Rote Schuhe auf dem Tuebinger Marktplatz mit Grablichtern und weissen Rosen. "Red Shoes on Tour" geht auf eine Installation der mexikanischen Künstlerin Elina Chauvet von 2009 zurück, die Gewalt gegen Frauen und Femizide symbolisiert.
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In Österreich wird jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt. 16 Prozent der Frauen in Österreich haben in einer intimen Beziehung körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Das zeigt der 2022 veröffentlichte Bericht "Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich" der Statistik Austria.

Weltweit ist die Zahl der ermordeten Frauen und Mädchen im vorigen Jahr auf den höchsten Wert seit 20 Jahren geklettert. 89.000 Frauen und Mädchen wurden absichtlich getötet, mehr als die Hälfte von Partnern oder Familienmitgliedern. In Österreich wurden heuer bereits 27 Frauen getötet, hinzu kommen 41 Mordversuche. Laut einer Studie des Instituts für Konfliktforschung sind bei den Frauenmorden 74 Prozent der Täter Partner oder Ex-Partner. Die Morde sind nur die Spitze des Eisbergs. 14.643 Betretungs- und Annäherungsverbote sprach die Polizei im Vorjahr aus, das ist mehr als eines jede Stunde. Wobei die Dunkelziffer bei Gewalt in der Privatsphäre wohl noch höher ist.

Der Standard

Die grüne Frauensprecherin Meri Disoski meinte im Oktober auf X, vormals Twitter, die aktuelle schwarz-grüne Regierung habe die "dringend notwendige Trendwende" geschafft. Das Frauenbudget sei von 10,2 Millionen auf 33,6 Millionen Euro erhöht worden. "Ob im Justiz-, im Sozial- oder im Innenministerium: Endlich haben Gewaltschutz und Gewaltprävention politisch und damit auch budgetär jene Priorität, die es braucht: nämlich die höchste", betont Disoski.

Trotzdem kritisierte der Rechnungshof (RH) im August in einem Bericht, dass es in Österreich keine langfristige Gesamtstrategie zum Schutz von Frauen vor Gewalt gebe. Die Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser, Maria Rösslhumer, fordert ebenso eine "Gesamtstrategie gegen Gewalt". Und die SPÖ will einen nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen, so wie es ihn zuletzt zwischen 2014 und 2016 während Gabriele Heinisch-Hoseks (SPÖ) Amtszeit als Frauenministerin gab.

Der STANDARD hat sich die Ankündigungen der Regierung sowie die Empfehlungen des Rechnungshofes angesehen und inwieweit diese bereits umgesetzt sind.

Gewaltambulanzen fehlen noch

* Gewaltambulanzen: Die Regierung ist übereingekommen, dass Bedarf an Gewaltambulanzen besteht. Sie sollen rund um die Uhr geöffnet und flächendeckend verfügbar sein. In den niederschwelligen Untersuchungsstellen werden Verletzungen nach Gewalt dokumentiert und Spuren gesichert, damit sie in Gerichtsverfahren als fundierte Beweise verwendet werden können. Am 6. Dezember 2022 wurden die Untersuchungsstellen angekündigt. Realisiert wurde bis dato jedoch noch keine. Aus dem Justizministerium heißt es, dass bis Jahresende noch Pilotprojekte starten sollen. Bis Ende 2024 sollen sie dann auf alle Bundesländer ausgerollt werden.

* Polizei-Supportteam: Polizistinnen und Polizisten sind oft die Ersten, die das Risiko von Opfern einschätzen und über unmittelbare Schutzmaßnahmen wie Betretungs- und Annäherungsverbote entscheiden müssen. Die Landespolizeidirektion Wien hat seit 2021 ein eigenes Supportteam, das die Beamtinnen und Beamten dabei unterstützt, eine Gefahrenprognose zu treffen. "Wir müssen dort ansetzen, wo es noch möglich ist, Gewalt zu verhindern – bereits bei der ersten Anzeige, beim ersten Notruf oder beim ersten Hinweis durch Nachbarn", erklärte Chefinspektor Wolfgang Schlegl-Tiefenbacher von der LPD Wien bei der Vorstellung. Der RH kritisierte, dass es in anderen Bundesländern keinen vergleichbaren Journaldienst gebe. Vom Innenministerium heißt es auf STANDARD-Anfrage, dass mit Beginn des nächsten Jahres eine 24-Stunden-Support-Hotline, nach dem Vorbild Wien, auch auf die übrigen Bundesländer ausgerollt werde.

