Einfamilienhaus, Nachverdichtung
Viele Menschen fühlen sich mit ihrem Haus überfordert, sagt Hild. Durch eine Aufteilung und Vermietung des Wohnraums könnten Besitzerinnen und Besitzer künftig anstehende Sanierungen finanzieren.
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Die Ideen klingen im ersten Moment für viele wohl nicht gerade verlockend: den Wohnraum im eigenen Haus aufteilen und an fremde Menschen vermieten? Oder auf dem eigenen Grundstück ausbauen, um neue Wohnungen zu schaffen? "Nachverdichtung" von Einfamilienhäusern nennt sich das Konzept, das der deutsche Architekt Andreas Hild verfolgt. Laut Hild könnte das nicht nur helfen, neuen Wohnraum zu schaffen, sondern würde den Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern auch Geld für die Sanierung zur Verfügung stellen. Nur so kann das Einfamilienhaus in Zukunft zu einer nachhaltigen Wohnform werden, ist Hild überzeugt.

STANDARD: Herr Hild, das Einfamilienhaus gehört in Österreich und Deutschland nach wie vor zu den beliebtesten Wohnformen. Können Sie diese Liebe nachempfinden?

Hild: Die Liebe zum Einfamilienhaus ist historisch gewachsen. Dahinter steckt auch die Idee des Selbstversorgers: dass man ein großes Stück Land hat, das einen auch in schlimmen Zeiten ernähren könnte. Der zweite Grund geht zumindest in Deutschland auf den Nationalsozialismus zurück: Damals galt, dass verstreute Besiedelung dabei hilft, dass die Bomben der Angreifer keine schlimmen Schäden anrichten. Drittens verspricht das Einfamilienhaus einen höheren Status und eine privilegierte Wohnform, vor allem wenn man an die klassische Villa denkt, die frei auf dem Grundstück steht. Ich muss jedoch sagen, dass es nicht so wahnsinnig viel Literatur und Untersuchungen über Einfamilienhäuser gibt.

STANDARD: Woran liegt das?

Hild: Das liegt daran, dass Architekten und Fachleute das Einfamilienhaus tatsächlich schon seit sehr langer Zeit als nicht nachhaltige, flächenverschlingende, energetisch ungünstige Wohnform identifiziert haben. Schon vor 35 Jahren war es in meinem Studium Allgemeingut, dass das Einfamilienhaus eine problematische Wohnform ist. Und das führt wiederum dazu, dass sich die Forschung vielleicht eher anderen Dingen zuwendet als dem Einfamilienhaus.

STANDARD: Ist die Kritik am Einfamilienhaus berechtigt?

Hild: Es ist sehr schwierig, das Einfamilienhaus gesundzubeten. Es braucht wahnsinnig viel Infrastruktur wie Straßen und erzeugt dadurch sehr viel Verkehr, verbraucht viel Fläche und Material und ist energetisch aufgrund seiner Oberfläche ungünstig. Aus Nachhaltigkeitsgründen spricht nicht sehr viel für Einfamilienhäuser.

STANDARD: Sie sehen trotzdem viel Hoffnung in Einfamilienhäusern. Warum?

Hild: In Deutschland haben wir von insgesamt 18 Millionen Wohngebäuden rund 16 Millionen Einfamilienhäuser. Das ist ein riesiger Bestand an grauer Energie, Fläche, Material und an Wohnraum. Wir können die nicht abreißen und neu bauen, sondern wir werden sie in irgendeiner Art und Weise integrieren müssen. Jeder kennt die Fälle, wo eine alleinstehende ältere Dame oder älterer Herr auf 200 Quadratmeter wohnt, weil die Kinder aus dem Haus sind und sowieso nur noch das Erdgeschoß benutzt wird. Laut Untersuchungen fühlen sich zwanzig Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Einfamilienhäusern mit ihrem Haus überfordert.

STANDARD: Sie schreiben in einem Positionspapier davon, dass man diese Flächen nachverdichten könnte. Was meinen Sie damit?

