Tanja R. hat etwas getan, wovor sich Gewaltopfer oft fürchten und in vielen Fällen auch zurückschrecken: Sie hat ihren gewalttätigen Ex-Freund angezeigt. Er hat sie mehrmals geschlagen und misshandelt. Für Tanja R., die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, war es die erste Erfahrung mit Polizei und Justiz, sie hatte keinen Rechtsbeistand.

Nach ihrer Anzeige kam es zu einem Verfahren, dessen Ausgang sie Monate später immer noch nicht kennt. Vom Gericht erhielt sie lediglich ein Schreiben mit der Information, dass sie von ihrem ehemaligen Partner 400 Euro Schadenersatz erhält. Tanja R. vermutet, dass er nicht verurteilt wurde, denn nur Wochen nach der Verhandlung wegen der Gewalttaten erhält sie von ihm eine Drohung via Textnachricht. Er werde sie "abstechen", hieß es darin.

Die schwierige Erfahrung mit ihrer Anzeige und dem Gerichtsprozess wäre für Tanja R. ein guter Grund gewesen, diesmal stillzuhalten. Stattdessen aber wandte sie sich an ein Gewaltschutzzentrum und bat um Hilfe. Dort traf sie auf die Beraterin Monika D. und die Anwältin Patricia Hofmann. "Ich kenne mich nicht mehr aus", sagte sie im ersten Gespräch. Das sei normal, lautete die Antwort. Deshalb erhält sie nun Prozessbegleiterinnen – Monika D. für die psychosoziale Seite, Hofmann für die rechtliche.

Wer Prozessbegleitung in Anspruch nimmt, ist auf dem Weg der juristischen Aufarbeitung von Gewalt nicht mehr allein.
Wer Prozessbegleitung in Anspruch nimmt, ist auf dem Weg der juristischen Aufarbeitung von Gewalt nicht mehr allein.
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Da sein und begleiten

Auch die Sozialarbeiterin will anonym bleiben, weil Mitarbeiterinnen von Gewaltschutzzentren manchmal zum Feindbild von Gefährdern werden. "Begleiten, da sein und offene Frage beantworten", beschreibt Monika D. ihre Aufgabe für Gewaltbetroffene. Die juristische Prozessbegleitung wahrt die Opferrechte in Strafverfahren. Beides wird von Gewaltschutzzentren und anderen Hilfseinrichtungen organisiert und kann in ganz Österreich von Gewaltopfern in Anspruch genommen werden. Die Kosten übernimmt das Bundesministerium für Justiz. Obwohl es das Recht auf Prozessbegleitung in Österreich schon seit 2006 gibt, wissen noch immer viele nichts davon – und schrecken auch deshalb vor dem Gang zur Polizei zurück.

Und das sind viele: In Österreich ist jede dritte Frau ab dem Alter von 15 Jahren von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Angezeigt wird diese aber selten. Und Dunkelfeldstudien dazu sind rar. Diese Studien erheben zum Beispiel durch Umfragen die Kluft zwischen der behördlich erfassten Kriminalität und die von Menschen erlebten Gewalttaten. Laut solchen Untersuchungen wird europaweit etwa eine von zehn Vergewaltigungen angezeigt – und nur knapp jede fünfte Anzeige führt zu einer Verurteilung.

Nervosität im Gerichtssaal

Die 37-jährige Canan K. hat den Gang zur Polizei schon hinter sich. Jetzt steht sie vor einem Gerichtssaal und wartet darauf, dass sie als Zeugin aufgerufen wird – mit ihrer psychosozialen Prozessbegleiterin. Die vom Gewaltschutzzentrum vermittelte Opferanwältin sitzt schon im Gerichtssaal. Dort murmelt der Richter in einem hohen Tempo Aktenzahlen und juristische Fachausdrücke vor sich hin. Eine Schriftführerin tippt nicht minder schnell mit, wodurch das, was der Richter sagt, noch undeutlicher wird.

Außer jene der Anwältin und jene des Richters erkennt Canan K. die Funktion von keinem im Saal. Sie ist nervös und irrt sich deshalb, wie sie selbst sagt, gleich bei den ersten Fragen des Richters zu diversen Jahreszahlen. Sie berichtigt sich immer wieder und kann nach der ersten Aufregung doch noch den Zeitablauf schildern. Wann die Verfolgung durch ihren Ex-Partner begonnen hat, wann und wo er ihr auflauerte und wann sich ihr Leben durch die Angst vor ihm stark veränderte.

Dieser Mann sitzt im Saal nur wenige Meter von ihr entfernt. Zwar in einem separaten Raum, aber mit einer offenen Tür, sodass der Angeklagte alles hören kann, was seine Ex-Partnerin erzählt. Und wozu er offenbar viel sagen will. Das verraten die Mimik und die Gestik der Justizwachebeamtin, die vom Verhandlungssaal aus zu sehen ist und die den Angeklagten aus der U-Haft in den Gerichtssaal begleitete. Immer wieder zieht sie streng die Augenbrauen hoch, blickt ihn warnend an oder zieht mit ihrem Zeigefinger und Daumen den imaginären Reißverschluss vor ihren Lippen zu.

