Lena Schilling
Lena Schilling ist wütend und grantig. Die Klimaschutzbewegung hat vieles bewegt, doch letztendlich wenig erreicht. "An diesem Punkt kehrt einfach eine gewisse Frustration ein, dort stehen wir gerade."
Heribert Corn

Die Klimabewegung steckt in der Krise, international, aber auch in Österreich. Verschiedene Initiativen von Aktivistinnen treten in Konkurrenz zueinander. Greta Thunberg trägt gerade viel dazu bei, die Klimabewegung in Misskredit zu bringen. Lena Schilling, eine der prominentesten Galionsfiguren in Österreich, wird heftig von Parteien umworben. Wo die Klimabewegung steht und was sie selbst bewegt, erklärt sie im Interview.

STANDARD: Sowohl die SPÖ als auch die Grünen sollen sich intensiv um Sie bemühen und wollen Sie zu einer Kandidatur überreden. Wird das noch etwas, sind Sie in Verhandlungen, oder haben Sie schon abgesagt?

Schilling: Gerade jetzt könnte ich gar keine Entscheidung treffen. Die Gemengelage ist viel zu groß. Solche Gerüchte und Anfragen gab's immer schon, seit ich als Aktivistin angefangen habe. Mit 18 bin ich das erste Mal gefragt worden, ob ich nicht in die Politik will.

STANDARD: Wer war das?

Schilling: Das war die SPÖ.

STANDARD: Die ja in der Auseinandersetzung mit der Klimabewegung ein respektables Feindbild ist.

Schilling: Ich wünsche mir, dass das anders wird. Ich bin gestern in einem Format mit Andi Schieder gesessen. Wir sind ordentlich aneinandergekracht. Das ist schade, weil ich mir immer wieder denke, eigentlich ist die Klimafrage im Kern eine soziale Frage. Die Grünen sind die einzige Partei, die glaubwürdig Klimaschutz vertritt, das ist extrem schade. Das ist auch etwas, was mich wütend macht. Das ist kein Nischenthema mehr, das man irgendwem überlassen kann. Das beschäftigt mich bei der Frage von Parteien und Kandidaturen.

STANDARD: Das heißt, es ist nicht ausgeschlossen, dass Sie sich auch für die SPÖ engagieren würden?

Schilling: Ausschließen kann ich gar nichts. Aber es ist nichts, was jetzt ansteht. In dieser aktuellen Gemengelage habe ich vor allem ein sehr großes Verantwortungsgefühl gegenüber meiner Bewegung.

STANDARD: Also keine Kandidatur bei der Europawahl.

Schilling: Ich kann diese Entscheidung jetzt in der Sekunde nicht treffen, gerade in einer Situation, in der sich internationale Krisen immer mehr zuspitzen. Bin ich die beste Expertin zu außenpolitischen Konflikten? Wahrscheinlich nicht. Meine Agenda ist, und das war es immer, den Klimaschutz voranzutreiben. Dafür stehe ich. Man sollte das aber nicht an meiner Person festmachen, sondern an der Frage von Wirksamkeit. Gerade jetzt, wo das Klimathema wieder ein bisschen vom Tisch gewischt wurde.

STANDARD: Was wollen denn die Parteien von Ihnen, was glauben Sie? Geht's da um die Person, das Alter, das Anliegen?

Schilling: Es ist prinzipiell schade, dass nur sehr wenig junge Menschen in die Politik gehen. Die Anliegen von jungen Menschen werden auch nicht besonders gut vertreten, nämlich bei keiner Partei. Das ist ein demokratisches Problem. Junge Menschen haben weniger Lust, zur Wahl zu gehen, sie haben weniger Vertrauen in Regierungen und Parlamente. Das ist schon etwas, was ich gerne verändern würde. Es wäre wichtig, dass junge Menschen mehr an demokratischen Prozessen teilnehmen können und gehört werden. Ich stehe mittlerweile für eine Bewegung, in der sich ganz viele junge Menschen engagieren. Da gehen Tausende auf die Straße. Für mich ist das kein einfacher Schritt zu sagen, ich entscheide mich für diesen oder jenen Weg. Ich habe nicht alleine irgendeine Arbeit geleistet, wir sind ein Kollektiv, ich bin die Sprecherin. Ich fühle da eine Riesenverantwortung den anderen gegenüber.

Lena Schilling
Derzeit hat Lena Schilling mehr Fragen als Antworten. Sie muss sich entscheiden, ob sie in die Politik geht oder bei ihrer Bewegung bleibt.
Heribert Corn

STANDARD: Es gibt auch den Vorwurf, Sie nähmen sich selbst zu wichtig und spielten sich zu sehr in den Vordergrund.

