Möglichst 1,5, aber maximal zwei Grad Celsius – weiter darf sich die Erde nicht erhitzen. Darauf einigte sich die Staatengemeinschaft im Rahmen des Pariser Klimaabkommens. Die Unterzeichnung des klimapolitischen Meilensteins liegt mittlerweile acht Jahre zurück – und nach wie vor bleibt das Ziel in weiter Ferne. Derzeit bewegt sich der Planet auf eine Erhitzung von 2,5 bis 2,9 Grad zu, wie der am Montag erschienene Emissions Gap Report des UN-Umweltprogramms UNEP zeigt. In dem Bericht wird jährlich vor der Weltklimakonferenz Bilanz gezogen, wie es um die Klimapolitik aller Staaten steht.

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Die kurze Antwort mag wenig überraschen: Es sieht schlecht aus. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die Emissionen bis 2030 weltweit um 42 Prozent reduziert werden. Für das 2-Grad-Ziel müssten Emissionen in den kommenden sechs Jahren um 28 Prozent sinken. Zwar sehen die Autorinnen und Autoren noch die Möglichkeit, dass das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann – die Wahrscheinlichkeit liegt im optimistischsten Szenario laut dem Bericht aber bei nur 14 Prozent.

Denn die Emissionskurve zeigt nach wie vor nach oben. Im vergangenen Jahr wurden weltweit mehr Treibhausgase ausgestoßen als je zuvor – konkret um 1,2 Prozent mehr als noch 2021. Und auch das heurige Jahr war eines der negativen Rekorde: 2023 dürfte das bisher heißeste Jahr seit 125.000 Jahren werden. Allein die Temperaturen im September lagen 1,8 Grad über vorindustriellen Werten.

"Es ist keine Emissionslücke mehr, es ist eine Emissionsschlucht. Eine Schlucht verschmutzt mit gebrochenen Versprechen", erklärte UN-Generalsekretär António Guterres bei der Präsentation des Berichts am Montag. Er spricht von einer "massiven verpassten Möglichkeit", Entscheidungsträger hätten versagt. Als Ursache für den weiteren Anstieg der Emissionen nennt Guterres die "Sucht nach fossilen Brennstoffen". Er betonte: "Freiwillige Initiativen können eine Rolle spielen, aber sie sind kein Ersatz für globale Anstrengungen."

"Wir müssen aus dem alten Trott der fehlenden Ambition herauskommen und damit beginnen, andere Rekorde zu setzen: zur Reduktion von Emissionen, zum grünen und gerechten Wandel und zu Klimafinanzierung", fordert UNEP-Leiterin Inger Andersen.

Wie ein Sprung in der Platte

Die bisherigen Vorhaben der Staaten weltweit reichen jedenfalls aber nicht aus, zeigt der Bericht. Mit allen bestehenden Regelungen und Richtlinien steuert die Menschheit auf eine um drei Grad wärmere Welt zu – eine Welt der Extreme mit fatalen Folgen für die Menschheit. Etwas besser sieht die Situation aus, wenn alle Staaten ihre Versprechen erfüllen – dann würde sich die Erde um zwei Grad erhitzen.

Doch politische Ankündigungen sind das eine, Taten das andere: Laut der Uno reduziert keines der G20-Länder seine Emissionen bisher im nötigen Ausmaß, um die Klimaneutralität zu erreichen. Nicht umsonst heißt der aktuelle Bericht "Broken Record", was auf beides anspielen soll – neue Negativrekorde und die erneute Wiederholung der Hiobsbotschaft, eben wie ein Sprung in der Platte.

Im Mittelpunkt des Berichts, den die Uno jährlich kurz vor der Klimakonferenz veröffentlicht, steht in diesem Jahr auch die Frage der Verteilung der Emissionen. Nach wie vor gibt es große Unterschiede zwischen und innerhalb unterschiedlicher Staaten. Die Autorinnen und Autoren kritisieren, dass die Verteilung des CO2-Ausstoßes weltweit ungerecht ist. Zusammengerechnet verursachte Indien seit Beginn der industriellen Revolution nur vier Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Dabei leben in Indien 18 Prozent der heutigen Gesamtbevölkerung.

