Lawine Freerider
Ende Februar 2023 haben drei Deutsche in Sportgastein eine Lawine ausgelöst. Ein Polizeihubschrauber barg die Freerider. Sie blieben unverletzt.
APA/GERHARD KREMSER

Begibt man sich auf zwei Brettln ins Gelände abseits der Skipisten, kann das mitunter verheerende Folgen haben. Ein Schneebrett oder eine Lawine ist schnell ausgelöst. Erst am Donnerstag ist im Kaunertal ein polnischer Wintersportler von einer Lawine erfasst worden und später im Krankenhaus verstorben. "Auch bestens ausgebildete Leute sind chancenlos, einen Hang richtig einzuschätzen, wenn sie sich nur auf ihr Bauchgefühl verlassen", mahnt der Lawinenexperte Georg Kronthaler.

Lawinenwarnstufen (von eins bis fünf) gelten nämlich für Regionen, die auch hunderte Quadratkilometer umfassen können und für einen speziellen Hang nur bedingt Rückschlüsse zulassen. Oftmals könne man sich auch auf die Erfahrung verlassen, sagt Kronthaler. Doch der Teufel schlafe bekanntlich nie, und so könne sich etwa auch bei Gefahrenstufe eins mit dem Test herausstellen, dass das Betreten eines Hanges lebensgefährlich sei.

Lawine Schneebrett LARA App Blocktest Georg Kronthaler
Georg Kronthaler weiß als Lawinenexperte, wie man die Gefahr richtig einschätzt.
Georg Kronthaler

Kronthaler: "Es wird immer Unfälle geben, auch wenn das Risiko gering ist, weil sich die Leute nicht auf den Lagebericht, der nur eine Prognose ist, verlassen können." Eine niedrige Gefahrenstufe sage nichts über den lokalen Einzelhang aus, der werde im Lawinenwarnbericht nicht berücksichtigt. Das Entscheidende sei, dass man einschätzen könne, wie groß sein tatsächliches Risiko sei. "Aber die Leute wissen das meist gar nicht", sagt der 62-jährige Tiroler.

Damit sich ein Schneebrett überhaupt lösen kann, braucht es bestimmte Voraussetzungen. Grundsätzlich gilt: "Ohne Schwachschicht gibt es kein Schneebrett", sagt Kronthaler. Eine Schwachschicht entsteht, wenn es etwa nach Schneefall in der Nacht für ein paar Stunden aufklart und es dann wieder drauf schneit. Aktuell und über den Winter generell sehr häufig vorkommend, bereitet aber vor allem die Triebschneegefahr, - wenn der Schnee durch Wind verfrachtet wird -, Sorgen.

Rund 22 Menschen sterben Jahr für Jahr durch Lawinen. In den allermeisten Fällen trifft es Männer.
Alessandro Zappalorto/Shuttersto

Mittels "Blocktest" lässt sich feststellen, ob sich eine derartige Schicht unter der Schneedecke befindet. Dabei wird mit einer Schaufel ein Schneeblock freigelegt und durch seitliches Dagegenschlagen geprüft, wie er sich verhält. Um dann das Risiko abwägen zu können, hat Kronthaler die "Lara-App" entwickelt, die nach Fütterung mit einigen Daten eine genaue Einschätzung präsentiert, wie groß die Lawinengefahr im jeweiligen Bereich ist. Zudem kann man auch in Echtzeit eine lokale Gefahrenstufe für das Gelände erstellen, die andere via Internet einsehen können. „Da gibt es eine Klarnamenpflicht, somit wird damit auch kein Schindluder getrieben”, sagt der staatlich geprüfte Berg- und Skiführer.

Blocktest zur Einschätzung der Schneesituation
Lawinenexperte Georg Kronthaler bei einer Fortbildung für Bergführer und Ausbildner der Gebirgsjäger des deutschen Bundesheers in Sölden.
DER STANDARD

Laut Kronthaler kommt die App mittlerweile in ganz Europa zum Einsatz, und der Kufsteiner verweist stolz auf die Erfolgsrate: "Sie ist ein zuverlässiges Instrument, um einen Einzelhang zu bewerten. Und es hat noch nie einen Lawinenunfall gegeben, wenn mit dieser Methode gearbeitet wurde. Sie ist leicht und schnell anwendbar und hat eine gewaltige, wissenschaftlich belegbare Trefferquote von nahezu hundert Prozent."

