Es klingt nach einem zeitgenössischen Diskurs: Was ist Konsens beim Sex? Wo fängt Zwang an? Neu sind diese Fragen allerdings nicht, wenngleich sie im 18., 19. oder Anfang des 20. Jahrhundert noch auf die Ehe und die Fortpflanzung fokussiert waren. Der Germanist Johannes Kleinbeck geht in seinem Sachbuch der "Erfindung des einvernehmlichen Sex und ihrem zwiespältigen Erbe bei Rousseau, Kant, Hegel und Freud" nach, wie es im Untertitel heißt.

Die Ideen der Aufklärung und ein neues Eherecht waren zentrale Momente für das Zweifeln am Anrecht auf den Körper eines anderen. In der Erläuterung der Grundzüge des Eherechts, das Napoleon Bonaparte 1804 erließ, hieß es recht blumig: Gerade weil das Herz dabei so sehr beteiligt sei, müsse es "frei atmen können" und: "Die süßeste aller Handlungen muss deshalb auch die freieste sein."

Johannes Kleinbeck, "Geschichte der Zärtlichkeit". € 29,50 / 334 Seiten. Matthes & Seitz, Berlin 2023

Was schon für das frühe 19. Jahrhundert fortschrittlich klang, hatte sogar noch früher bei Montesquieu und Jean Jacques Rousseau, die auch schon eine rechtliche Regelung von Sex unsexy fanden, Referenzen. Dass vorwiegend Gedanken von Männern in Kleinbecks Buch vorkommen, ist der historisch ungleichen Möglichkeiten geschuldet, es sei ihm also verziehen. Männer waren es, welche die Bildung oder die Chance zum Denken als Job erhielten – und prägten somit unser Liebesleben bis in die heutige Zeit, in der die wirklich freie Aushandlung von Sexualität noch immer nicht selbstverständlich ist.

Denn das "Verführungsspiel von Blicken, Mienen und Worten", wie Kleinbeck schreibt, das der ehelichen Beischlafpflicht weichen sollte, lieferte massig Stoff für neue und durchaus strenge Erwartungen an die Geschlechter, auch wenn nur noch informell. Und sie lieferten praktische Missverständnisse, etwa vom "fordernden Mann" oder von einer "weiblichen Zärtlichkeit". Das Buch ist ein großartiger Fundus moralischer Erfindungen, die uns bis heute plagen. (Beate Hausbichler, 15.12.2023)