Massendemo in Rom gegen Gewalt gegen Frauen.
Massendemo in Rom gegen Gewalt gegen Frauen.
EPA/MASSIMO PERCOSSI

Es war die größte, bunteste und lauteste Demonstration, die Rom in den letzten Jahren gesehen hat: Ein Meer von Menschen setzte sich am Samstagnachmittag vom Circus Maximus in Richtung Kolosseum in Bewegung, um dann zur Abschlusskundgebung vor der Lateranbasilika weiter zu marschieren. Eine halbe Million Teilnehmer hätten sich allein in der Hauptstadt zur Kundgebung gegen Gewalt gegen Frauen eingefunden, erklärten die vom Großaufmarsch selber überraschten Organisatorinnen des Vereins "Non una di meno" ("keine einzige weniger"). An der Demonstration hatten sich auch zahlreiche Politikerinnen und Politiker sowie prominente Künstlerinnen und Künstler beteiligt. Auch in anderen italienischen Städten haben Großkundgebungen stattgefunden.

Video: Am internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen sind weltweit zehntausende Menschen auf die Straße gegangen.
AFP

Anlass für die Demonstrationen war der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen – aber ausschlaggebend für die enorme Mobilisierung war letztlich der brutale Mord an der 22-jährigen Studentin Giulia Cecchettin vor zwei Wochen durch ihren gleichaltrigen Freund und Studienkollegen gewesen. Filippo Turetta hatte Giulia niedergestochen und verbluten lassen, nachdem sie ihn verlassen hatte. Anschließend packte der Täter die Leiche in sein Auto, deponierte sie in einer Schlucht in Norditalien und flüchtete weiter über die Grenze nach Österreich und dann nach Deutschland. Dort wurde er auf der Autobahn festgenommen, nachdem ihm das Benzin und das Geld ausgegangen war. Am Wochenende wurde Turetta von den deutschen Behörden an Italien ausgeliefert.

"Kulturelle Revolution" gefordert

Der Fall hat landesweit Entsetzen ausgelöst – wegen seiner Brutalität, aber auch weil dem Drama die typischen Zeichen eines bevorstehenden Femizids vorausgegangen waren: Der Täter hatte seine Freundin zuerst obsessiv kontrolliert, mit Suiziddrohungen unter Druck gesetzt, mehrfach bedroht und schließlich seine Drohungen wahr gemacht. Elena Cecchettin, die ältere Schwester der getöteten Giulia, forderte die italienische Gesellschaft zu einer "kulturellen Revolution" auf, die geprägt sei von Respekt, Höflichkeit und Zuneigung gegenüber den Frauen. Männer müssten endlich lernen, ein Nein zu akzeptieren, und begreifen, dass sie die Frauen nicht als ihren Besitz betrachten dürfen, schrieb sie in einem offenen Brief, den sie am Wochenende im Hinblick auf die Kundgebung in den sozialen Medien postete.

Die großen italienischen Zeitungen hatten in den vergangenen Tagen praktisch täglich und auf mehreren Seiten über die Ermordung der Studentin berichtet; Die TV-Sender widmeten dem Thema Hintergrundberichte und Talkshows. Der Tenor: Auch wenn in Italien der Ehemann laut Gesetz seit 1975 nicht mehr offiziell das Familienoberhaupt ist und seine Frau auch nicht mehr wie früher ungestraft schlagen darf, und auch wenn seit 1981 die – strafmindernden – "Ehrendelikte" aus dem Gesetzbuch verbannt sind: Das katholische Belpaese sei eben immer noch patriarchalisch strukturiert und weit von echter Gleichstellung zwischen Mann und Frau entfernt.

Niedrige Femizid-Rate

Diese Schlussfolgerung ist sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen, muss aber doch stark relativiert werden: Italien hat weltweit eine der niedrigsten Femizid-Raten (sie liegt zum Beispiel niedriger als in Österreich, Deutschland und Frankreich und nur wenig über jener der Schweiz). Wäre also die Häufigkeit der Morde an Frauen ein Maßstab dafür, wie patriarchalisch ein Land ist, stünde Italien gut da.

Das italienische Parlament hat in den letzten Jahren außerdem zahlreiche Gesetze und Maßnahmen zum Schutz der Frauen vor männlicher Gewalt erlassen, unter anderem ein Gesetz gegen Stalking. Umgekehrt kann nicht bestritten werden, dass vor allem in der Wirtschaft Frauen in Führungspositionen im europäischen Vergleich noch seltener anzutreffen sind als anderswo.

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, gleichzeitig Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, ist in den letzten Tagen von einer bekannten linken TV-Moderatorin vorgehalten worden, selber Ausdruck dieser patriarchalischen Mentalität zu sein. Der Vorwurf ist haltlos: Wenn es in Italien eine Frau gibt, die sich von Männern nicht kommandieren oder bedrohen lässt, ist das Giorgia Meloni.

Laufpass von Meloni

Die beiden Regierungspartner und Machos Matteo Salvini und der vor einigen Monaten verstorbene Silvio Berlusconi sind neben ihr zu unbedeutenden Statisten geworden. Und ihrem Lebenspartner, dem TV-Mann Andrea Giambruno, hat sie vor wenigen Wochen kurzerhand den Laufpass gegeben, nachdem er sich Kolleginnen gegenüber übergriffig verhalten hatte.

Am Vorabend der Massenkundgebung in Rom war Giorgia Meloni zusammen mit einigen Ministerinnen und Ministern und mehreren jungen Sportlerinnen und Sportlern vor das rot angeleuchtete Regierungsgebäude Palazzo Chigi getreten und hat die folgenden Worte an die Frauen gerichtet: "Wenn man denkt, dass Angst zu haben normal ist, dann ist das nicht normal. Wenn man denkt, dass Liebe weh tun kann, dann ist es nicht Liebe." Sie appellierte an die Frauen, die Gewalt erfahren, sich unbedingt sofort an die eigens dafür eingerichtete Notrufnummer zu wenden. "Du bist nicht allein, ruf die Nummer 1522 an." (Dominik Straub aus Rom, 26.11.2023)