Angelobung von Wiener Polizisten während des Nationalsozialismus
Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Polizei in der Wiener Innenstadt auf den nationalsozialistischen Diktator Adolf Hitler vereidigt.
Scherl / SZ-Photo / picturedesk.

Berggasse 41, das ist in Wien seit 120 Jahren eine besondere Adresse. Hier im Bezirk Alsergrund befindet sich bis heute die Zentrale der Kriminalpolizei. Das angeschlossene Polizeianhaltezentrum taufte der Volksmund "Liesl", weil der Eingang zum Untersuchungsgefängnis ums Eck in der Elisabethpromenade lag. Und obwohl der korrekte Straßenname vor 1903 und seit 1919 wieder Rossauer Lände heißt, ist "die Liesl" bis heute ein gängiger Begriff. Wienerinnen und Wiener lieben solche G'schichtln. Zeitgeschichte hingegen, vor allem die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, blieb lange ein blinder Fleck. Zur Rolle der Wiener Kriminalpolizei während des Naziregimes gibt es fast keine Veröffentlichungen. Der frühere Kripo-Chef Ernst Geiger will das mit seinem neuen Buch "Berggase 41 – Die Wiener Kripo in der Nazizeit" (erschienen im Verlag Edition A) ändern.

25 Jahre im Sicherheitsbüro

Kriminalist Geiger ging selbst 25 Jahre lang in der Berggasse 41 ein und aus. Er war Leiter der Mordkommission und Vizechef des Wiener Sicherheitsbüros, das in den 2000er-Jahren vom Landeskriminalamt abgelöst wurde. Zuletzt war Geiger in leitender Funktion im Bundeskriminalamt tätig, Ende 2017 trat er in den Ruhestand. In Geigers Amtszeit fielen zahlreiche spektakuläre Kriminalfälle, darunter die Ermittlungen zum Frauenmörder Jack Unterweger und zu den Mordschwestern von Lainz. Zwei seiner Fälle hat der 69-Jährige bisher zu Büchern verarbeitet: die sogenannten Mädchenmorde von Favoriten und den Diebstahl der Saliera. "Berggase 41" ist sein erstes zeitgeschichtliches Werk, für das er akribisch in zahlreichen Archiven und Bibliotheken recherchierte und sich fachkundige Unterstützung von Historikerinnen und Historikern holte.

Warum er sich drei Jahre lang durch historische Unterlagen wühlte? "Ich habe in der Kriminalpolizei alle Stufen mitgemacht, kenne den Behördenapparat und die Ermittlungsarbeit. Ich wollte wissen, wie sich meine Vorgänger in schwierigen Zeiten verhalten haben", sagte Geiger am Freitagabend bei der Erstpräsentation des Buches in der Buchhandlung Morawa in der Wiener Innenstadt dem STANDARD. Da er zum Thema kein aktuelles Buch gefunden habe, "musste ich selbst eines schreiben". Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das gerade an einem Forschungsprojekt des Innenministeriums zur Aufarbeitung der Polizeiarbeit zwischen 1938 und 1945 beteiligt ist, attestiert anerkennend, dass Ernst Geiger eine Lücke geschlossen habe.

Ernst Geiger mit seinem neuen Buch
Ernst Geiger fand kein Buch über die Wiener Kripo während des Nationalsozialismus, also schrieb er selbst eines.
Michael Simoner

Die Übernahme der Polizei durch die Nationalsozialisten war wie in allen staatlichen Institutionen in den Jahren zuvor vorbereitet worden. Die Infiltrierung bei der Wiener Kripo begann 1933. Am Abend des Einmarsches der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938 berichtete Ernst Kaltenbrunner, Leiter der illegalen österreichischen SS, dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, dass die Exekutive fast hundertprozentig zuverlässig sei und er "die Ausnahmen bald reparieren" werde. In der Wiener Kriminalpolizei gab es kaum Widerstand. Aus dem Sicherheitsbüro ist überliefert, dass sich ein leitender Beamter darüber beschwerte, dass er in unwürdiger Weise von Kriminalbeamten gewaltsam aus seinem Arbeitszimmer entfernt worden sei. Ein Großteil der Beamten passte sich der neuen Macht an, um Dienstverhältnisse und Existenzgrundlage zu erhalten.