* Verpflichtende Beratung für Gefährder: Gewalttäter, die von der Polizei ein Betretungsverbot bekommen, müssen seit September 2021 eine verpflichtende Beratung für Gefährder absolvieren. Das Programm dauert sechs Stunden, wird von Männerberatungsstellen und Gewaltpräventionszentren durchgeführt und ist Teil der Gewaltschutznovelle 2019, die am 1. Jänner 2020 in Kraft trat.

* Waffenverbot: Seit der Novelle ist mit einem Annäherungsverbot automatisch auch ein vorläufiges Waffenverbot verbunden. Lediglich in Fällen, bei denen die Waffe für die Bestreitung des Lebensunterhaltes elementar ist, etwa als Jäger oder Waffenschmied, gibt es einen Ermessensspielraum.

* Fallkonferenzen: Die Regierung hat die Fallkonferenzen seit 2020 wieder eingeführt, nachdem sie Herbert Kickl (FPÖ) als Innenminister abgeschafft hatte. Sie können bei Hochrisikofällen einberufen werden. Ziel ist es, Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen abzustimmen. Im ersten Jahr fanden österreichweit 25 Konferenzen statt, 2021 waren es 57 und im Vorjahr 209. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kündigte einen weiteren Ausbau der Fallkonferenzen an. Doch der Rechnungshof und die SPÖ kritisieren, dass einheitliche Kriterien für Fallkonferenzen fehlten. Zudem würden mitunter vorgeschlagene Fallkonferenzen nicht durchgeführt werden. Der Rechnungshof empfahl deshalb, die Gründe zu evaluieren. Das Innenministerium konterte, dass bereits im März 2023 einheitliche Kriterien erlassen wurden.

* Schutz- und Übergangswohnungen: Der Rechnungshof kritisierte, dass die Bundesländer die vom Europarat im Sinne seiner Istanbul-Konvention empfohlene Anzahl an Familienplätzen in Frauenhäusern je 10.000 Einwohner nicht erreichten. Im Juli kündigte Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) an, dass zwölf Millionen Euro mehr für den Ausbau von Schutzwohnungen für gewaltbedrohte Frauen bis 2027 zur Verfügung gestellt werden. Dadurch sollen bundesweit mindestens 180 zusätzliche Plätze geschaffen werden, die Zufluchtsorte für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder bieten.

* Daten: Kritik vom Rechnungshof gab es auch zur fehlenden Datenlage in Österreich. Im Justizbereich liegen demnach keine relevanten Zahlen zur spezifischen Gewalt an Frauen vor. Zudem werde vom Innenministerium keine Dunkelfeldforschung zu Gewalt in der Privatsphäre betrieben, hieß es in dem Bericht. Das Innenministerium kündigte auf Anfrage eine qualitative Untersuchung für 2024 in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen an. Auch das Justizministerium sieht Verbesserungen bei der Datenlage, da es nun einheitliche Definitionen von Gewalt im sozialen Nahraum gebe und auch die Motive der Täter erfasst würden.

* Fortbildung von Richtern: Seit 2009 müssen angehende Richter und Staatsanwälte einen zweiwöchigen Ausbildungsdienst bei einer Opferschutz- oder Fürsorgeeinrichtung absolvieren. Der RH kritisierte, dass Richter, die sich im Zuge ihrer Ausbildung nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, diese nicht verpflichtend nachholen müssen. (Stefanie Ruep, 24.11.2023)