Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am 23. Oktober dem Parlament seine Zustimmung zum Ratifizierungsprozess des Nato-Beitritts Schwedens zusandte, rechneten die übrigen Nato-Mitglieder damit, dass die Zustimmung des Parlaments nun zügig erfolgen würde. Inhaltlich ist es sowieso nur noch eine Formsache. Doch es kam anders.

Recep Tayyip Erdoğan bei einer Rede vor der Nato
Recep Tayyip Erdoğan sagt zu Schweden das eine – und meint das andere.
REUTERS/KACPER PEMPEL

Auch anders als von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartet, der damals sagte, er gehe davon aus, Schweden bei dem an diesem Dienstag und Mittwoch stattfindenden Nato-Außenministertreffen als neues Mitglied begrüßen zu können. Stattdessen hat die Türkei vor wenigen Tagen offiziell mitgeteilt, dass der Ratifizierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

Beobachter vermuten, dass dies nun nichts mehr mit Schweden zu tun hat, sondern vor allem das Verhältnis der Türkei zum Nato-Staat USA und neuerdings auch Deutschland betrifft. Es geht um die Modernisierung und Instandhaltung der türkischen Luftwaffe, für die die Türkei seit längerem neue Kampfflugzeuge in den USA und neuerdings auch Eurofighter kaufen will. Ursprünglich war die Türkei sogar an der Entwicklung des neuesten US-Kampfflugzeugs F-35 beteiligt und sollte über 100 Exemplare davon bekommen. Das scheiterte daran, dass Erdoğan in Russland moderne Flugabwehrsysteme S-400 einkaufte und deshalb von den Amerikanern aus dem F-35-Konsortium hinausgeworfen wurde.

Hoffen auf neue F-16-Jäger

Als Ersatz sollten dann eben neue amerikanische F-16-Kampfflieger die in die Jahre gekommenen Flugzeuge desselben Typs ersetzen, aber auch dagegen sträubte sich eine Mehrheit im US-Kongress. Bis heute ist eine für die Türkei positive Entscheidung nicht in Sicht. Das wiederum hat dazu geführt, dass sich die Türkei nun auch um Eurofighter bemüht. Das wurde erstmals einer größeren Öffentlichkeit mitgeteilt, als Erdoğan am 18. November Berlin besuchte und dort mit Kanzler Olaf Scholz auch über dieses Rüstungsprojekt sprach.

Scholz äußerte sich nicht zu dem türkischen Wunsch, die türkische Presse berichtete aber, dass die beiden Mitproduzenten des europäischen Kampfflugzeugs – Spanien und Großbritannien – bereits ihre Zustimmung signalisiert hätten, während Deutschland sich verweigere. Der britische Verteidigungsminister Grand Shapps bestätigte das bei einem Besuch in Ankara vor wenigen Tagen.

Das Hin und Her um die Modernisierung der türkischen Luftwaffe ist für Erdoğan nun der Hauptgrund dafür, die Ratifizierung des schwedischen Nato-Beitritts weiter hinauszuzögern. Schließlich haben sowohl die USA wie auch die deutsche Regierung ein großes Interesse daran, dass Schweden nicht länger nur mehr Gast bei der Nato ist.

Boomende Rüstungsindustrie

Die Debatten um Rüstungslieferungen an die Türkei innerhalb der Nato haben aber noch eine andere Auswirkung, die bislang in Europa noch nicht so deutlich wahrgenommen wird. Die türkische Rüstungsindustrie boomt. Von Importen unabhängig zu werden ist schon länger das Credo Erdoğans – und in den vergangenen Jahren ist die Türkei auf diesem Weg erstaunlich weit gekommen. Das gilt nicht nur für die Kampfdrohnen, die ja bereits weltweit ein türkischer Exportschlager sind, sondern auch für Panzer, Kriegsschiffe und selbst für eigene Kampfflugzeuge.

"Die Sanktionen haben unsere eigene Rüstungsindustrie enorm vorangebracht", verkündete kürzlich auf einem sogenannten Technofest in Izmir der Chef der türkischen Rüstungsagentur, İsmail Demir. Das an unterschiedlichen Orten jährlich stattfindende Technofest ist nichts anderes als eine gigantische PR-Veranstaltung der Rüstungsindustrie, bei der jedes Jahr mehrere Millionen Menschen die neuesten Errungenschaften bestaunen. Im kommenden Jahr soll hier erstmals ein Prototyp des Nationalen Kampfflugzeuges (MMU) vorgestellt werden.

Erdoğan kündigte bereits an, dass der Flieger spätestens 2028 in Produktion gehen und ein Jahr später den Streitkräften zur Verfügung stehen soll. Im vergangenen Jahr wurde bereits ein Flugzeugträger für Kampfhubschrauber eingeweiht, und im kommenden Jahr soll ein neues Großkampfschiff, auf dem hauptsächlich Drohnen stationiert werden sollen, in Betrieb gehen.

So gesehen sind die amerikanischen und europäischen Kampfflugzeuge für die Türkei nur noch eine "Brückentechnologie", die bald durch eigene Waffen ersetzt werden könnte. (Jürgen Gottschlich, 28.11.2023)