Virtuelle Models sind keine neue Erfindung, aber dass eine bislang mit Menschen arbeitende Agentur auf computergeneriertes Personal umsteigt, ist nicht alltäglich. Einen solchen Schritt haben die Betreiber des spanische Unternehmens The Clueless gesetzt. Der Grund: Frustration bei der Zusammenarbeit mit echten Menschen.

"Wir haben analysiert, wie wir arbeiten, und festgestellt, dass viele Projekte auf Eis lagen oder abgebrochen wurden aufgrund von Problemen außerhalb unserer Kontrolle. Oft war es der Fehler von Influencern oder Models, nicht des Projektaufbaus", sagt Mitgründer Rubén Cruz im Gespräch mit "Euronews". Er klagt über die Unzuverlässigkeit von und die schwierige Zusammenarbeit mit menschlichen Vertragsnehmern und die seiner Ansicht nach überhöhten Geldforderungen vieler Influencer.

Aus diesem Grund gründete man sich als Agentur mit rein digitalem Portfolio neu und erschuf in monatelanger Arbeit Aitana Lopez, eine KI-generierte 25-jährige Frau aus Barcelona. "Wir taten das, um besser verdienen zu können und nicht auf andere Leute angewiesen zu sein, die große Egos haben, die Manien haben oder die einfach nur viel Geld fürs Posieren bekommen wollen." Neben Aitana bietet man mittlerweile auch ein zweites per Computer erschaffenes Model an: die Argentinierin Maia Lima.

KI-Model Aitana Lopez, junge Frau, pinke Haare, Blick über die Schulter
Aitana Lopez ist das erste KI-generierte Modell.
The Clueless

Entschlossene Gamerin und schüchterne Fotografin

Für beide wurde eine Persönlichkeit entworfen, die sie als Werbeträgerinnen für verschiedene Zielgruppen interessant machen soll. Aitana, die auffällig pinkes Haar trägt, wird als "starke und entschlossene Frau" beschrieben, die sich stark für Fitness und Videospiele interessiert. Maia hingegen wird Schüchternheit und ein unschuldiges Auftreten angedichtet. Sie ist Fan des Fußballklubs Boca Juniors, reist gerne und interessiert sich vor allem für kreative Hobbys wie Fotografie und Musik. Man versuche, Geschmäcker, Hobbies und Nischen zu treffen, die von der Gesellschaft besonders geschätzt werden.

Aitana wurde kürzlich vom Sportnahrungshersteller Big unter Vertrag genommen. Bislang brachte sie der Agentur im Schnitt etwa 3.000 Euro pro Monat ein, in guten Monaten erreichte ihr Umsatz auch schon 10.000 Euro. Jede Woche trifft sich das Team und entscheidet, wie ihr virtuelles Leben in den nächsten sieben Tagen verläuft, welche Aktivitäten sie ausübt und welche Orte sie besucht. Realisiert wird dies dann von KI-Experten und Photoshop-Profis. Man wolle mit ihr Geschichten erzählen, da Menschen auf sozialen Medien anderen Nutzern nicht einfach wegen Fotos folgen, sondern für Einblicke in ihr Leben, sagt Cruz.

Wenngleich die Namen der beiden virtuellen Influencerinnen das englische Akronym für künstliche Intelligenz (AI) beinhalten, wird in ihren Instagram-Postings nicht darauf hingewiesen, dass es sich um computergenerierte Charaktere handelt. Zahlreiche Kommentare stammen von Nutzern, die Aitana und Maia offenbar für reale Menschen halten. Einzig im Profiltext der jeweiligen Accounts findet sich ein solcher Verweis in Form des Hashtags "#aimodel".

Neben der Vermarktung der eigenen Computerfiguren plant The Clueless auch, einen anderen Geschäftszweig zu erschließen. Denn laut dem Betreiber gibt es schon einige Anfragen von Firmen, die gerne ein maßgeschneidertes KI-Modell für eigene Zwecke hätten.

Instagram-Fotos mit KI-Model Aitana Lopez, Unterwäsche- und Bikini-Fotos
Aitana ist auf den Fotos ihres Instagram-Accounts üblicherweise knapp bekleidet zu sehen.
The Clueless

Kritik an unrealistischem Schönheitsideal

Allerdings wurde an Aitana und Maia auch schon Kritik laut. Neben dem wenig transparenten Umgang mit ihrem rein virtuellen Dasein betrifft das auch ihr makelloses Äußeres, das unrealistische Schönheitsstandards und Sexualisierung perpetuieren könnte.

Diese Bedenken tut Cruz allerdings ab. Er verweist darauf, dass seine Agentur lediglich jener Ästhetik folge, die ohnehin schon reale Influencer und Marken vorzeigen würden. Würde man das nicht tun, wären Unternehmen nicht an den KI-Models interessiert. Um das zu ändern müssten sich die Vorstellungen der Kunden wandeln.

Aitana hat auf Instagram mittlerweile rund 140.000 Follower, Tendenz stark steigend. Als laut Agentur erstes KI-Modell aus Spanien hat sie auf die Größen ihrer Klasse aber noch viel aufzuholen. Die brasilianische Computerfigur Luiza do Magalu hat auf der Plattform 6,6 Millionen Anhänger, "Lil Miqaela" aus Los Angeles kommt auf 2,7 Millionen.

KI-Models mit Millionen Followern

Diana Núñez, Co-Gründerin der Agentur, sieht Figuren wie Aitana und Maia gegenüber "Forbes" allerdings nicht als vollständigen Ersatz für Menschen, sondern als eine Möglichkeit, neue Services anzubieten. Man denke etwa darüber nach, Followern der KI-Charaktere personalisierte Erfahrungen anzubieten.

Luiza do Magalu folgen 6,6 Millionen Accounts auf Instagram.

Auch dafür gibt es schon Beispiele. Eines davon ist die US-Influencerin Caryn Marjorie. Sie ließ sich vom Unternehmen Forever Voices einen 3D-Avatar bauen und ihre Stimme klonen. Interessenten konnten gegen monatliches Entgelt schließlich Unterhaltungen in Text und Sprache mit einer virtuellen Kopie von Marjorie führen, die jeweils von den einzelnen Nutzern lernte.

Diese digitale "Girlfriend Experience" erwies sich zwar für die Firma und die Influencerin als lukrativ, zeigte aber auch die Risiken solcher Geschäftsmodelle auf. Denn obwohl die KI eigentlich darauf konfiguriert war, keine sexuell expliziten Gespräche zu führen, fanden findige Nutzer heraus, wie man dem Chatbot dennoch "Dirty Talk" entlocken konnte.

Seit einem Monat ist "CarynAI" allerdings offline, und Marjorie hat den Vertrag mit der Firma aufgekündigt. Grund sind dramatische Entwicklungen bei Forever Voices. Dessen CEO, John Meyer, wurde laut 404 Media Mitte Oktober festgenommen, nachdem er versucht haben soll, sein eigenes Apartment anzuzünden. (gpi, 26.11.2023)