Schilling: Als wir angefangen haben, waren wir drei Sprecherinnen und haben das immer wieder gewechselt. Vielleicht war ich manchmal zu hart zu mir und kann schlechter Grenzen setzen. Ich tue mir schwer damit, in solchen Momenten Verantwortung abzugeben. Und dann mache ich das halt jetzt schon fünf Jahre und bin durch ganz verschiedene Bewegungsphasen gegangen. Ich habe das Gefühl, einen guten Rückhalt in der Bewegung zu haben. Wenn es Phasen gibt, wo man nicht über die Klimabewegung spricht, ist es vielleicht gut, dass ich eine Kolumne habe und Themen setzen kann. Ehrlicherweise wünsche ich mir aber, dass sich mehr einzelne Personen hervortun.

STANDARD: Warum ist es so, dass sich so wenige junge Menschen in die Politik trauen? Oder liegt es an den Parteien, die daran kein Interesse haben?

Schilling: In erster Linie wird uns doch die ganze Zeit gesagt, wir sollen den Mund halten. Wenn wir politisch aktiv sind, wenn wir laut und wütend sind, dann sind wir zu radikal. Wenn wir das nicht tun, heißt es, wir hängen nur am Handy und sind Konsumopfer. Als Jugend kann man es nicht richtig machen. Wir haben das erlebt: Wir sollen die Goschen halten, dürfen vielleicht brav mitmarschieren, am Freitag einen Streik machen, aber wenn wir eine Baustelle besetzen, sind wir auf einmal radikal. Die Politik vermittelt uns nicht das Gefühl, dass unsere Meinung wichtig ist, dass wir mündige Bürger sind, die an der Demokratie teilnehmen dürfen, dass das, was wir sagen, einen Wert hat für die Menschen, die Entscheidungen treffen.

STANDARD: Also ist die Politik schuld?

Schilling: Es ist auch eine Frage von Mut und Selbstvertrauen. Wenn meine Meinung am Familientisch zählt, wenn meine Argumente gelten und man darüber ernsthaft diskutiert, wächst man ganz anders auf. Wenn die Familie das nicht gewährleisten kann, muss es andere Räume geben, wo das geht. Ich sage nicht, dass alle Bock darauf haben, den ganzen Tag zu diskutieren. Aber wenn man junge Menschen zu ihren Problemen fragt, kommen total schlaue Sachen. Das ist für mich die große Frage: Wie ermutigen wir junge Menschen, sich auszudrücken, miteinander zu streiten und zu diskutieren? Das liegt einerseits an den Schulen, aber da sehe ich auch bei uns eine Verantwortung, wie wir das besser hinbekommen. In der Klimabewegung wurden sehr viele junge Menschen politisiert, sie haben das erste Mal angefangen, darüber zu reden und zu diskutieren. Und sie haben gesehen, okay, wenn wir auf die Straße gehen und laut sind, dann werden wir eingeladen, dann können wir mitdiskutieren.

STANDARD: Derzeit ist die Klimabewegung in einer Krise. Das ist die Weltlage zum einen, zum anderen hat das auch mit Greta Thunberg zu tun. Da kommt der Bewegung gerade eine Galionsfigur abhanden. Thunberg bringt die Klimabewegung in Misskredit, auch in Österreich.

Schilling: Wie sich Thunberg zum Nahostkonflikt geäußert hat, das halte ich nicht nur für inhaltlich falsch. Es war auch unfair gegenüber der Bewegung. Ich glaube, es wäre gut gewesen, man wäre beim Klimathema geblieben. Man muss verschiedene Politikfelder gemeinsam denken, zum Beispiel Klima und Soziales. Aber bei ihren Äußerungen zu Nahost, da hat sie sich verrannt.

Lena Schilling
Die Äußerungen von Greta Thunberg seien inhaltlich falsch und unfair der Bewegung gegenüber gewesen, sagt die Klimaaktivistin.
Heribert Corn

STANDARD: Warum sollen sich Klimaaktivisten nicht auch zu anderen politischen Themen äußern? Es ist doch eine politische Bewegung.

Schilling: Auf jeden Fall. Aber wenn wir anfangen wollen, uns mit allen Themen zu befassen, dann werden wir sehr schnell nicht mehr schlagkräftig. Dass wir intern Debatten darüber führen, wie wir zu weltpolitischen Dingen stehen, und dass wir persönlich politische Menschen sind, ist ganz klar. Aber als Sprecherin einer Bewegung kann ich nicht solche sehr umstrittenen Aussagen machen und den Rest der Bewegung in Geiselhaft nehmen.

STANDARD: Stört es Sie nur, dass sie sich zum Krieg in Gaza geäußert hat, oder auch, was sie gesagt hat?

Schilling: Ich habe mich inhaltlich ganz klar distanziert. Die ganze Diskussion ist extrem zermürbend. Das schadet der Bewegung, hilft umgekehrt aber nicht den Menschen vor Ort, nämlich keiner Seite. Der Terroranschlag der Hamas war für viele junge Menschen schockierend, es war traumatisierend, diese Bilder zu sehen. Auf der anderen Seite sind auch die Bilder von Kindern, die in Gaza sterben, erschütternd. Ich glaube, dass beides gehen muss. Ich verurteile den Terror vom 7. Oktober. Ich weiß, dass Israel sich verteidigen muss. Und ich kann trotzdem um unschuldige Opfer auf beiden Seiten trauern.

