Cornelia Funke
Cornelia Funke, gelernte Buchillustratorin, beginnt ihre Geschichten nicht immer mit Worten, sondern manchmal auch mit Zeichnungen. Soeben erschien mit "Die Farbe der Rache" Teil vier ihrer "Tintenwelt"-Reihe.
Michael Orth

Steinernes Fleisch? Gibt’s! Wer Cornelia Funkes Reckless gelesen hat, weiß Bescheid. Die Buchserie handelt von einer Welt hinter dem Spiegel, wo unzählige Fabelwesen existieren, aber auch die Gefahr lauert, als Mensch zu Jade zu versteinern. Ein altes Motiv, neu belebt.

Seit einem Vierteljahrhundert begeistert die deutsche Autorin Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Bevorzugt erforscht Funke Parallelwelten – und das stößt in einer Zeit, die sich in hohem Maße nach alternativen Entwürfen sehnt, auf große Neugier. Auch im Fall der Tintenwelt-Serie, mit der Funke ab der Jahrtausendwende zur weltweit bekanntesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorin avancierte. Das US-Magazin Time kürte sie 2005 zu einer der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten.

Tintenwelt spielt mit der faszinierenden Gabe, Menschen in Bücher hinein- und herauslesen zu können. Und weil das Geschäft – samt Verfilmung – so gut läuft, erschien sechzehn Jahre nach dem Abschluss der Trilogie soeben ein überraschender vierter Teil: Die Farbe der Rache, DER STANDARD berichtete.

Fantasy-Boom

31 Millionen verkaufte und in 50 Sprachen übersetzte Bücher: Worin liegt der immense Erfolg begründet? Funke macht einfach alles richtig. Die 65-Jährige behandelt ihre Themen mit Respekt, recherchiert ausgiebig, hat die Begeisterung für das im deutschen Sprachraum unterbewertete Fantasy-Genre rechtzeitig erkannt und wird mit J. K. Rowling und Michael Ende verglichen. Sogar das Großfeuilleton liegt ihr zu Füßen und lobt die Könnerschaft ihrer sich am Märchenschatz und historischen Kontexten abarbeitenden, fundierten Erzählweise.

Warner Bros.

Seit Herr der Diebe, Funkes zweitem Megaerfolg, machen Venedig-Reisen für Kinder erst so richtig Sinn, zieht doch in der Lagunenstadt der Robin-Hood-hafte titelgebende Bandenführer mit seiner Gang um die Häuser. Eine Neuinszenierung dieses inzwischen als Klassiker moderner Kinderliteratur geltenden Romans zeigt das Burgtheater ab Samstag. In der Regie von Rüdiger Pape spielt Julian von Hansemann in einem siebenköpfigen Ensemble den Titelhelden im Kasino am Schwarzenbergplatz.

Fantasy sei politisch, sagt Funke. Weil das Fantastische entgrenzt und in ihm eine Welt möglich wird, die die Parameter des Realen sprengt. Das schafft Platz im Hirn und ermöglicht es, das scheinbar Unmögliche konkret werden zu lassen. Und in diesem Punkt überschneiden sich die Interessen eines Kinder- wie auch Erwachsenenpublikums. Funke hat beispielsweise Pans Labyrinth, das historische Fantasy-Drama des mexikanischen Filmregisseurs Guillermo del Toro, als Roman neu geschrieben: Das Labyrinth des Fauns (2019).

Herr der Diebe Burgtheater
Venedig im Nebel: "Herr der Diebe" hat am 25. November Premiere im Burgtheater-Kasino.
Susanne Hassler-Smith

Funke steckt in der "Kinderschublade". Die Autorin sieht das locker. Vor vielen Jahren schon sagte sie aber, dass es für Menschen jeden Alters bei der Literatur doch um das Bedürfnis gehe, das eigene "Schicksal auf irgendeine Weise in einen Sinn verpacken" zu können. Freundschaft, Mut, Verrat sind ihre Themen. Aber auch Kapitalismuskritik und Klimawandel. Letzterer gewinnt in Funkes Überlegungen zunehmend an Bedeutung. Nicht zuletzt deshalb, weil sie den Klimawandel auf ihrer von Dürre und Feuer geplagten kalifornischen Plantage, auf der sie viele Jahre lebte, immer mehr zu spüren bekam – und von wo sie schließlich 2021 in die Toskana übersiedelte.

Super Realität

Ihr neues Anwesen nahe Volterra öffnet die Autorin seither auch Kunstschaffenden und Studierenden, die sie mit Stipendien und Residenzprogrammen fördert, insbesondere in Sachen Buchillustration – ein Studium, das Funke selbst einst in Hamburg betrieb. Oftmals, so sagt sie, beginne sie ein Buch anstatt mit Worten mit einer Zeichnung. Auch den allerneuesten Tintenwelt-Band hat sie selbst illustriert.

Eine Eigenschaft ist für Funkes Karriere noch bedeutsam: Lernfähigkeit. Die Bestsellerautorin ist sich ihrer Schreibposition überaus bewusst: "Ich bin eine 65 Jahre alte weiße Frau, das bringt Denkbegrenzungen mit sich", sagte sie dem Spiegel auch und unterstreicht damit ihr Verständnis für die Debatte um kulturelle Aneignung und die Notwendigkeit vieler Korrekturleserinnen und -leser. Eine Demut, die nicht viele haben. (Margarete Affenzeller, 24.11.2023)