"Gerichtsverfahren machen vielen Angst", sagt Monika D. Die Vorstellung, vor einem Richter oder einer Richterin zu sitzen, nicht zu wissen, was passiert, wenn sie sich an etwas nicht mehr erinnern können – diese Sorgen hört die Sozialarbeiterin in ihren Beratungen oft. Zur juristischen Prozessbegleitung kommt es meistens erst, wenn klar ist, dass es ein Verfahren geben wird. "Wir haben einen Pool an Anwältinnen, die auf Opferschutz spezialisiert sind", erklärt Monika D. Mit ihnen gemeinsam führt sie die Gewaltbetroffenen durch die oft schwierige juristische Aufarbeitung des Erlebten. Wenn die Betroffenen genau wissen, wie alles abläuft, nimmt ihnen das oft die Angst, sagt die Sozialarbeiterin.

Zurück zum Fall von Tanja R.: Patricia Hofmann und Monika D. nehmen sich viel Zeit, um Tanja R. auf die anstehende Verhandlung vorzubereiten. Hofmann erklärt ihr den Ablauf des Termins. Und sie erklärt, dass Tanja R. das Recht hat, dass der Angeklagte wie bei Canan K. in einen Nebenraum oder aus dem Verhandlungssaal geführt wird, um nicht in seiner direkten Anwesenheit aussagen zu müssen. Auch ihre Wohnadresse müsse sie vor Gericht nicht nennen, wenn sie nicht möchte, dass der Angeklagte oder andere Anwesende bei der Verhandlung ihre Anschrift hören. Solche Details ihrer Rechte kennen die meisten nicht.

Freispruch oder Strafe?

Schon im Vorfeld wurde den Prozessbegleiterinnen klar, dass Tanja R. mit dem vorigen Verfahren nicht abgeschlossen hatte. Immer wieder thematisiert sie dieses im Beratungsgespräch. "Was ist mit all dem, was damals passiert ist? Ich will das alles nicht so liegenlassen?", sagt sie verständnislos, als ihr die Anwältin erklärt, dass es in der kommenden Verhandlung allein um die gefährliche Drohung gehen wird.

Wie wohl die meisten Nichtjuristen und -juristinnen weiß sie nicht, dass das Gericht das Opfer nicht in allen Fällen über Verurteilung oder Freispruch informieren muss. Nachdem die Anwältin Akteneinsicht genommen und erklärt hat, dass ihr Ex-Partner zu einer zehnmonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, kann sich die Klientin auf den nun anstehenden Prozess konzentrieren. "Nicht nur die Informationen vor dem Prozess, sondern auch die Erklärung des Urteils, des Ausgangs des Verfahrens und die Bedeutung dessen für das Opfer, all das ist für viele Betroffene von besonderer Wichtigkeit", so Hofmann.

Die meisten Gewaltbetroffenen nehmen nicht auf Eigeninitiative Prozessbegleitung in Anspruch. Wenn bei Gewalt ein Betretungs- oder Annäherungsverbot ausgesprochen wird, dann gibt die Polizei die Daten an das Gewaltschutzzentrum weiter. In diesen Fällen melden sich die Beraterinnen proaktiv bei den Gewaltbetroffenen. Weniger Klientinnen oder Klienten kommen über andere soziale Einrichtungen, mit denen die Gewaltopfer Kontakt hatten. Oder sie melden sich ganz selbstständig, aber auch das: selten.

Was am Ende zählt

Das Gewaltschutzzentrum erarbeitet mit den gewaltbetroffenen Menschen Maßnahmen zur Erhöhung von Schutz und Sicherheit, bietet psychosoziale Begleitung, rechtliche Beratung und zeigt eben die Möglichkeit der Prozessbegleitung auf. "Der Bekanntheitsgrad des Rechts auf Prozessbegleitung hält sich in Grenzen, aber wir merken, dass die Zahl der Selbstmelderinnen steigt", sagt Monika D.

Was am Ende eines Verfahrens für die Betroffenen zählt? Jedenfalls nicht die Höhe des Schadenersatzes, Schmerzensgeldes oder der Strafe, sagen beide Prozessbegleiterinnen. "Das kann die Tat nicht wieder ungeschehen machen", sagt Monika D. Dass ihnen geglaubt wurde, auch von einem Richter oder einer Richterin, dass sie Unterstützung bekommen haben und dass auch vonseiten des Staates etwas gegen Ungerechtigkeiten und psychische wie physische Grenzüberschreitungen mit möglichen Langzeitfolgen unternommen wurde. Darum gehe es letztlich Betroffenen von Gewalt. (Beate Hausbichler, 25.11.2023)