Gerade noch hat seine Gruppe belustigt eine Horde Paviane beim morgendlichen Treiben beobachtet, als der Guide plötzlich innehält. "Da ist eine Löwin", flüstert Lawrence Banda und deutet in Richtung einer Buschgruppe. Das Tier kauert fast unsichtbar im dürren Savannengras. Es hat seine übergroßen Katzenaugen zweifellos auf die vier Eindringlinge in sein Revier gerichtet, ist aber sogleich wieder verschwunden. "Das Männchen ist sicher in der Nähe", sagt Banda. Der 54-Jährige kennt die Tiere seit langem. Es ist nicht die erste Raubkatze, der die Reisenden auf ihrer Sambia-Tour begegnen. Aber die erste, der sie zu Fuß gegenüberstehen – keine hundert Meter liegen zwischen den Wandernden und der Löwin. Doch da ist kein Safariwagen, kein Wildzaun, noch nicht einmal eine Akazie, hinter die man sich instinktiv flüchten könnte.

"Wer ihr Verhalten kennt und damit umzugehen weiß, braucht sich nicht zu fürchten", sagt Lawrence Banda. "Zeigt man vor den Löwen hier keine Angst und läuft nicht weg, fürchten sie den Menschen."
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Über dem ausgedörrten Grasland liegt eine unheimliche Stille. Nur das Brummen der Fliegen ist zu hören. Lawrence Banda versichert sich mit einem Blick in die Gruppe, dass niemand Anzeichen zeigt, unruhig zu werden. Dann wandert er weiter. Ein Wildhüter mit geschultertem Gewehr geht voraus. Eine synchron in eine Richtung starrende Herde Impalas lässt bald erahnen, dass die nächste Raubkatze nicht weit ist. Plötzlich schnellt ein männlicher Löwe nur ein paar Antilopensprünge entfernt hinter einem Busch hervor und brüllt die Gruppe an. Die Wandernden zucken zusammen. Unter der verschwitzten Haut hämmert der Puls. Niemand hatte das Tier so nah vermutet.

Aber so unerwartet, wie das mächtige Tier aufgetaucht ist, sucht es wieder das Weite. Weitergehen oder flüchten? Lawrence Banda lacht. Für den Sambier gehören Begegnungen mit Wildtieren zum Alltag. "Wer ihr Verhalten kennt und damit umzugehen weiß, braucht sich nicht zu fürchten", sagt er. "Zeigt man vor den Löwen hier keine Angst und läuft nicht weg, fürchten sie den Menschen." Seit 25 Jahren führt Lawrence Menschen zu Fuß durch Sambias South-Luangwa-Nationalpark. "Noch nie musste dabei ein begleitender Wildhüter sein Gewehr benutzen", versichert er.

Schön friedlich

Im bekanntesten Nationalpark des Binnenlandes zwischen Angola und Tansania, Tanganjikasee und Sambesi führen Buschwanderungen ins Revier von Löwen, Leoparden und Wildhunden.

"Nur wer je einem Elefanten zu Fuß begegnet ist, weiß, wie klein der Mensch ist", sagt Lawrence. Dabei geht es dem leidenschaftlichen Naturführer keineswegs darum, den Nervenkitzel seiner Gäste zu befriedigen. Es ist ihm ein Anliegen, dass sie mit einem tieferen Verständnis für die Natur in ihre Heimat zurückkehren.

Seit 25 Jahren führt Lawrence Banda Menschen zu Fuß zur Wildtierbeobachtung.
Seit 25 Jahren führt Lawrence Banda Menschen zu Fuß zur Wildtierbeobachtung.
Markus Arnold

"Die Tierdokumentationen von heute reihen oft nur Jagd- und Kampfszenen aneinander", beklagt der Guide. Viele Touristinnen und Touristen hätten daher den Eindruck, Afrikas Tierwelt sei ausgesprochen gefährlich und aggressiv. Auf Buschwanderungen durch das Luangwa-Tal erscheint sie jedoch meist ausgesprochen friedlich. Wer mit Lawrence entlang des trockenen Luwi-Flussbetts oder des mächtigen Luangwa-Stroms wandert, entdeckt die kleinen Wunder der Savanne, die genauso Teil des Ökosystems sind wie Flusspferde, Giraffen und Elefanten. Er erklärt, wie Termitenstaaten funktionieren, Ameisenlöwen im sandigen Boden Beute machen und wie die Früchte und Rinde des Leberwurstbaums traditionell als Heilmittel eingesetzt werden. Vor der Kolonie der Karminspinte am Steilufer des Luwi sind die Tiere schnell vergessen. Die Vögel aus der Familie der Bienenfresser verwandeln die Lehmwände, wo sie ihre Bruthöhlen besuchen, in ein psychedelisches Wimmelbild.

