Leftovers
Die Leftovers schätzen die heitere, angenehme Atmosphäre in Fahrzeugen der Wiener Verkehrsbetriebe.
Anna Francesca

Die Jugend gilt meist als die schönste Zeit der Welt. Obwohl nichts daran gut ist und später alles noch schlechter wird, verklären sie die Alten gern. Immerhin ist in dieser fernen Zeit alles irgendwann einmal zum ersten Mal passiert. Das ist aufregend. Alles neu hier! Vor allem auch die Musik! Im späteren Leben stellt man fest: Es gibt Wiederholungen. Wirklich sehr, sehr viele Wiederholungen.

Das alles muss man bedenken, wenn einem 2023 die Leftovers in die Ohren krachen. Weil man das alles natürlich schon einmal vor 30, 40 Jahren gehört hat, aber da waren die Leftovers noch gar nicht geboren. Sie haben sich das alles über die Plattensammlung des Vaters erarbeitet, wenn er davor sitzend vom Krieg erzählt. Nirvana live im Wiener U4 im November 1989, seufz. Da hat sich der Kurt Cobain am Schluss ins Schlagzeug gestürzt, das dann zusammengekracht ist. Das war noch bevor sie dann mit diesem "Team-Spirit" kommerziell wurden. Seufz, so eine Musik wird ja heute gar nicht mehr gemacht.

Leftovers - Topic

Oh, doch, das wird sie! Gleich nach einem aus irgendeinem Podcast oder Youtube-Video geflauchten Erklärstück zum Thema Angststörung (Grundgedanke: Sinnlos, sich wegen nix anzuscheißen!) kracht das Wiener Quartett mit dem Song "System" zur Freude seines jungen Publikums und als Gedächtnisstütze der Alten recht amtlich los: "Ich steh auf der Straße und hab einen Herzinfarkt, aus Langeweile schneid ich mir den kleinen Finger ab!"

Richtig, der kleine Finger wird speziell im Punkrock oder im daraus abgeleiteten, erdschwerer gemachten Grunge von Nirvana und Kurt Cobain überbewertet. Den kleinen Finger braucht man beim Gitarrespielen eigentlich nur für den Strafjazz oder für andere ungute Musiken, die zwangsläufig entstehen, wenn man von den für Punker gerade noch zumutbaren sechssaitigen auf siebensaitige Gitarren umsteigt.

Leftovers

Sagen wir es so: Wenn bei den Leftovers einmal eine Saite reißt, werden es die Leute nicht merken. Während Sänger Leonid Sushon brüllt, dass er sich jetzt den Brustkorb zertrümmert, um mir, dir, euch, uns sein Herz zu schenken, hacken hinten die verzerrten Klampfen das Loblied auf das vor genau 30 Jahren im November erschienene letzte Album von Nirvana, "In Utero". Der schon etwas lebensmüde wirkende Klassiker stand wohl auch Pate für das neue Leftovers-Album "Müde". Allerdings legen sich die vier Musikerinnen jetzt nicht unbedingt depressiv ins Bett, sondern halten auch in anderen Liedern wie "Fick dich!" die Form: "Ich steh auf Saufen, nicht auf Ziehen. Ich komm aus Wien und nicht Berlin!"

Leftovers - Topic

Die Heimatstadt wird nach dem Song "Wiener Schule" vom Debüt "Krach" aus dem Vorjahr auch in der Beinaheballade "15. Bezirk" besungen: "Ich glaub, ich werde hier krepieren. Vier Euro für ein warmes Bier. Allein im 15. Bezirk." Das alles ergibt einen zünftigen Spaß für die ganze Familie. Der nächste Tag gehört dem Kater und dem Song "Kalt": "Es ist zu früh, um aufzustehen, Zigarette und Kaffee. Mir tut nur mein Schädel weh." Verschwende deine Jugend, solange du noch jung bist!

Leftovers stellen ihr Album "Müde" nun in der Wiener Arena vor. Nächstes Jahr gehen sie mit Wanda auf Deutschland-Tour. Das letzte Wien-Konzert von Nirvana fand übrigens am 14. November 1991 in der Arena statt. Die Bühne stand damals aber dort, wo jetzt die Leute sitzen, die zu faul sind, um vorn Pogo zu tanzen. Wo jetzt die Bühne steht, hockten hingegen früher die Leute. Ja, es ist kompliziert. "Ich schreibe Liebesbriefe auf Diktatoren-Wände, nach der Schule werde ich Mitglied einer Terrorzelle." (Christian Schachinger, 29.11.2023)