Schneedeckendiagnose

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: die vereinfachte und die systematische Schneedeckendiagnose. "Bei der vereinfachten bist du in fünf Minuten in der Lage, selbst eine Situation richtig einzuschätzen. Das ist ganz einfach. Mit der App ist es nochmal um ein Trumm einfacher, weil du dann einen Vorschlag kriegst." Allerdings empfiehlt Kronthaler, auch eine Ausbildung zu machen. Warum? „Man muss wissen, wo man überhaupt gräbt und wie man das Testergebnis überträgt.” Bestimmte Eigenschaften müsse man erklären. Etwa, was der Unterschied zwischen einer dünnen und einer dicken Schwachschicht, kleinen oder großen Kristallen ist. „Wenn zum Beispiel eine Harschschicht über der schwachen Schicht liegt, dann hat das elementare Auswirkungen auf die Lawinenauslösung. Denn die Belastung des Skifahrers geht dann mehr in die Breite als in die Tiefe, und somit kann man das Schneebrett schlechter stören."

Pro Jahr sterben rund 22 Personen in Österreichs Bergen infolge eines Lawinenabgangs. In den allermeisten Fällen trifft es Männer, die häufiger als Frauen losziehen. Für die ungleiche Bilanz trägt aber auch das Risikoverhalten bei. "Frauen entscheiden defensiver, nehmen Warnungen ernster, unterliegen weniger leicht der Illusion der Kontrolle", wird Michael Larcher, Leiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein, in einem Artikel des ÖAV zitiert.

"Wenn eine Lawine abgeht, dann ist jeder Experte und weiß, dass es gefährlich war", sagt Kronthaler. "Das Interessante ist dann immer, dass an diesem Tag Tausende auch bei ähnlichen Verhältnissen gefahren sind und nichts passiert ist." Insgesamt passiere "eh total wenig, für die Massen, die unterwegs sind". In Skigebieten passiere auch insofern sehr selten etwas, weil dort durch die vielen Leute "die natürliche Schwachschicht, die mehrmals in einem Winter entstehen kann, durch das ständige Befahren zerstört wird".

Wie antike Tempel

Auch wenn das nötige Gefälle für einen Lawinenabgang in etwa bei 30 Grad liegt, ahnen viele nicht, dass man auch im flachen Gelände eine Lawine auslösen kann. Kronthaler vergleicht die Struktur des Schnees mit antiken Tempeln, bei denen auf den Säulen eine schwere Platte liegt. "Nimmt man Säulen weg, wird die Belastung für die anderen größer, bis letztlich alles kollabiert." Beim Schnee verhält es sich ähnlich: viele sehr kleine Schneekristallsäulen tragen die Last. "Kommt es zum Kollaps, tritt ein Dominoeffekt ein, und alles bricht auseinander. Da spielt die Steilheit des Geländes keine Rolle. Man kann im Ebenen eine Lawine auslösen. Der Bruch saust den Berg hinauf, und wenn es steil genug ist, löst sich der Schnee, und man ist mit der Lawine weg."

Kronthaler hat die systematische Schneedeckendiagnose (SSD) 1996 im Zuge seiner Tätigkeit in der bayrischen Lawinenwarnzentrale entwickelt und 2018 in die Lara-App (Basispaket um 15 Euro pro Jahr) umgesetzt. Um sie weiterentwickeln zu können, hat er einen Spendenaufruf gestartet.

Er empfiehlt bei Skitouren, zumindest zu zweit unterwegs zu sein, um im Notfall rasch helfen zu können. "Ich war schon bei Lawinenunfällen dabei, wo im flachen Gelände Leute von einem kleinen Rutscherl verschüttet wurden und dann tot waren, weil sie allein unterwegs waren." (Thomas Hirner, 27.11.2023)

Ein gelungener Run von dem routinierten französischen Freerider Candide Thovex (41). Profis wie er planen ihre Abfahrten akribisch und etwaige Lawinenabgänge mit ein. Sie sind in der Lage rechtzeitig auszuweichen oder gar der Lawine davonzufahren. (Nicht zur Nachahmung empfohlen!)