Mit Bandas Geschichten entfaltet sich ein farbenprächtiges Theater des Lebens, dessen tierische Dramen und Komödien jenen des Menschen nicht unähnlich sind: Wie im Falle des Heiligen Pillendrehers, einem Käfer, der übereifrig golfballgroße Kugeln aus Dung für seine Angebetete vor sich her schiebt – nur um am Rande der Erschöpfung festzustellen, dass ein anderer das Rennen mit der größeren Portion Mist für sich entschieden hat. Bei den Pavianen menschelt es am augenfälligsten: Ungezogene Sprösslinge, frühpubertierende Halbstarke, überforderte Mütter, passive Väter – in der Seifenoper des Buschs mangelt es nicht an auffälligen Charakteren. "Wer erkennt sich hier nicht selbst wieder?", fragt Lawrence.

Hoffnung auf Wirtschaftswachstum

In Sambia hat man die bewegendsten Szenen im Schauspiel der Natur oft ganz für sich allein. Erstaunlich, dass das Land bis heute selbst unter langjährigen Safari-Reisenden nur wenig bekannt ist. Sambia ist neunmal so groß wie Österreich, hat aber mit 18,4 Millionen nur etwa doppelt so viele Einwohner. Mit 73 ethnischen Gruppen ist es Heimat einer enormen kulturellen Vielfalt. Anders als einige seiner Nachbarn wie Tansania, Angola, Simbabwe und die Demokratische Republik Kongo, mit denen es ein ähnlich niedriges Bruttoinlandsprodukt pro Kopf teilt, geriet Sambia in den letzten Jahrzehnten nur selten in die internationalen politischen Schlagzeilen. Beim Demokratieindex schneidet das Land besser ab als die meisten anderen Staaten in Subsahara-Afrika.

In der Abenddämmerung rund um das Busanga Bush Camp
In der Abenddämmerung rund um das Busanga Bush Camp
Wilderness/Dana Allen

Seit August 2021 wird das Land nach einem friedlichen Machtwechsel vom langjährigen Oppositionspolitiker Hakainde Hichilema regiert. Auf ihm ruhen hohe Erwartungen, das Land aus seiner wirtschaftlichen Krise zu führen. Unter Hichilema könnte auch der Tourismus als verstärkt geförderte Wirtschaftskraft profitieren und den Nationalparks mehr Gewicht eingeräumt werden. Allerdings bleibt fraglich, ob vom erhofften Wachstum nicht doch in erster Linie Landwirtschaft und Kupferminen profitieren. Schon vor der Pandemie standen die riesigen Naturschutzgebiete des Landes unter Druck durch Wilderei, Landwirtschaft und Bergbau. Erst Anfang November war der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Staatsbesuch in Sambia, um sich über die Folgen des Klimawandels sowie über Natur- und Artenschutz zu informieren.

"Kein anderes Schutzgebiet in Sambia hat eine so große Bandbreite an Arten." Ökologin Kachama Banda über den Nationalpark Kafue

Sambias atemberaubende Naturlandschaften haben enormes Potenzial für den Tourismus. Bei den alljährlichen "Best in Travel"-Tipps des Reiseführers "Lonely Planet" wurde Sambia 2023 neben Bhutan als einziges komplettes Land zu den sechs besten Reisezielen gekürt. Anders als in bekannteren Safari-Ländern bilden sich in den Nationalparks des Landes nur selten Jeep-Staus um einen Löwen oder Leoparden. In Südafrika, Namibia und Tansania sind die Autoschlangen nach der pandemiebedingten Zwangspause zurück. In Sambia ist es unsicher, ob die Rekordbesucherzahlen von 2019 je wieder erreicht werden. Selbst wenn das Land wieder wie damals annähernd 1,3 Millionen Touristen jährlich erreichen sollte, werden sie sich wie zuvor hauptsächlich auf die Victoriafälle konzentrieren. Langjährige Afrikareisende lieben Sambias Schutzgebiete wegen ihrer Entlegenheit und ihrer unregulierten Wildheit. Die Abgeschiedenheit hat jedoch zur Folge, dass Reisen teurer oder zeitaufwendig sind.

"Wir hatten zwei Jahre lang fast nur einheimische Gäste, erst langsam kommen die Touristen zurück", sagt Lawrence. Er ist stolz darauf, dass die sambische Bevölkerung – darunter viele, die im Tourismus arbeiteten – 2019 die damalige Regierung zur Aufgabe eines Projekts bewegen konnten, das das Land bewegte. Der Luangwa-Fluss, die Lebensader des Nationalparks, sollte durch einen Staudamm nutzbar gemacht werden. Mehr als 200.000 Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen. "Es hätte schlimme Folgen für die Fischerei, den Tourismus und die Natur gehabt", sagt Lawrence. Im selben Jahr ließ im Nachbarland Tansania der damalige Präsident John Magufuli trotz Protesten von Naturschutzorganisationen und der Unesco die Bauarbeiten für einen Megastaudamm im Selous-Wildreservat beginnen – eine Bedrohung für einen der wichtigsten Lebensräume vieler Tierarten Ostafrikas.

