Wie lebt man gesunde Beziehungen, wenn man aus seiner eigenen Kindheit nur Angst und Kälte kennt? Wie kann es gelingen, sich von generationsübergreifenden Traumata zu befreien und angelernte Muster zu durchbrechen?

Miryam Topal (möglicherweise nicht zufällig fast ein Anagramm des Namens der Autorin), die Protagonistin von Im Prinzip ist alles okay, ist um die 30, lebt mit ihrem Partner in Berlin und ist gerade Mutter geworden. Im Prinzip ist also alles okay, nahezu perfekt sogar – so stellt es Miryam mithilfe von Instagram-Filtern jedenfalls nach außen dar. Doch durch Zeitrückblenden erfahren wir von Miryams traumatischer Vergangenheit, einer Kindheit und einer ersten Beziehung, die von Gewalt geprägt waren. Miryam ist fest entschlossen, es bei ihrer eigenen Familie besser zu machen als ihre Eltern, aber ihre Vergangenheit lässt ihr keine Ruhe. Auf der verzweifelten Suche nach Liebe gibt sie ihrer Herkunftsfamilie immer wieder eine Chance. Währenddessen kämpft sie mit ihrer eigenen Mutterrolle und befürchtet ständig, nicht gut genug für ihr Kind zu sein.

Yasmin Polat, "Im Prinzip ist alles okay". € 23,50 / 256 Seiten. Goya, Hamburg 2023.
Goya

Yasmin Polat ist es mit ihrem Debütroman gelungen, das Wesen einer Depression schonungslos ehrlich und ungeschönt einzufangen. Der Romanist keine leichte Kost, die Themen, die er behandelt, sind ernst: toxische Beziehungen, häusliche Gewalt, postpartale Depression. Und doch fehlt es ihm nicht an einem gewissen Witz und der Protagonistin nicht an Selbstironie. Eine zentrale Rolle spielen auch unsere gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter und die Frage, was eigentlich eine gute Mutter ausmacht. Als Leserin ist es schmerzhaft zu spüren, wie sehr Miryam versucht, all diesen Erwartungen zu entsprechen – eine eigentlich unmögliche Aufgabe.

Dieser Roman kann auch als eine besonders in der Weihnachtszeit wichtige Erinnerung an uns alle dienen, sich nicht vom Schein eines perfekten Lebens täuschen zu lassen – und uns möglicherweise helfen, unserem Gegenüber mit mehr Verständnis zu begegnen, wenn wir hören, dass eben nicht alles okay ist. (Clara Wutti, 19.12.2023)