Petr Popelka
Der designierte Chefdirigenten Petr Popelka...
Vojtech Brtnicky

Wenn ein Künstler bereits als Neunjähriger im Wiener Konzerthaus aufgetreten ist – konkret also Pianist Rudolf Buchbinder –, darf behauptet werden, dass er sich ebendort zu Hause fühlt. Eine andere interessante Zahl: Wenn Buchbinder mit den Wiener Symphoniker unter dem designierten Chefdirigenten Petr Popelka aufspielen wird, hat er bereits 380-mal mit dem Orchester musiziert. Auch dabei darf erhebliche gegenseitige Vertrautheit vermutet werden.

Natürlich ist – wie bei Buchbinder, der am 1. Dezember seinen 77. Geburtstag feiern wird – auch für die Symphoniker das Konzerthaus ein sehr vertrauter Spielort. Selbiges betont auch der neue Leiter Popelka: "Ich freue mich ungemein auf mein erstes Konzert als designierter Chefdirigent der Symphoniker. Das Programm ist maßgeschneidert für das ,Wohnzimmer‘ des Orchesters, das Konzerthaus.” Er meint die Verklärte Nacht von Arnold Schönberg, „dessen Musik so wegweisend für das Orchester war". Mitgemeint ist auch Mozart, "der sein Klavierkonzert Es-Dur KV 482 in Wien komponierte".

Inhaltliche Gedanken zum Programm? Popelka meint, in diesen Konzerten ginge es um ganz unterschiedliche Stimmungen, "um sehnsuchtsvolle Melancholie in der Verklärten Nacht zum einen, auch um innere Freude, und schließlich um allzu menschliches Herzklopfen". Dies seien "Seelenzustände, die das Orchester und mich in den kommenden Jahren sicherlich begleiten werden". Popelka, der unlängst bei Jaromír Weinbergers Oper Schwanda, der Dudelsackpfeifer im Musiktheater an der Wien mit seinem ­Orchester glänzte, wird Nachfolger des überraschend und im Unfrieden zurückgetretenen Andrés Orozco-Estrada.

Tiefe Emotion

Popelka stammt aus Prag und wirkte tatsächlich als Kontrabassist bei Christian Thielemanns Sächsischer Staatskapelle Dresden. Erst danach wechselte er ans Pult. Momentan ist er Chefdirigent der Rundfunkorchester in Oslo und Prag, wobei die Position in Norwegen auslaufen wird. Er komponiert auch. Diese Tätigkeit sei jedoch "meine Leidenschaft, nicht mein Beruf", so der 37-Jährige.

Rudolf Buchbinder
...und Klavierstar Rudolf Buchbinder werden mit den Wiener Symphonikern im Konzerthaus zwischen Wiener Klassik und später Romantik pendeln.
Marco Borggreve

Zu Buchbinder? Da meint der Tscheche, man würde bei Buchbinder mit einem Solisten kooperieren, "der zur Wiener DNA gehört". Richtig. Da ist aber auch große Vielseitigkeit, die sich anhand schier unendlich vieler Einspielungen dokumentiert. Soirée de Vienne etwa bringt Stücke, die eng mit Wien verbunden sind. Da war aber auch Buchbinders origineller Beitrag zum Beethoven-Jahr 2020.

Damals animierte er Tonsetzer und Tonsetzerinnen zum Schreiben neuer Diabelli-Variationen. Zu Beethovens op. 120 erdachten Kapazi­täten wie Lera Auerbach, Brett Dean, Toshio Hosokawa, Christian Jost, Philippe Manoury, Rodion Schtschedrin, Max Richter, Johannes Maria Staud, Tan Dun und Jörg Widmann Variationen über das einschlägige Walzerthema.

Freiheit und Luxus

Das Ganze ist unter dem Titel The Diabelli Project erschienen und spiegelt nebst Buchbinders technischer Könnerschaft auch sein Gefühl für Strukturen. Wobei einem auch ein Satz von ihm bezüglich des Musizierens in den Sinn kommt: "Die Freiheit im Moment, der Luxus intelligenter Naivität und die Neugier am Augenblick – all das macht Musik erst lebendig", so Buchbinder. Nicht zu vergessen: Zu seiner Vielseitigkeit gehört auch die Tatsache, dass er künstlerischer Leiter des renommierten Sommerfestivals in Grafen­egg ist.