Hild: Wenn es uns gelingen würde, bei zehn Prozent der 16 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland aus einer Wohneinheit zwei Wohneinheiten zu machen, hätten wir auf einen Schlag 1,6 Millionen neue Wohnungen. Das wären bereits viermal mehr, als unsere Bauministerin pro Jahr fordert. Und da spreche ich erst von zehn Prozent. Es scheint mir völlig außer Frage, dass das möglich ist.

STANDARD: Wie soll so etwas konkret funktionieren?

Hild: Es gibt sehr viele verschiedene Modelle, wie man da herangehen könnte. Eigenheimbesitzer könnten das Dach oder ihre Garage ausbauen, im Garten ausbauen oder ihren bestehenden Wohnraum aufteilen. All das würde neuen Wohnraum für mögliche Mieterinnen und Mieter schaffen. Wichtig ist natürlich, dass es nach wie vor genug Privatsphäre gibt, beispielsweise indem es eigene Eingänge und Gartenanteile gibt oder indem das Erdgeschoß gut vom ersten Stock abgegrenzt ist, auf dem die Mieterinnen und Mieter wohnen. Um das zu ermöglichen, könnte man versuchen, von der offenen zur geschlossenen Bauweise kommen.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Hild: Derzeit gilt bei Einfamilienhäusern im Normalfall das Prinzip der offenen Bauweise. Das heißt, dass es immer einen Abstand zwischen den Häusern geben muss. Bei einer geschlossenen Bauweise gibt es parallel zur Straße eine durchgehende Bebauung. Wir müssen darüber sprechen, wie wir in Einfamilienhaussiedlungen den Abstand zwischen den Häusern reduzieren können, sodass man möglicherweise bis zur Grundstücksgrenze bauen darf. Dadurch könnte neuer Wohnraum entstehen.

STANDARD: Das wäre rechtlich doch derzeit niemals umsetzbar.

Hild: Aus juristischer Sicht ist das sicher ein dickes Brett. Aber wenn wir nicht einmal ernsthaft untersuchen, welche Optionen es gibt, werden wir es auch nie wissen – und das Potenzial von Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland und Österreich bliebe ungenutzt.

STANDARD: Würde durch die zusätzliche Verbauung nicht wieder viel Garten- und damit Grünfläche verlorengehen?

Hild: Das ist eine entscheidende Frage: Schaffen wir es, Einfamilienhausgebiete mit einer höheren Wohneinheitenzahl zu versehen, ohne sie zusätzlich zu versiegeln? Es kann nicht das Ziel sein, in jeden Garten noch ein Einfamilienhaus zu bauen – abgesehen davon, dass die Akzeptanz dafür auf deutlich unter null sinken würde. Allerdings ist in Einfamilienhausgebieten meist schon viel Fläche versiegelt. Man könnte zum Beispiel schauen, ob man vielleicht nebendran, wo die Garage schon steht, ausbauen und damit diese Fläche sinnvoller nutzen könnte.

STANDARD: Warum sollte irgendjemand wollen, dass rund um das eigene Haus zugebaut wird oder man sich seinen Garten oder Haus mit anderen Menschen teilt?

Hild: Dass viele erstmal negativ auf diese Idee reagieren, ist verständlich. Es geht nicht darum, irgendjemandem das Einfamilienhaus wegzunehmen, noch darum, irgendjemandem etwas vorzuschreiben. Stattdessen geht es darum, den Bewohnerinnen und Bewohnern Angebote zu machen, die für sehr viele Leute sehr wichtig sein könnten in der Zukunft. Was ist, wenn Energie so teuer wird, dass viele Menschen nicht mehr so ohne weiteres ihr Haus heizen können? Was ist mit dem Geld, das Hausbesitzer brauchen werden, um ihre Häuser für die Wärmewende zu sanieren? Wäre es für viele Einfamilienhausbesitzer nicht hilfreich, wenn sie über Mieteinnahmen solche Ausgaben und Investitionen refinanzieren können?

