Nehammer 
ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer erklärte bessere Kinderbetreuung entgegen der Parteitradition zu einem Hauptprojekt.
APA/HELMUT FOHRINGER

Karl Nehammer ließ keinen Zweifel über seine Priorität: Was der Kanzler bei der dieswöchigen Präsentation des Finanzausgleichs als erstes ansprach, war der Ausbau der Kinderbetreuung.

Für den Chef einer konservativen Partei ist das nicht selbstverständlich. Über Jahrzehnte war die ÖVP bei diesem Thema viel mehr Bremserin als Motor. Ihrem Einfluss ist es maßgeblich zu verdanken, dass der österreichische Staat Familien zwar reichlich mit Geld fütterte, aber trotz eines Aufholprozesses in der jüngeren Vergangenheit beim Angebot von Plätzen in Kindergärten und -krippen bis heute dem westlichen Standard hinterher hinkt.

Vielen Wählerinnen und Wählern kam das entgegen. In konservativen Kreisen war und ist es mitunter wohl immer noch verpönt, Kinder eine ganze Arbeitswoche in "Verwahrung" zu geben. Besonders Frauen, die bereits die Kleinsten betreuen lassen, gerieten rasch unter Rabenmutterverdacht.

Nehammer nimmt darauf, wie es scheint, keine Rücksicht mehr. Die nun beschlossenen Investitionen von 500 Millionen jährlich sollen gezielt in die Betreuung der Unter-Dreijährigen fließen. Den Bundesländern hat die Regierung konkrete Benchmarks gesetzt.

Man kann streiten, ob die Ziele ambitioniert genug sind, der Nutzen der Anstrengung aber steht außer Zweifel. Bessere Kinderbetreuung fördert die Integration von Zuwandererkids ebenso wie die Berufschancen von Frauen. Die Wirtschaft profitiert von mehr Arbeitskräften, das Sozialsystem von mehr Einzahlerinnen.

In dieser Frage hat der sonst nicht immer profilstarke Nehammer in der ÖVP einen Markstein gesetzt - auf dem Weg zu einer fortschrittlicheren Haltung. (Gerald John, 24.11.2023)