STANDARD: Thunberg und die Positionierung im Nahostkonflikt sind aber nicht das einzige Problem der Klimabewegung.

Schilling: Unsere Krise hat viel früher begonnen. Wir hatten ein großes Volksbegehren, wir hatten über die letzten Jahrzehnte ich weiß nicht wie viele Petitionen von Bürgerinnen, Initiativen in diesem Land. Ich bin mir sicher, es ist im zweistelligen Tausenderbereich. Wir haben die größten Demonstrationen gesehen. Wir haben gestreikt. Wir haben Baustellen besetzt, wir haben Unis besetzt, es tut sich was an den Schulen. Trotz alldem, was wir wissen, passiert politisch viel zu wenig. Und das liegt vor allem an der ÖVP. Wir kämpfen jetzt seit fünf Jahren, und dann sitzt du mit ÖVP-Vertretern zusammen, und die sagen dir ins Gesicht: Wir wollen halt kein Klimaschutzgesetz. An diesem Punkt der Frustration ist die Letzte Generation entstanden – aus einem Gefühl der Ohnmacht. Ich verstehe das so gut. Mich macht das auch extrem grantig.

STANDARD: Aber Sie kleben sich nicht auf der Straße fest.

Schilling: Nein, weil ich zwar das Gefühl verstehe, aber nicht glaube, dass das die Lösung ist. Es gibt intern viele Auseinandersetzungen darüber, ob das schlau ist oder nicht. Ich hab's schon gesagt: Man soll sich nicht im Verkehr ankleben und den Menschen am Oasch gehen, das bringt nichts. Wir müssen um Mehrheiten kämpfen, und ich glaube, dass wir mit diesen Methoden keine Mehrheiten erreichen werden. Aber wir stehen jetzt an einem Punkt, wo wir uns fragen müssen, was ist noch wirksam, was können wir noch tun, wenn all die Demonstrationen, Kundgebungen, Briefe und E-Mail-Aktionen nicht dazu geführt haben, dass wir genug Klimaschutz machen, weil die ÖVP ganz andere Interessen hat. An diesem Punkt kehrt einfach eine gewisse Frustration ein, dort stehen wir gerade.

Lena Schilling
Lena Schilling: "Wir hatten lange einen Aufschwung und eine Phase, wo es gut gelaufen ist, jetzt sind wir in der Kontrabewegung."
Heribert Corn

STANDARD: Und wie geht's weiter? Resignieren?

Schilling: Es gibt ja auch tolle Erfolge. Die Absage von diesem Lobautunnel war schon ein Riesenerfolg, da werden wir dranbleiben und weitermachen.

STANDARD: Da sind wir wieder beim Beginn unseres Gesprächs. Macht es nicht doch Sinn, sich politisch zu engagieren und zu versuchen, aus einer Partei heraus etwas zu bewegen?

Schilling: Ohne eine Bewegung wird das Klimathema wieder nur ein bis zwei Parteien zugeordnet. Das ist mein Appell für die Bewegung.

STANDARD: Wie muss sich die Klimabewegung aufstellen, um noch mehr Gehör zu finden?

Schilling: Diese Antwort suchen wir gerade. Es gibt immer mehr Leute, die sich engagieren, im Kleinen, die von Tür zu Tür gehen und andere Leute einladen, sich für Klimaschutz einzusetzen. Da passiert etwas. Was vorhergesagt wurde und was nicht passiert: die Radikalisierung und Entwicklung hin zu Terroristen. Das wird auch nicht passieren. Wir müssen uns überlegen, wie wir noch mehr Menschen dafür gewinnen können, gemeinsam für ein Anliegen zu kämpfen, das uns alle betrifft. Es wird auf jeden Fall weiter weltweite Klimastreiks geben, aber vielleicht kommt jetzt auch die Phase, wo man wieder ins Kleinere geht und versucht, Menschen direkt zu erreichen. Wir hatten lange einen Aufschwung und eine Phase, wo es gut gelaufen ist, jetzt sind wir in der Kontrabewegung. ÖVP und FPÖ versuchen mit allem, was sie haben, uns zu diffamieren und kaputtzumachen. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Aber es macht es auch nicht leichter.

STANDARD: Was ist die Bewegung, der Sie am meisten verpflichtet sind?

Schilling: Das ist nach wie vor "Lobau bleibt".

STANDARD: Mit den Aktivisten der Letzten Generation herrscht Friede?

Schilling: Wir reden alle miteinander. Trotz unterschiedlicher Auffassungen haben wir dasselbe Ziel. Aber klar, es gibt unterschiedliche politische Einschätzungen und Meinungen. Wir reden viel, wir diskutieren, wir streiten auch, und wir hinterfragen auch unsere Positionen. Das ist gut so. (Michael Völker, 19.11.2023)