Karriere nach dem Krieg

Der Teil der Kriminalbeamten, die bereits mit der NSDAP sympathisiert hatten und über Verbindungen zu illegalen Nationalsozialisten verfügten, versuchte die Gunst der Stunde für einen Karrieresprung zu nützen. Von den damals im Dienst befindlichen Beamten der Wiener Kriminalpolizei sei es aber keinem gelungen, eine wirklich große Karriere im NS-Staat zu machen, so Geiger. Dennoch ging das Verhalten vieler Kriminalisten über reines Mitläufertum hinaus. Und in den Führungsetagen kamen ausschließlich NSDAP-Mitglieder zum Einsatz. Manchen gelang es, nach dem Zweiten Weltkrieg weiter Kariere zu machen. Karl Zechenter etwa, SS-Obersturmbannführer und letzter Wiener Kripochef während des Naziregimes, schaffte es 1966 bis zum Sicherheitsdirektor von Oberösterreich.

Erster Interpol-Generalsekretär

Geiger hat in seinem Buch insgesamt 49 Einzelbiografien eingebaut, die die Geschichte der Wiener Kripo sehr lebendig darstellen. Erwähnt sei hier der Polizeijurist Otto Dressler. Er war der erste Generalsekretär der 1923 in Wien gegründeten Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IPK), die heute als Interpol mit Sitz in Lyon bekannt ist und die kommende Woche in Wien eine große Jubiläumsveranstaltung abhält. Dressler sprach mehrere Sprachen, galt als Spitzenjurist und war ab 1934 Kripochef in Wien. Der Umbruch im Jahr 1938 traf den Ständestaat-Musterbeamten "wie ein Keulenschlag", wie Geiger schreibt. Um nach seiner Absetzung im Behördenapparat über die Runden zu kommen, musste er NSDAP-Mitglied werden. Wie bei derartigen Interventionen häufig der Fall, erhielt er eine gefälschte niedrige Mitgliedsnummer, die zeigen sollte, dass er den Nationalsozialisten schon lange verbunden sei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fiel ihm allerdings genau diese niedrige NSDAP-Nummer auf den Kopf, weil sie ihn als illegalen Nazi identifizierte, der er eigentlich gar nicht war. Aus der Polizei geworfen war Dressler jahrelang völlig mittellos, erst 1954 wurde ihm eine kleine Pension gewährt, fünf Jahre später starb er.

Wenige SS-Mitglieder in der Kripo

Obwohl Heinrich Himmler, einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust, als Reichsinnenminister die Kriminalpolizei und die nationalsozialistische Schutzstaffel (SS) verschmelzen wollte, blieb der SS-Anteil bei der Wiener Kripo immer gering. In der Sammlung des Leiters des Kriminalmuseums, Harald Seyrl, fand Geiger ein originales Namensverzeichnis, wonach im Jahr 1943 rund 14 Prozent der 616 Kriminalbeamten SS-Mitglieder waren. Geiger führt das auch darauf zurück, dass viele ältere Kripobeamte sich einfach nicht der anstrengenden Prozedur zur Aufnahme unterwerfen wollten oder konnten. Zu den SS-Aufnahmetests gehörten unter anderem ein 3.000-Meter-Lauf, Weitsprung und Kugelstoßen.

Verhältnis zur Gestapo

Auch zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis mit ihrer Zentrale im Hotel Métropole am nahegelegenen Morzinplatz hatte die Wiener Kripo ein gespanntes Verhältnis. Vor allem der Umstand, dass die Kripo dauernd Personal an die Gestapo abgeben musste, sorgte in der Berggasse für Unmut. Einen Beweis für den Mythos "saubere Kripo – verbrecherische Gestapo" fand Geiger bei seinen Recherchen aber nicht. Auch die Kripo ließ Menschen, die im Nazijargon als asozial bezeichnet wurden, verschwinden. Die sogenannte Vorbeugungshaft konnte ohne richterliche Veranlassung verhängt werden. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden der Gestapo ausgeliefert. Ebenso Arier, die Beziehungen zu Jüdinnen und Juden hatten. Die Kripo selbst kerkerte unter anderem Homosexuelle ein und Angehörige der Roma und Sinti, deren Auslöschung die Nazis ebenfalls von Anfang an geplant hatten.

Zuständig für "Zigeunerlager"

Die Erfüllung dieses "Zigeuner-Auftrages" ist für Geiger neben der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung überhaupt das schlimmste Verbrechen, dessen sich die Wiener Kripo schuldig gemacht hat. Sie war zuständig für das "Zigeunerlager" in Lackenbach im Burgenland, wo tausende Roma und Sinti ermordet wurden beziehungsweise die katastrophalen Zustände nicht überlebten. Die beiden Lagerleiter Hans Kollross und Franz Langmüller wurden von Überlebenden als sadistische Tyrannen beschrieben, denen das Quälen Freude bereitet habe. Kollross starb wie zahlreiche Internierte im Lager an Typhus, sein Kripokollege Langmüller wurde nach dem Krieg zu nur einem Jahr Gefängnis verurteilt. (Michael Simoner, 18.11.2023)