Dass die 24-jährige Cushla Lavery ausgerechnet in einer Bar, in der sie zeitweise arbeitet, vom sehr viel älteren Anwalt Michael Agnew angemacht wird, führt beim Lesen von Louise Kennedys Roman Übertretung zu keinerlei Irritationen – wie man 2023 vielleicht annehmen könnte –, sondern zu einer schön leidenschaftlichen Affäre zwischen den beiden. Wir befinden uns im Jahr 1975.

Was hier vielleicht kurz nach einem sommerlichen Pageturner klingen mag, die deutsche Übersetzung von Trespasses ist tatsächlich im August erschienen, ist aber das vielbeachtete und in der Folge mehrfach ausgezeichnete Debüt von Louise Kennedy, die uns mit ihrem sorgfältig durchdachten Plot eine zutiefst gewaltbereite Gesellschaft Nordirlands ins Gedächtnis ruft.

Louise Kennedy, "Übertretung". € 25,– / 320 Seiten. Ü.: C. Glenewinkel / H. Oeser, Steidl-Verlag, Göttingen 2023
Steidl

Die Autorin, die übrigens 30 lange Jahre ihres Lebens Köchin (in Irland und Beirut) war, wuchs selbst in der Nähe von Belfast auf. Was das bedeutet, damit kennt sich Kennedy aus.

Ihre Protagonistin Cushla ist eine Junglehrerin, die sich für sozial schwache, ausgegrenzte Schüler engagiert, zu Hause eine alkoholkranke Mutter pflegt und ab und an in der Kneipe ihres Bruders jobbt.

Die Laverys sind Katholiken, aber ihre Bar ist auch Anlauf- oder besser Volllaufstelle für viele und vieles: britische Soldaten, katholische Trinker oder auch für den liberal protestantischen Prozessanwalt Michael, der für Cushla nicht nur einen Aufbruch in sexueller Hinsicht bedeutet, sondern auch einen Ausbruch aus ihrem Milieu.

Übertretung ist nicht nur ein Buch über den brutalen Nordirland-Konflikt, der vom schmerzvollen Versuch einer jungen Frau erzählt, in einer Art Krieg ein vielleicht unkonventionelles, aber dennoch ein Leben zu führen. Das Buch ist auch ein Klassenroman, der ganz ohne Schwarz-Weiß-Zeichnungen auskommt und angenehm komplex die brennenden Bruchlinien zwischen Familien, Menschen und Religionen nachzeichnet. Bis zum Bitter und nicht Happy End. Es liest sich aber versöhnlich – und das ist schon sehr viel. (Mia Eidlhuber, 7.12.2023)