John Scofield und seine Philosophie:
John Scofield und seine Philosophie: "Wenn du es zu ernst angehst, geht bei der Musik etwas verloren. Wenn es nach Arbeit klingt, klingt es verkrampft."
EPA/Marian Zubrzycki

Der Titel Uncle John's Band führt gedanklich in die späten 1960er-Jahre. Er meint einen Songs von Jerry Garcia, dem Gitarristen von Grateful Dead. So rief man jene Band, die sich dem wolkig-psychedelischen Rocktraum ergab und auch dem jungen John Scofield nicht fremd war. "Obwohl mein Album Uncle John's Band heißt, ist es jedoch kein Grateful-Dead-Tribute", beschwichtigt der US-Gitarrist. "Ich heiße einfach auch John!"

Seine neue Einspielung, erschienen auf ECM, einem der letzten unabhängigen Labels für Jazz, Klassik und dazwischenliegende Klangkunst, enthält die Garcia-Nummer natürlich. Die Doppel-CD ist allerdings prallvoll mit weiteren zur Verarbeitung herangezogenen Hadern jazzfernen Ursprungs.

John Scofield - Topic

Mit dabei ist Bob Dylans Mr Tambourine Man, auch Neil Youngs Old Man oder Leonard Bernsteins Somewhere aus der West Side Story. Solche Expeditionen in Folk- und Musicalbereiche, mit denen dem Jazz neues Repertoire zugeführt wird, müssen jedoch nicht gutgehen.

In ernüchternder Erinnerung ist etwa The New Standard, jenes Album von Pianist Herbie Hancock, auf dem er unter anderem All Apologies von Nirvana verarbeitet hat. Die Transformation in den Jazz wirkte jedoch verkrampft, obwohl sie eine "Superband" eingespielt hat, deren Teil auch John Scofield war.

Wie ein Raga

Anders hier: Wenn der Mann aus Ohio mit Bassist Vicente Archer und Drummer Bill Stewart die Klassiker neu deutet, ist statt Buchstabieren der Melodien auf Basis von Jazzharmonien ein unbeschwerter Zugang zu hören, der sich die Freiheit zur Neugestaltung nimmt. Wie ein indischer Raga beginnt etwa Mr Tambourine Man rund um einen beharrlich präsenten Grundton, der später einer Countrykadenz weicht. Der Trick: Die Songs werden von Scofield kauzig an- und ausgespielt, um hernach in der Triokonversation aufgelöst zu werden. Improvisation als Dehnung, Einfärbung des Originals, mitunter auch als Neukreation in Echtzeit.

Dass er kein Notenvertilger ist, dass er an einem Abend weniger Töne produziert als etwa ein auch großer Stilist wie John McLaughlin mitunter nur in einem Solo, ist das Bemerkenswerte an Scofields Stil. Seine spezielle Art, Aphorismen zu produzieren, wirkt zwar wie tönendes Understatement. Allerdings leuchtet aus der Sparsamkeit eine Logik der Gedanken auf, die bestechend alles Überflüssige weglässt.

Improvisation ist hier nicht der verzweifelte Versuch, sich an eine Melodie zu erinnern. Sie überzieht die Songs mit kollektiv entfesselter lakonischer Exzentrik, die Originelles hervorbringt.

Scofields liberaler Trioansatz erinnert an die späten Aufnahmen von Saxofonist Wayne Shorter, der seine Begleiter aus ihrer engen Rolle befreite. Die bewusste Sprengung der Rollenverteilung "Solist gegen Assistent" wird auch bei Scofield aufgelöst. "Jeder spielt solo, keiner spielt solo", hat einst Keyboarder Joe Zawinul die Arbeit der Jazzrockband Weather Report beschrieben. Stimmt auch hier.

Auch Miles Davis dabei

Scofields Karriere passt zu seinem entschleunigten, gerne gemächlichen Stil. Sie legte langsam los, es gab keinen Raketenstart. Der Mann, der abstrakten Jazz beherrscht wie funkiges Grooven, war eine ziemliche Weile ein Star vor allem unter Kollegen. Wie bei so vielen war auch für ihn Trompeter Miles Davis wichtig, dessen Stück Budo auf der aktuellen Aufnahme verarbeitet wird.

John Scofield - Topic

Scofield hat es erzählt: Miles begab sich eines Abends in einen Jazzclub, in dem der junge Scofied vor überschaubarer Kulisse spielte, und befand schließlich, dass der Gitarrist "gut klingt". Ab 1982 blieb Scofield dann ein paar intensive Jahre dabei und nutzte die Reputation, um sich als Solist zu etablieren.

Mittlerweile ist er ein Klassiker des Gitarrengenres, dessen Karriere ihn vom Label Blue Note zu Verve führte, wo er 1998 mit A Go Go einen veritablen Hit landete. Funkig und soulig klang das, aber nie anbiedernd und immer unaufgeregt mit Substanz vergoldet. Warum jetzt Stücke von Bob Dylan und Grateful Dead? "Ich mochte die Stücke als Kind, und ich mag sie immer noch", erklärt Scofield und legt seine Philosophie offen: "Wenn du es zu ernst angehst, geht bei der Musik etwas verloren. Wenn es nach Arbeit klingt, klingt es verkrampft." Und das wollen wir doch nicht. (Ljubiša Tošić, 29.11.2023)