Nahostkonflikt BDS Hamas Bundestagsbeschluss
Autorin Sharon Dodua Otoo: Ihre Auszeichnung im Namen des großen antifaschistischen Dichters Peter Weiss wurde ausgesetzt, schließlich verzichtete sie auf die Annahme des Preises.
Ralf Steinberger

Die Bochumer Jubelmeldung, der mit 15.000 Euro dotierte Peter-Weiss-Preis werde der deutsch-britischen Autorin Sharon Dodua Otoo zuerkannt, besaß einen Tag lang Gültigkeit. Gleich danach erlegten sich Bochums Gemeindevertreter ein Moratorium auf. Die Preisvergabe 2024 werde "vorerst ausgesetzt". Die Autorin mit Vorfahren in Ghana soll das Manifest "Artists for Palestine UK" unterzeichnet haben. Otoo, so der Vorwurf, unterstütze damit einen Ableger der BDS-Bewegung. Diese verweigert kategorisch jede Zusammenarbeit mit Israel und verpflichtet ihre Parteigänger zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Überdies im Angebot der UK-Version: die Forderung nach der Befreiung Palästinas "mit allen Mitteln".

Eine "Stopptaste" wollte die Bochumer Jury gedrückt haben. Otoo gab rasch nach. Sie würde einen solchen Aufruf heute "nicht mehr unterzeichnen", richtete sie jetzt via S.-Fischer-Verlag aus. Den ihr zugedachten Preis werde sie nicht annehmen, um Stadt, Land und Weiss mit der Debatte "nicht in Verbindung zu wissen". Und: "Meine Abscheu über die fürchterliche Gewalt der Hamas war und ist eindeutig." Das Preisgeld solle, anstatt ihr zugute zu kommen, gemeinnützig gestiftet werden.

In Deutschland nimmt jetzt eine Vielzahl von Kultureinrichtungen den Bundestagsbeschluss vom 17. Mai 2019 beim Wort. Damals wurde "jegliche Form von antisemitischem und antiisraelischem Denken und Handeln" verurteilt, unter besonderer Berücksichtigung der BDS. Nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober lösten propalästinensische Freudenbekundungen auf Deutschlands Straßen einen regelrechten Schock aus. Das Wirken fortschrittlicher Kulturschaffender wird jetzt besonders eingehend unter die Lupe genommen. Die dazugehörige Gretchenfrage lautet: Nun sag, wie hast du’s mit der BDS?

Die möglichst weitgehende Auslegung des Bundestagsbeschlusses macht aus vormals wohlgelittenen Progressiven unerwünschte Personen. Solche werden vehement von den Fördertöpfen ausgeschlossen. Jüngst traf es mit Candice Breitz paradoxerweise eine jüdische Künstlerin: Das Saarlandmuseum in Saarbrücken hat die für 2024 geplante Ausstellung einer Videoinstallation Breitz’ abgesagt. Die Südafrikanerin soll sich wiederholt gegen Israels Besatzungspolitik ausgesprochen haben. Verbürgt ist ein Instagram-Statement: "Es ist möglich, die Hamas uneingeschränkt zu verurteilen – wie ich es tue – und gleichzeitig den breiteren palästinensischen Kampf für Freiheit von Unterdrückung, Diskriminierung und Besatzung zu unterstützen."

Eingeengter Korridor

Neuerdings werden auch künstlerische Verklausulierungen "antisemitisch gelesen". Kritiker sprechen von Bodenverlust: Dem deutschen "Meinungskorridor" drohe eine Einengung. Derweil kumulieren Ausladungsmeldungen. Zuletzt betrafen sie Kuratoren aus dem Globalen Süden, die in verschiedener Intensität ihrer Empörung über Israel Luft gemacht hatten. Fotografiekurator Shahidul Alam aus Bangladesch habe, wird gemeldet, via Facebook den aktuellen Krieg in Gaza mit dem Holocaust verglichen und gegenüber Israel Vorwürfe des Genozids an den Palästinensern erhoben. Alams Arbeitgeber, die Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg, stellte den Lichtbildspezialisten daraufhin zur Rede. Nun wurde die Veranstaltung abgeblasen.

Am eigenen Leib erfahren hat die Verschärfung der Debattengangart die palästinensische Autorin Adania Shibli. Den ihr zuerkannten "LiBeraturpreis" bekam sie – nicht. Wenigstens nicht im Rahmen der Frankfurter Buchmesse überreicht. Hingegen erhob die Taz schwere Vorwürfe gegen ihren Roman Eine Nebensache. "Alle" Israelis in dem Werk seien "Vergewaltiger und Killer, die Palästinenser Opfer". Die Zeitung legte Shiblis Schreibe eine Haltung der "Menschenverachtung" zugrunde, im Übrigen nannte sie die Autorin eine "engagierte BDS-Aktivistin". Shibli klagte. Das Hamburger Landgericht gab nun der Taz recht.

Verbürgte Rechte

Shiblis BDS-Engagement – die Dichterin ist israelische Staatsbürgerin – beschränkte sich weitgehend darauf, 2019 gegen die Rücknahme des Nelly-Sachs-Preises an Kamila Shamsie durch die Stadt Dortmund zu protestieren. Ihr Anliegen teilte Shibli mit Michael Ondaatje, Arundhati Roy, Alexander Kluge oder A.L. Kennedy. Und: Sie hat vor 16 Jahren gegen die Abhaltung eines Rolling-Stones-Konzertes in Israel protestiert. Vielleicht hatte Adania Shibli damals auch nur ihre verbürgten Rechte als Israelin ausgeübt. (Ronald Pohl, 30.11.2023)