Artenvielfalt

Nicht nur der South-Luangwa-Nationalpark, auch eine Reihe fast unbekannter Schutzgebiete ermöglichen einzigartige Tierbeobachtungen und eine Wildnis auf Augenhöhe. Im Lower-Zambezi-Nationalpark begegnet man Flusspferden und badenden Elefanten vom Kanu aus. Im Liuwa-Plain-Nationalpark kann man vor allem von November bis April die zweitgrößte Gnuwanderung Afrikas erleben. Nirgendwo sonst, außer bei der berühmten Great Migration von der Serengeti in die Masai Mara, begeben sich mehr Streifengnus auf eine abenteuerliche Reise. Anders als dort haben Touristen die Tierherden aber fast ausschließlich ganz für sich allein.

Der Kafue-Nationalpark, etwa vier Autostunden westlich der Hauptstadt Lusaka, ist ein riesiges Wildnisgebiet aus Waldsavanne, wild mäandernden Flüssen, Sümpfen und Auenlandschaften. Auch hier können Touristen Safaris zu Fuß unternehmen. Auf einer Fläche, etwas größer als Niederösterreich und das Burgenland zusammen, leben 158 Säugetier- und mehr als 500 Vogelarten. 2022 wurde der Park für 20 Jahre unter das Management von African Parks gestellt. Diese grenzüberschreitende NGO mit Hauptsitz in Südafrika arbeitet bereits in weiteren zwei Schutzgebieten Sambias und elf anderen Ländern Afrikas. Sie bekämpft die Wilderei und hat dort ausgerottete Arten wieder eingeführt.

In Sambias wichtigstem Fluss, dem Sambesi, schauen Flusspferde auf neugierige Besucher.
In Sambias wichtigstem Fluss, dem Sambesi, schauen Flusspferde auf neugierige Besucher.
Wilderness Camps

"Kein anderes Schutzgebiet in Sambia hat eine so große Bandbreite an Arten", sagt die Ökologin Kachama Banda. Sie beobachtet im Sumpfland der Busanga-Ebene im Norden von Kafue gerade eine riesige Antilopenherde, die am Rande eines Wasserlochs grast. Sie sind hier die Hauptbeutetiere der berühmten Löwen von Busanga, Kachamas Studienobjekte.

Mit Wildtieren aufgewachsen

"Es gibt kaum einen Ort, wo man ihr Verhalten besser beobachten kann als hier", sagt die Artenschützerin. Wie ihr Namensvetter Lawrence kommt sie aus Ostsambia nicht weit von der Grenze zum South-Luangwa-Nationalpark. Seit 2019 arbeitet sie für die Naturschutzorganisation Zambian Carnivores Programme, die in Kafue und anderen Schutzgebieten Löwen, Leoparden, Geparde, Hyänen und Wildhunde erforscht und bei Konflikten mit angrenzenden Dorfgemeinschaften vermittelt. "Ich bin selbst mit Wildtieren aufgewachsen und kenne beide Seiten: die Sicht der Anrainer, die sich und ihr Vieh bedroht sehen, und die der Naturschützer, für die die Raubtiere ein wichtiger Teil des Ökosystems sind."

Die Aufgabe ihrer Organisation bestehe oft darin, Wissen zu vermitteln und aufzuklären. Eine wichtige Rolle komme dabei dem Tourismus zu. "Wo Tierbeobachtungen zum Einkommen der ländlichen Gemeinden beitragen, ist die Toleranz größer", sagt Kachama. Sie glaubt, dass Nationalparkbesucher zum Erhalt der bedrohten Raubtiere unersetzlich sind und eine Botschaft aus dem Safari-Urlaub mitnehmen. "Wer einen Löwen oder einen Geparden in seinem natürlichen Lebensraum erlebt hat, den lässt die Erfahrung nie wieder los", sagt sie. Über dem Sumpfland beginnt mit Einbruch der Dunkelheit das Abendkonzert von abertausenden Zikaden, in das bald das heisere Lachen einer Hyäne einfällt. Irgendwann ist von Ferne auch das dumpfe Brüllen eines Löwen zu hören. In weiten Teilen Afrikas ist der schaurige Ruf längst verschwunden, in Kafue jedoch gehört die Nacht noch immer dem König der Tiere. (Win Schumacher, 17.12.2023)