieten, gilt die Parzelle als Prachtgrundstück", schrieben die Salzburger Nachrichten 2008.

Strohfrau am Fuschlsee

Zwei Jahre später bekam Abramowitschs Koch und Assistent von der Britin eine Vollmacht ausgestellt, die damals eingeleitete Sanierung des "Fischerhauses"zu überwachen und die entsprechenden Verträge abzuschließen.

2017 wechselte die Liegenschaft ein weiteres Mal die Besitzerin: Die Vertraute der Familie schenkte das Objekt Anna Abramowitsch, einer Tochter des Oligarchen. Die Dokumente aus dem "Cyprus Confidential"-Leak erzählen nun die Geschichte dahinter: Tatsächlich hatte nicht die Britin den Ankauf der Seevilla finanziert, sondern eine Briefkastenfirma von Roman Abramowitsch namens Farleigh International Limited mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Formell schloss Farleigh mit ihr am 6. Juli 2007 einen Kreditvertrag über 15 Millionen Euro, der bis 2015 mehrfach verlängert wurde, auch um die späteren Sanierungsarbeiten zu bezahlen. 2017 wurde der Vertrag schließlich aufgelöst. In einer Treuhandurkunde vom 3. April 2017 wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Britin niemals die wirtschaftliche Eigentümerin der Liegenschaft gewesen sei, sondern als Treuhänderin für Farleigh International und deren letztlichen Eigentümer agiert habe: Abramowitsch. Farleigh verzichtete auf alle Forderungen gegenüber der Vertrauten.

Fuschlsee
Die idyllische Villa am Fuschlsee gehört offiziell Abramowitschs Tochter Anna.
Maria Retter

Die Millionen, die sie sich auf dem Papier geliehen hatte, musste sie nie zurückzahlen. Im selben Jahr schenkte die Britin die Liegenschaft Abramowitschs Tochter. Die Frau agierte offenbar als Strohfrau für den Oligarchen. Wussten das die Behörden? In ihrer Arbeit müssten sie sich auf das Grundbuch verlassen, erklärt der damalige Amtsleiter der Gemeinde Fuschl am See, Erwin Klaushofer, dem STANDARD. "Wir hatten keine Möglichkeit, nachzuvollziehen, dass das Anwesen eigentlich Abramowitsch gehört."

Dass die Liegenschaft am Fuschlsee trotz eindeutiger Zurechnung zu Abramowitsch "EU-sanktionsrechtlich relevant wäre", hält der Jurist und Sanktionsexperte Christoph Haid "zwar nicht für ausgeschlossen, aber zumindest weit hergeholt".

DER STANDARD schaute vergangene Woche am Fuschlsee vorbei. Vom Uferweg aus hat man immer wieder freien Blick in den weitläufigen Garten. Es gibt keine hohe Mauer, die Bäume der Hecke lichten sich in Vorbereitung auf den Winter. Soweit sichtbar ist die Sanierung des imposanten "Fischerhauses" mit seinen hellgrauen Schindeldächern abgeschlossen, das Anwesen in exzellentem Zustand. Während des Lokalaugenscheins waren mehrere Leute mit Gartenarbeiten beschäftigt, sprechen wollte niemand.

"Da fehlt nichts!"

Auf das Klingeln am Tor meldete sich eine Österreicherin, die nicht mehr sagte als: "Wir werden keine Fragen beantworten, auf Wiedersehen!" Auskunftsfreudiger war hingegen der 80-jährige Nachbar, der angab, Abramowitsch und seine Tochter des Öfteren gesehen zu haben. Probleme habe es nie gegeben. "Da fehlt nichts!" Abramowitschs Koch habe er als "Manager" des Anwesens und "Vermittler von der Engländerin, die den Kauf in die Wege geleitet hat", wahrgenommen.

Welche Rolle Abramowitschs Koch rund um das Villenprojekt am Fuschlsee einnahm, wollte sein Anwalt Thomas Voppichler wiederum nicht näher ausführen. Als Abramowitschs Assistent sei der Mandant auch mit der Besichtigung von Immobilien beschäftigt gewesen und habe gelegentlich Kontakt zu Immobilienmaklern gehabt, heißt es in der Stellungnahme.

Auch der ehemalige Amtsleiter Klaushofer hatte mit ihm Kontakt. Dass er einst für Abramowitsch kochte, wusste er nicht.

Aus den Datensätzen geht jedenfalls hervor, dass der Österreicher zu einem kleinen Kreis von Leuten gehörte, die Abramowitsch mit der Überwachung seines in "Trusts" geparkten Vermögens betraute. In der Stellungnahme schreibt sein Anwalt dazu: "Unser Mandant war unentgeltlich in der Funktion eines Protektors, das ist ein Überwachungsorgan im Trust-Recht, für zwei Trusts tätig, deren Begünstigter vormals Roman Abramovich war. Der Funktion des Protektors obliegt die Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen des Treuhänders; über die Mittel des Trusts hat ein Protektor keine Kontrolle und keine Verfügungsbefugnis. Zu keinem Zeitpunkt war unser Mandant Treuhänder (Trustee) dieser oder anderer Trusts."

Die Sanktionen gegen Abramowitsch hatten auch Folgen für sein Netzwerk, der Österreicher an seiner Seite trat 2022 von seinen Funktionen in den Trusts zurück, eine Londoner Firma wurde liquidiert. Und das Anwesen auf den französischen Antillen, das er für Abramowitsch verwaltet, wurde auf Anordnung der Behörden eingefroren. Als Rückzugsort bliebe dem früheren Koch allerdings immer noch – das Burgenland. (Michael Nikbakhsh, Fabian Schmid, Timo Schober, Maria Retter, 16.11.2023)