Im Verhältnis zwischen Israel und der Republik Irland liegen die Nerven blank. Führende Politiker der Grünen Insel hatten wochenlang die Gaza-Offensive kritisiert, irische Akademiker riefen zum Boykott israelischer Wissenschafter auf, die Opposition forderte die Ausweisung der Botschafterin. Nach einem missverständlichen Tweet von Premierminister Leo Varadkar ging nun Israels Außenminister Eli Cohen zum Gegenangriff über: Der konservative Politiker habe seinen "moralischen Kompass verloren" und müsse sich der Realität stellen.

Irlands Premier Leo Varadkar will den Kirchenklassiker "Amazing Grace" mit Bezug auf eine freigelassene Geisel adaptiert haben – doch das missglückte schwer.
AFP/LUDOVIC MARIN

Der Konflikt entzündete sich an einem eigentlich uneingeschränkt erfreulichen Ereignis: Zu den freigelassenen Hamas-Geiseln zählte am Wochenende nämlich auch die einzige in den Gaza-Streifen verschleppte irische Staatsbürgerin. Emily Hand hielt sich bei ihrer Stiefmutter auf, als am 7. Oktober die Terrormassenmorde in Südisrael begannen. Danach hieß es zunächst, wie die Stiefmutter sei auch Emily dem Hamas-Terror zum Opfer gefallen. Erst später stellte sich heraus, dass sie überlebt hatte. In der Geiselhaft beging sie ihren neunten Geburtstag.

Berufung auf Kirchenlied

Die Freilassung feierte der konservative Regierungschef auf dem sozialen Netzwerk X, einst Twitter, in quasireligiöser Sprache. An diesem "Tag enormer Freude und Erleichterung" sei "ein unschuldiges Kind, das verloren war, nun gefunden und zurückgebracht" worden. Irische Gebete seien erhört worden.

Verloren, wiedergefunden? Viel zu spät versuchte Varadkars Sprecher den schweren Kommunikationsfehler auszugleichen. Der als Katholik aufgewachsene, mittlerweile nichtreligiöse Politiker habe auf das Kirchenlied "Amazing Grace" anspielen wollen. Darin spricht der Dichter von sich als "armem Schlucker, der verlorengegangen, nun aber gefunden" sei ("I once was lost, but now am found") – die Erzählung einer christlichen Bekehrung. Größeren Schaden als die etwas fragwürdige Gleichsetzung eines jüdischen Kindes mit einem "wiedergeborenen" Erwachsenen richtete an, dass Varadkars X-Tweet keinen Hinweis auf seine längere Erklärung enthielt. Darin war von Emily als "kleinem Mädchen" die Rede, das "geschnappt und als Geisel gefangen gehalten" wurde.

Der ursprüngliche Tweet ging um die Welt – und sorgte umgehend für Empörung. "Was ist nur mit Irland los?", fragte ein Kommentar der "Jerusalem Post". Außenminister Cohen erwiderte auf X, der Premierminister habe wohl seinen moralischen Kompass verloren: "Emily Hand wurde von einer Terrororganisation gekidnappt, die ihre Stiefmutter getötet hatte. Sie, Herr Varadkar, versuchen den Terrorismus zu legitimieren. Schämen Sie sich!"

Ausweisung der Botschafterin

Cohens Reaktion gleicht seiner wütenden Attacke auf die Regierungschefs von Spanien und Belgien. Pedro Sánchez und Alexander de Croo hatten am Freitag bei einem Besuch am Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen die israelischen Bombenangriffe kritisiert. Die Europäer hätten "falsche Behauptungen" aufgestellt und dadurch "den Terrorismus unterstützt", schäumte Cohen und bestellte die Botschafter beider Staaten ein.

Dort gaben sich die Diplomaten am Montag mit ihrer irischen Kollegin Sonya McGuinness die Klinke in die Hand. Die Botschafterin konterte Cohens Rüge mit dem Hinweis auf die irische Regierungslinie: Der vorbehaltslosen Freilassung sämtlicher Geiseln müssten ein permanenter Waffenstillstand und humanitäre Hilfe für Gaza folgen. Dauerhafter Friede und Sicherheit in der Region seien nur mit der Zweistaatenlösung zu haben.

Letzteres Argument hat die Grüne Insel, häufig gemeinsam mit Jean Asselborn, dem langjährigen Außenminister Luxemburgs, auf die Tagesordnung der EU-Ministerratssitzungen zu setzen versucht, mit wenig Erfolg. Die Attacke auf den Taoiseach (Gälisch für Häuptling) hat die Entschlossenheit der irischen Opposition, angeführt von den Terror-Apologeten der Sinn Féin, bestärkt, auf die Ausweisung von Botschafterin Dana Erlich zu drängen. Die israelische Diplomatin hatte sich öffentlich gegen den Vorwurf gewehrt, Israel breche das Völkerrecht: "Irland ist in Bezug auf Israel und die Palästinenser nicht neutral." (Sebastian Borger, 28.11.2023)