Das andere Extrem sind die USA: Ihre Einwohner machen vier Prozent der Weltbevölkerung aus, historisch gesehen sind sie jedoch für 19 Prozent der Emissionen verantwortlich.

Die Reichsten emittieren bei weitem am meisten

Wie unterschiedlich der Anteil an der Klimakrise ist, lässt sich anhand des Pro-Kopf-Verbrauchs gut vergleichen. Eine US-Bürgerin verursacht pro Jahr knapp 16 Tonnen CO2, ein Inder nur rund 2,5 Tonnen. Insgesamt ist der Pro-Kopf-Verbrauch in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Brasilien und in der EU am stärksten gesunken. Jener Russlands hat im gleichen Zeitraum um knapp 50 Prozent zugelegt.

Der Bericht zeigt einmal mehr die Ungleichheit in der Klimadebatte auf: Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung sind demnach für 45 bis 49 Prozent aller Emissionen verantwortlich. Zugleich verursacht die ärmere Hälfte gerade einmal sieben bis 13 Prozent aller Emissionen.

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APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Ein noch extremeres Bild zeichnet ein neuer Bericht von Oxfam: Die Organisation wirft Superreichen vor, durch ihren extremen Konsum die Klimakrise anzuheizen. Die NGO rechnet mit Bezug auf Zahlen von 2019 vor, dass das reichste Prozent so viel CO2 produziert wie die Ärmeren zwei Drittel. Das Konsumverhalten jener Elite, zu der rund 77 Millionen Menschen mit einem Jahreseinkommen ab 140.000 US-Dollar zählen, verursachte demnach 16 Prozent der weltweiten Emissionen.

Uno fordert mehr globale Klimafinanzierung

Das Umweltprogramm der Uno betont allerdings auch, dass Staaten mit niedrigen und mittleren Einkommen insgesamt trotzdem bereits über zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verursachen. Umso wichtiger sei es, dass in diesen Ländern Zugang zu sauberer Energie geschaffen wird. Das sorge für grüne Jobs und eine sauberere Luft, betonen die Autorinnen und Autoren.

Damit das gelingt, müsse viel mehr Geld in die internationale Klimafinanzierung fließen – und zwar zu niedrigen Zinsen. Ärmere Staaten müssten in ihren Klimaplänen ihren Bedarf an Finanzierung und Technologie klar ausschildern. "Wenn Staaten ihre nächsten Klimapläne einreichen, ist das eine wichtige Gelegenheit, Fahrpläne zu erarbeiten, in die investiert werden kann", erklärt die Studienautorin Anne Olhoff. Auf der COP28 müsse die nötige Unterstützung gezeigt werden.

Es gibt durchaus Grund zur Hoffnung, dass das gelingen kann. Als das Pariser Abkommen unterzeichnet wurde, ging man davon aus, dass die Emissionen bis 2030 um 16 Prozent steigen würden. Mittlerweile ist die Annahme, dass sie im Vergleichszeitraum um nur drei Prozent steigen werden. Diese Entwicklung zeige, dass die Welt fähig sei, sich zu verändern, resümiert auch die UNEP-Leiterin Andersen. Derzeit passiere das nicht schnell genug: "Wenn Länder neuen fossilen Projekten grünes Licht geben, werden die Klimaziele endgültig gesprengt."

Es sei noch möglich, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, betonte auch Guterres. Dafür sei es aber notwendig, "die giftige Wurzel des Klimawandels auszureißen": fossile Brennstoffe. Er forderte Staats- und Regierungschefs einmal mehr auf, ihre nationalen Klimapläne so zu adaptieren, dass sie mit dem Pariser Klimaziel übereinstimmen. Auch stellt sich Guterres hinter das Ziel, die Erneuerbaren-Kapazität bis 2030 zu verdreifachen. Das sei nicht zuletzt für die Wirtschaft wichtig, um ihr Investitionssicherheit zu verschaffen. (Nora Laufer, Alicia Prager, 20.11.2023)