Manager sitzt im selbstfahrenden Auto und liest
Mobiles Arbeiten neu gedacht.
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Vor ein paar Monaten fuhr Bill Gates mit einem selbstfahrenden Auto durch London. Während ein Ingenieur auf der Rücksitzbank über die Technologie dozierte, kutschierte der Fahrcomputer den auf dem linken Beifahrersitz sitzenden Microsoft-Gründer sicher durch den chaotischen Stadtverkehr zu einem Fish-and-Chips-Restaurant und umkurvte dabei Hindernisse wie Radfahrer und parkende Autos. Wie von Geisterhand bewegte sich das Lenkrad, das von einer weiteren Mitfahrerin beaufsichtigt wurde.

Die KI-Technologie stammt von dem britischen Start-up Wayve, in das Microsoft und andere Tech-Firmen investiert haben. Gates war von dem Trip so begeistert, dass er einen ganzen Blogbeitrag dazu verfasste. Roboterfahrzeuge, schreibt er darin, seien so revolutionär wie der Personal Computer. "Autonomes Fahren wird den Transport so dramatisch verändern wie der PC die Büroarbeit." Pendler, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, könnten E-Mails checken, Bücher lesen oder Serien schauen.

Wer in Wien täglich zur Rushhour mit dem Auto unterwegs ist, verbringt im Jahr über 100 Stunden im Stau. Das sind mehr als vier Tage. Vergeudete Zeit, die man anders sinnvoller nutzen kann – zumal die Anfahrt nicht zur Arbeitszeit zählt. Klar, man kann unterwegs telefonieren und private Dinge organisieren, aber man muss sich dabei trotzdem auf den Straßenverkehr konzentrieren. Autofahren und Arbeiten sind nicht miteinander kompatibel, es sei denn, man ist Taxifahrer.

Das Auto, ein Mehrzweckraum

Wenn die KI das Kommando übernimmt und im Level 5 des autonomen Fahrens zum Chauffeur wird, wird der Autofahrer zum Passagier – er kann sich entspannt in seinen Sitz zurücklehnen und sich anderen Tätigkeiten widmen: Zeitung lesen, Mails beantworten, Powerpoint-Präsentationen bearbeiten. Statt gestresst nach einer Stunde Stau am Arbeitsplatz einzutreffen, käme man entspannt an und hätte bereits einige Aufgaben erledigt. Ein Luxus, den heute allenfalls Minister oder CEOs haben. Das autonome Fahren könnte also ungeahnte Produktivität freisetzen – und mobiles Arbeiten neu definieren.

Noch werden autonome Fahrzeuge von der Automobilindustrie als eine Art Heimkino ­designt, wo man während der Fahrt Serien streamt. Doch prinzipiell ließen sich in dem Innenraum auch Arbeitsplätze einrichten. So hat das Ideenlabor Space 10 der schwedischen Möbelhauskette Ikea bereits vor einigen Jahren ein innovatives Konzept („spaces on wheels“) für Roboterfahrzeuge entwickelt, die als mobiles Büro, Hotel oder Spital fungieren.

Das Roboterauto ist kein Auto mehr, sondern ein Mehrzweckraum. "Wenn Räume in der Lage sind, sich selbst zu bewegen, wären sie nicht mehr nur ein Transportmittel, sondern könnten auf die Aktivitäten zugeschnitten werden, worauf wir die meiste Zeit verwenden, während sie uns von A nach B befördern", erklärte der Mitgründer von Space 10, Kaave Pour.

Die "Farm auf Rädern" würde Mitarbeitern eines Unternehmens, in dem es keine Kantine gibt, frisches Obst und Gemüse liefern, das im integrierten Gewächshaus hydroponisch – sprich ohne Erde – platzsparend kultiviert wird. Und im "Büro auf Rädern" könnte man morgens im Stau schon die ersten Teambesprechungen durchführen. Durch modulare Möbel ließen sich Innenräume so ausstatten, dass sie wahlweise als Konferenzzimmer, Büro oder Kaffeeküche genutzt werden könnten. Ausklappbare Module könnten zu Sitzen und Tischen erweitert, Elektrogeräte in Boxen verstaut werden. Ein wenig wie in einem Campingbus.

Nun könnte man einwenden: Das Konzept des Büros auf Rädern existiert bereits – in Zügen. Doch zum einen hat man selbst im Ruhebereich von Bahnen nie wirklich seine Ruhe, weil einen der Sitznachbar anquatscht oder es irgendwelche Störungen auf den Gleisen gibt (und obendrein wenig Privatsphäre). Zum anderen verkehren Züge nicht überall. Wer auf dem Land wohnt, kann nicht einfach morgens mit dem Zug zur Arbeit fahren.

Innovation braucht Zeit

Der dänische Designer Stefan Perriard hat daher ein Konzept entwickelt, welches das festgefahrene Prinzip des Arbeitswegs aufbricht und die räumliche Umgebung des Büros öffnet: Statt stur auf direkter Strecke vom Wohnort zur Arbeit zu fahren, würde eine Flotte selbstfahrender mobiler Arbeitskapseln („CoRoom“) als eine Art On-demand-Service – ähnlich einem Ruftaxi – Passagiere von der Haustür abholen und auf immer neuen Wegen in die nahegelegene Natur chauffieren.

In den mobilen Büros, die mit Webcams, High-Speed-Internet und TV-Bildschirmen ausgestattet sind und ein wenig an Seilbahngondeln erinnern, könnte der Passagier arbeiten und mittags eine Pause im Wald einlegen. So ließen sich nicht nur Kreativität und neue Ideen entfesseln, sondern auch Büroflächen einsparen, die in angespannten Innenstadt­lagen zu Wohnraum umgewidmet werden könnten.

Vorausgesetzt, die Arbeitgeber spielen mit. Denn die holen ihre Angestellten gerade reihenweise aus dem Homeoffice zurück. Dass das Interesse an mobilen Raumkonzepten eher verhalten ist, zeigt sich auch daran, dass das Designstudio Space 10 in diesem Jahr schließen musste. Innovationen brauchen nicht nur Raum, sondern auch Zeit. Bevor man das Büro auf die Straße verlegt, baut man die erst mal Büroeinheiten zu verkappten Wohnzimmern aus. (Adrian Lobe, 21.11.2023)