Andreas Hild, Architekt, Einfamilienhäuser
Andreas Hild sieht in Einfamilienhäusern viel Potenzial für die Zukunft.
Wilfried Dechau

STANDARD: Wäre es für viele Einfamilienhausbesitzer nicht schwierig, potenzielle Mieterinnen und Mieter zu finden – gerade wenn sich ihr Einfamilienhaus in einem kleinen Ort auf dem Land befindet?

Hild: Es stimmt nicht, dass Einfamilienhäuser nur irgendwo am Waldrand stehen, weit weg von allem anderen. In München und Umgebung sind Einfamilienhausgebiete statistisch ungefähr ähnlich verteilt wie im restlichen Teil des Landes. Und gerade dort ist die Nachfrage nach Wohnraum nach wie vor sehr hoch. Würde mehr Wohnraum dort geschaffen werden, könnte man auch die Wohnungsnot in Städten entschärfen.

STANDARD: Ist es nicht teurer, bestehende Häuser umzubauen, anstatt neue zu bauen?

Hild: Natürlich gibt es bei einem Haus, das in den 60er- oder 70er-Jahren erbaut worden ist, einen gewissen Investitionsbedarf: Es braucht womöglich eine neue Heizung, ein neues Dach und vieles mehr. Trotzdem ist in einem bestehenden Haus durch das gesamte Material bereits enorm viel Energie gebunden. Wie viel Ressourcen müssen Sie für den Bau eines neuen Hauses investieren? Im Endeffekt ist es für jeden Hausbesitzer eine individuelle Kosten-Nutzen-Analyse: Das muss ich einsetzen, das würde ich dafür bekommen. Aber wir müssen uns schon die Frage stellen: Ist es wirklich sinnvoll, dass die Eltern, wenn die Kinder aus dem Haus sind, im Einfamilienhaus übrigbleiben und das Ding dann noch 20 Jahre lang allein bewohnen?

STANDARD: Sie haben sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, dass man Eigentümer bei diesen Investitionen stärker unterstützen müsste. Wie soll so eine Unterstützung aussehen?

Hild: Zuerst einmal brauchen wir gute Beispiele, wo man sehen kann, dass Leute in dieser neuen Wohnsituation zufrieden sind. Denn im Moment haben wir überwiegend Negativbeispiele: von der Oma, die noch im alten Haus wohnt, das sie sich gerade noch so leisten kann, was aber die Erben möglicherweise nicht mehr stemmen wollen oder können. Wir müssen auch über Fördermaßnahmen nachdenken. Man müsste untersuchen, was da die sinnvollste Förderung ist. Denn mit der Gießkanne Geld drüberzuschütten ist bestimmt nicht das Beste.

STANDARD: Müsste man sich nicht Einfamilienhaussiedlungen als Ganzes anstatt nur einzelne Häuser ansehen?

Hild: Natürlich. Wir müssen schauen, ob wir Einfamilienhausgebiete so verdichten können, dass Schulen, Supermärkte, Ärzte und Arbeitsplätze dort sinnvoll fußläufig erreichbar sind. Es braucht einen guten öffentlichen Nahverkehr. Das würde viele Einfamilienhausgebiete auch wieder attraktiver machen. Ziehen wieder mehr Leute dorthin, profitieren wiederum all diese Einrichtungen, und die Straßen, die gebaut wurden, würden wieder besser genutzt. Alle diese Dinge hängen miteinander zusammen.

STANDARD: Wie wollen Sie diese Ideen verwirklichen?

Hild: Es gibt großen Forschungsbedarf, zu schauen, welchen Beitrag das Einfamilienhaus zur Energiewende leisten kann. Mit diesen Untersuchungen müssen wir so schnell wie möglich anfangen. Denn die gesamte Babyboomer-Generation kommt jetzt in die Situation, dass sie das Einfamilienhaus der Eltern erbt. Wenn wir jetzt nicht Modelle entwickeln, wie wir diese Einfamilienhäuser sinnvoller und zukunftsfähiger nutzen können, verpassen wir eine riesige Chance. Denn eines steht fest: Wir können die CO2-Neutralität nicht schaffen, ohne uns den Einfamilienhäusern zu widmen. (Jakob Pallinger, 21.11.2023)