Wien – Als das Bundesheer im Vorjahr analysierte, was es alles (nicht) kann, entstand der sogenannte "Aufbauplan 2032", mit dessen Hilfe innerhalb von zehn Jahren die größten Lücken geschlossen werden sollten. Ein Jahr und zwei Budgetbeschlüsse später sieht es wieder anders aus: Eine Lücke, deren Schließung 2022 noch als wenig realistisch gegolten hat, könnte mit der European Sky Shield Initiative geschlossen werden – was prompt zu heftigen Diskussionen in der Budgetdebatte des Nationalrats geführt hat: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat ziemlich kurzfristig budgetäre Vorsorge für die österreichische Beteiligung an Sky Shield getroffen, um auch weitreichende Luftverteidigung (irreführend manchmal als Langstreckenraketen bezeichnet) zu ermöglichen.

Brigadier Gerfried Promberger, Bundeskanzler Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner in der Einsatzzentrale Basisraum in Sankt Johann im Pongau, wo Österreichs Luftraum überwacht wird.
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Genau genommen: "Wir können erstmals von Ansätzen einer echten Luftverteidigung sprechen", sagte Luftstreitkräftekommandant Brigadier Gerfried Promberger nach dem Budgetbeschluss. Die Perspektive, an Sky Shield teilzunehmen, habe sich erst in den letzten Monaten ergeben. Diese Chance nicht zu ergreifen wäre fahrlässig gewesen, sagte der hohe Offizier dem STANDARD: "Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat gezeigt, dass die umfassende Verteidigungsfähigkeit gegen militärische Bedrohungen immer wichtiger wird. Russland setzt unbemannte Systeme, ballistische Raketen, Marschflugkörper und Hyperschallflugkörper vielfach in der Ukraine ein. Dies führt vor Augen, wie wichtig eine leistungsfähige Luftverteidigung ist, um zukünftigen Bedrohungen entgegenwirken zu können." Wenn man jetzt nicht entsprechende Systeme beschaffe, gebe es auf etwa zehn Jahre keine Möglichkeit, weil die Hersteller dann sagen würden, Österreich müsse sich "hinten anstellen".

Überzeugungsarbeit

Tanner ist bewusst, dass für die Sky-Shield-Kooperation noch viel Überzeugungsarbeit und ein Gesetzesbeschluss notwendig sein werden. Daher soll es am 5. Dezember eine parlamentarische Enquete geben. Dabei will sie auf die Kritiker der Sky-Shield-Teilnahme zugehen und deren Bedenken zerstreuen. Dabei geht es im Wesentlichen um drei Punkte:

- Die Notwendigkeit der österreichischen Teilnahme. Hier müsse klar sein, dass Österreich derzeit allenfalls den Fliegerhorst in Zeltweg schützen kann. Es gelte aber, bis zu sechs Schutzobjekte gleichzeitig zu schützen – und zwar gegen Bedrohungen, die von Drohnenangriffen über Angriffe mit Marschflugkörpern bis hin zu Angriffen mit Hyperschallraketen reichen. In Fällen eines Konflikts könnten Truppen ohne mobilen Begleitschutz kaum die Kaserne verlassen. Daher werde die Pandur-Flotte aufgestockt und mit Luftabwehr ausgestattet – in diesen Radpanzern soll dann stets auch die komplette Luftlage elektronisch abrufbar sein.

- Die Machbarkeit der österreichischen Teilnahme. Schon in der Parlamentsdebatte am Donnerstag wurden massive Zweifel geäußert, ob das Bundesheer überhaupt das notwendige Personal rekrutieren kann. Dazu gibt Promberger den Hinweis, dass ein Patriot-Verband der deutschen Bundeswehr 600 Berufssoldaten benötigt. In der Schweiz, die sich auf Milizsoldaten stützt, rechnet man sogar mit 750 Soldaten pro Einheit. Und diese müssten erst einmal angeworben, verpflichtet und (dank Sky Shield relativ kostengünstig gemeinsam mit den anderen Teilnehmerstaaten) ausgebildet werden. Dies werde zwar Jahre dauern, räumt Promberger ein: "Das Personal ist ein Schlüsselbereich, aber ich bin zuversichtlich. Wenn man jungen Leuten erklärt, was da technologisch auf uns zukommt, dann sieht man das Interesse." Allerdings müsse da auch das Besoldungssystem angepasst werden, um im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen zu können, erklärt Tanner.

- Schließlich geht es darum, ob die österreichische Teilnahme an Sky Shield überhaupt zulässig ist. Tanner beruft sich dabei darauf, dass Österreichs Neutralitätsvorbehalt wortgleich mit dem entsprechenden Schweizer Dokument abgestimmt wurde. Und sie verweist auf die Expertise des Innsbrucker Völkerrechtlers Walter Obwexer. Der Professor erklärt, dass Planung, Beschaffung und gemeinsame Ausbildung ebenso wie der Austausch von Informationen über mögliche Angriffe unproblematisch seien. Die Neutralitätsverpflichtung, die die Errichtung fremder Stützpunkte in Österreich untersagt, wäre nur dann verletzt, wenn Einsatzbefehle aus dem Ausland kämen. Auf Nachfrage gibt er als Beispiel für einen Einsatz: "Eine Drohne, die über Österreich fliegt, darf abgeschossen werden, weil ja nicht klar ist, ob ihr Ziel in Österreich oder in einem Nachbarland liegt. Und als Neutraler müssen wir die Nutzung unseres Luftraums durch einen Angreifer auf ein anderes Land ohnehin mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhindern."

Wenn es allerdings konkret um die Frage geht, welche Abwehrsysteme zu welchem Preis beschafft werden sollen, wird im Verteidigungsministerium um Geduld gebeten. Wenn es so weit sein wird, soll die Beschaffung transparent und unter Aufsicht einer "Beschaffungsprüfungskontrollkommission" erfolgen. (Conrad Seidl, 24.11.2023)