Im Rahmen der Matineen mit den Wiener Symphonikern wird er also Mozarts Klavierkonzert Es-Dur K 482 spielen. Das Werk zählt mit einer Dauer von etwa 35 Minuten zu den imposanten Klavierkonzerten Mozarts und bietet auch die Möglichkeit zum Dialog zwischen Orchester und Solist.

William Kentridge
Der südafrikanische Künstler William Kentridge ist für sein vielseitiges Werk weltberühmt. Neben seinen Filmen inszenierte er bereits an internationalen Opernhäusern.
Marco Borggreve / Konzerthaus Wien

Von Kentridge für Schostakowitsch

Tatsächlich gibt es wenige zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen, deren Werke nicht nur in großen Museen wie dem Museum of Modern Art in New York oder dem Pariser Louvre zu sehen sind, sondern auch an internationalen Opernhäusern gezeigt werden, darunter die Metropolitan Opera in London sowie die Mailänder Scala. William Kentridge tanzt stets auf mehreren Hochzeiten – egal, ob es die Documenta in Kassel oder die Salzburger Festspiele sind.

Der 1955 in Südafrika geborene und in Johannesburg lebende Künstler gilt als Weltstar und wird am 2. Dezember mal wieder in Österreich zu Gast sein. Da spielt das Luzerner Sinfonieorchester unter Dirigent Michael Sanderling die zehnte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch im Wiener Konzerthaus. Im Auftrag der Schweizer produzierte Kent­ridge den Animationsfilm Oh to Believe in Another World zu ebenjener Symphonie. Außerdem wird der Künstler an einem Podiumsgespräch mit dem Intendanten des Orchesters, Numa Bischof Ullmann, sowie Konzerthaus-Chef Matthias Naske teilnehmen.

Bekannt ist William Kentridge für seine Stop-Motion-Animationsfilme, die er auch oft als Theaterstücke oder opernhafte Performances auf die Bühne bringt. 2018 inszenierte der 68-Jährige bereits Alban Bergs Wozzeck bei den Salzburger Festspielen sowie das Musiktheater Sibyl im Rahmen der Wiener Festwochen (2023). Ausgangspunkt all seiner Werke ist jedoch stets die Zeichnung, die er mit Kohle erschafft und durch die Animation zum Leben erweckt. Bei seiner Technik spielt vor allem die Dynamik des Ausradierens und Neuzeichnens eine wichtige Rolle.

Fusion aus Musik und Film

In zahlreichen Interviews erzählt Kentridge, dass er anfangs in vielen Bereichen scheiterte – sei es das Theaterspielen oder die Malerei gewesen. Irgendwann fand er seinen künstlerischen Weg, der keiner isolierten Sparte von Medien und Genres zugeordnet werden kann. Inhaltlich bezieht sich der Künstler oft auf die Geschichte seiner Heimat und reagiert auf das Erbe von Apartheid und Kolonialismus in Bezug auf die gesellschaftspolitische Landschaft Südafrikas. Kentridge hinterfragt nicht nur Autoritäten per se, sondern auch seine eigene Rolle als Künstler. Als dezidiert politischen Künstler bezeichnet er sich allerdings nicht. Sein Leitspruch lautet: „Die Kunst muss das Ungewisse schützen.”

In seiner Produktion für das Luzerner Sinfonieorchester wird eine Filmszenerie aus Kartonfiguren Einblicke in das Zeitgeschehen des 1906 geborenen Schostakowitsch geben. Die Fusion aus Musik und Film sollen das Leben unter der zerstörerischen Gewalt einer Diktatur veranschaulichen. Die zehnte Symphonie entstand im Jahr 1953, unmittelbar nach dem Tod Josef Stalins, dessen Gewaltherrschaft tiefe Spuren im Werk des Russen hinterlassen hat.