"Wisst ihr, immer wenn ich nach Deutschland komme, habe ich das Gefühl, ich muss etwas stehlen." Emmie Arbel lässt tatsächlich immer eine Kleinigkeit mitgehen, wenn sie ein- bis zweimal im Jahr im Land ist, um in der Gedenkstätte Ravensbrück vor jungen Menschen über ihre Geschichte zu sprechen. Es ist eine Geschichte absoluten Grauens, über die sie jahrzehntelang kein Wort herausbrachte. Als kleines Kind deportierten die Nazis die 1937 in Den Haag geborene Arbel, ihre Eltern und Großeltern wurden ermordet, sie selbst überlebte Ravensbrück und Bergen-Belsen. Das Wort "Überlebende" mag Arbel allerdings nicht, es zeuge von Schwäche, und das passt fürwahr nicht zu der selbstbestimmten Frau, die heute in Israel nahe Haifa lebt.

Barbara Yelin, "Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung". € 30,50 / 192 Seiten. Reprodukt Berlin, 2023
Verlag

Barbara Yelin ist eine der bekanntesten Comic-Künstlerinnen Deutschlands, ihren Durchbruch hatte sie mit Irmina, das auf der wahren Geschichte ihrer Großmutter, einer Mitläuferin der Nazis, basiert. Ihre neue Graphic Novel Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung fußt auf jahrelangen, intensiven Gesprächen mit Arbel, auch über die Traumata und Verwicklungen ihres Lebens nach Kriegsende.

"Ich erinnere mich nicht" oder "Ich will mich nicht erinnern" taucht immer wieder auf in den Gesprächen, die Yelin in einen meisterhaften Wechsel von Erzählebenen in Bild und Text einwebt, in denen Gegenwart und Vergangenheit immer wieder aufeinanderstoßen. Und so wird das Fassen des Sprachlosen in Bilder auch zu einem Reflektieren über den Prozess des Erinnerns und Vergessens. So wie sich die Erinnerung ins Bewusstsein drängt und schwindet, so schwappt sie in der Graphic Novel immer wieder in nachtblauen Farbwolken über die Seiten, verfestigt sich zu harter Realität und verflüchtigt sich wieder. Dabei schafft Yelin etwas Außergewöhnliches: eine gewisse Leichtfüßigkeit zu bewahren, die das Thema, das heute aktueller ist denn je, fassbar und zugänglich macht. (Karin Krichmayr, 9.12.2023)