Plus sechs Prozent sowie eine Einmalzahlung von 1.000 Euro: Das letzte Angebot der Arbeitgeber im Handel hat der Gewerkschaft wieder nicht gereicht, die Kollektivvertragsverhandlungen für die rund 430.000 Angestellten in der Branche sind vorerst gescheitert, Warnstreiks werden für diese Woche geplant. Wie auch die Metaller wollen die Gewerkschaften beim Handel keine Einmalzahlungen anstelle einer dauerhaften Lohnerhöhung akzeptieren. Aber wer hat die besseren Argumente in der Debatte?

Demonstration der Handelsbeschäftigten 'Sei fair zu mir' Mitte November in Wien.
APA/ROLAND SCHLAGER

Pro

Es sind die verflixten Einmalzahlungen, an denen es sich bei den laufenden Lohnverhandlungen spießt. Den Arbeitgebern kämen sie zupass, weil sie in unsicheren Zeiten eine gewisse Planbarkeit erlauben. Und natürlich weil sie die Unternehmen billiger kommen. Die Arbeitnehmer wollen verständlicherweise dauerhaft mehr im Börsel. Schließlich wurde alles kräftig teurer.

Trotzdem spricht derzeit einiges dafür, sich auf Einmalzahlungen einzulassen. Selbstverständlich nicht ohne halbwegs vernünftige prozentuelle Erhöhung. Das gilt ganz besonders auch im Handel. Selbstverständlich können sich die großen Ketten eine ordentliche Lohnerhöhung leisten. Auch wenn seitens der Interessenvertretungen gebetsmühlenartig betont wird, dass die Kostensteigerungen in den vergangenen Monaten die Erträge auffressen. Aber es gibt eben auch sehr viele Einzelkämpfer und kleine Händler, die sich jetzt schon schwertun, all die Kostensteigerungen zu schlucken. Sie werden es sich schlicht nicht leisten können, die Gehälter um 9,2 Prozent anzuheben.

Langfristig gilt es gerade für die vielen teilzeitbeschäftigten Frauen insgesamt höhere Löhne auszuhandeln – und Arbeitszeitmodelle zu überlegen, die mehr Stunden ermöglichen. Doch aktuell sollte sich die Gewerkschaft pragmatischen Lösungen nicht verschließen. Eine ordentliche Einmalzahlung wäre in der laufenden Lohnrunde vor allem angesichts des Strukturwandels keine schlechte Idee. 200 kleine Lebensmitteleinzelhändler haben zuletzt zugesperrt. Es hat sich einfach nicht mehr ausgezahlt. Das ist vor allem für ländliche Regionen ein herber Verlust. Im städtischen Umfeld macht sich fast wöchentlich ein Modehändler vom Acker. Damit gehen auch Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren. All das gilt es bei den Abschlüssen zu bedenken.

Und in der Metallindustrie ist das Argument, dass man im internationalen Wettbewerb steht, nicht von der Hand zu weisen. Schon jetzt sind die Lohnabschlüsse vergleichsweise hoch. Das tut im Konkurrenzkampf tatsächlich weh, denn die Produktivität ist nicht im gleichen Ausmaß gestiegen. Dazu kommt, dass der Staat die Teuerung in weiten Teilen abgefedert hat. All das spricht dafür, sich in der derzeitigen Lage in etwas Zurückhaltung zu üben. Das auch, damit die Arbeitgeber rasch vom erwarteten Wirtschaftswachstum profitieren – und dann die Arbeitnehmer wieder an ihrem Erfolg teilhaben lassen. Davon hätten alle was. (Regina Bruckner)

Kontra

Eines vorweg. Das aktuelle Schlamassel haben nicht die Gewerkschaften und auch nicht die Arbeitgeber verursacht. Die hohe Teuerung ist in Österreich von der Regierung zwar finanziell zum Teil abgefedert worden. Echte Markteingriffe, um die Preisanstiege zu begrenzen, hat es aber nicht gegeben, oder sie kamen zu spät. So müssen die Kollektivvertragsverhandler in der Industrie und im Handel darüber streiten, wie sie eine Inflation von neun oder zehn Prozent abgelten, und nicht von fünf oder sechs Prozent.

Dabei ist nur völlig verständlich, dass jede Seite versucht, die andere zu drücken. Wenn ÖGB-Chef Wolfgang Katzian nun sagt, Frauen im Handel würden behandelt wie "nasse Fetzen", weil die Arbeitgeber nicht nachgeben, dann mag er damit in der öffentlichen Debatte punkten. Aber es gibt keinen Grund, für Arbeitgeber auf Geld und Gewinne zu verzichten. So ist das nun mal in der Marktwirtschaft.

Aber genauso richtig ist aus Sicht der Gewerkschaft, wenn sie nun ihre Kräfte mobilisiert, um eine volle Abgeltung der rollierende Inflation ohne Einmalzahlung durchzubringen. Auf den ersten Blick klingt es ja ganz gut. 1.200 Euro an steuerfreier Prämie bieten die Arbeitgeber bei den Metallern, 1.000 Euro im Handel. Aber das Angebot anzunehmen hieße für die Gewerkschaft in Zukunft hohe Verluste zu akzeptieren. Denn bei jeder weiteren Lohnrunde werden Einmalzahlungen nicht akzeptiert. Schon in kurzer Zeit wären Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Verlierer.

Und warum sollte das der ÖGB akzeptieren? Unternehmen haben ihre Preise schon angehoben, weil ihre Kosten gestiegen sind, deshalb haben wir die Inflation. Die Vermieter haben die Mieten ebenso hinaufgesetzt, weil die Instandhaltungskosten gestiegen sind. Und soll ausgerechnet die große Gruppe der unselbstständig Beschäftigten damit anfangen, Reallohnverluste, die es 2021 und 2022 gegeben hat, dauerhaft zu akzeptieren?

Wirtschaftlich lief es zwar schon mal besser. Aber der Handel sollte gut in der Lage sein, Kostensteigerungen bei Gehältern über höhere Preisen weiterzugeben. Das werden nicht alle kleinen Geschäfte tun können, manche werden aus dem Markt ausscheiden. Die Branche erlebt einen Strukturwandel. Aber dieser Prozess lässt sich nicht mit Lohnzurückhaltung stoppen. Dazu kommt, dass die Arbeitslosigkeit niedrig ist. Wenn ein Unternehmen aus dem Markt scheidet, stehen die Chancen aktuell sehr gut, dass es übernommen wird oder die Leute woanders unterkommen. Auch das gehört zur Marktwirtschaft.

Schwieriger ist es tatsächlich in der Industrie, die stark im internationalen Wettbewerb steht. Aber auch dort wurden hohe Gewinne über die vergangenen Jahre erwirtschaftet, die Produktivität hat Jahr für Jahr zugelegt. Sie wird florieren, wenn der Lohnabschluss nach der bewährten Formel gelingt, bei der die Abgeltung der rollierenden Inflation die Unterkante ist. (András Szigetvari, 29.11.2023)