Es sind oft auf den ersten Blick unscheinbare Funde, die das Potenzial haben, historische Perioden unter einem völlig neuen Blickwinkel zu beleuchten. Ein solcher Fund kam vor wenigen Jahren bei den österreichischen Ausgrabungen am Tel Lachisch (Israel) zu Tage und wurde in der letzten Ausgabe des Fachjournals "Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde" veröffentlicht.

Landschaftsaufnahme
Tel Lachisch (Israel) von Nordosten gesehen.
ÖAW-ÖAI

Der Fundort Lachisch war eine bedeutende Stadt während der Bronze- (circa 3500 bis 1200 vor Christus) und Eisenzeit (circa 1200 bis 586 vor Christus) im heutigen Israel. Den Forschern war der Ort bereits aus Erwähnungen in der Hebräischen Bibel bekannt, der Ortsname Lachisch erscheint aber auch auf assyrischen Bilddarstellungen und wird in ägyptischen Texten erwähnt.

Aus diesem Grund zog der Fundort schon seit den 1930er-Jahren immer wieder unterschiedliche archäologische Expeditionen an, die sich verschiedenen historischen Fragestellungen widmeten. Die 2017 begonnenen österreichischen Ausgrabungen hatten ursprünglich das Ziel, Datierungsfragen zum Übergang von der Mittel- zur Spätbronzezeit zu klären, sehr bald aber wurde klar, dass die zu Tage getretenen Funde eine weit größere Bedeutung haben und nun wesentliche Teile der Geschichte der Spätbronzezeit in der Region neu geschrieben werden müssen.

Ausgrabungsstätte
Die österreichischen Ausgrabungen am Tel Lachisch.
ÖAW-ÖAI

Bereits 2018 wurde eine mit alphabetischen Zeichen beschriftete Scherbe gefunden, welche mit Hilfe der Radiokohlenstoffmethode in die Mitte des 15. Jahrhunderts vor Christus datiert werden kann. Dies ist insofern bedeutend, als die bisher bekannten frühalphabetischen Inschriften in der Region erst zweihundert Jahre später auftreten, nämlich im 13. Jahrhundert vor Christus. Nur ein Jahr später, im Sommer 2019, fanden die Archäologen eine zweite beschriftete Scherbe, welche ebenfalls das Potenzial hat, unsere Kenntnis der Geschichte der Region auf den Kopf zu stellen.

Scherbe und Zeichnung davon
Die neu gefundene hieratisch beschriftete Scherbe von Lachisch.
ÖAW-ÖAI, Zeichnung Stefan Jakob Wimmer

Unter ägyptischer Vorherrschaft

Während der Spätbronzezeit (ca. 1600 bis 1200 vor Christus) gelangten wesentliche Teile der Levante (Israel/Palästina, Libanon) unter die Herrschaft der ägyptischen Pharaonen der 18. Dynastie. Die erhaltenen ägyptischen Inschriften berichten von zahlreichen Feldzügen, darunter beispielsweise von der berühmten Schlacht von Megiddo (das biblische Armageddon), bei der die ägyptischen Armee unter Pharao Thutmosis III. eine Koalition syro-palästinischer Stadtfürsten in der Mitte des 15. Jahrhunderts vor Christus besiegte.

Dennoch sollte es noch bis in das 13. Jahrhundert vor Christus dauern, bis sich etablierte ägyptische Verwaltungsstrukturen ausgebildet hatten, die von Archäologen und Ägyptologen anhand von hieratisch (eine Art Schreibschrift der ägyptischen Hieroglyphen) beschrifteten Scherben rekonstruiert werden können. Diese Dokumente geben Aufschluss über an den pharaonischen Hof abzuführende Steuern in Form von Getreide.

Wandrelief
Thutmosis III. beim Erschlagen der Feinde am 7. Pylon des Tempels von Karnak.
Olaf Tausch, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9870462

Ägyptischer Verwaltungstext gibt Aufschluss

Die jüngst aufgefundene Scherbe aus Lachisch unterscheidet sich nun aber signifikant von den bislang bekannten hieratischen Texten aus der Südlevante. Zunächst kann die Fundschicht, aus der diese Scherbe stammt, mit Hilfe der Radiokohlenstoffmethode in das späte 15. Jahrhundert vor Christus datiert werden und ist somit deutlich früher als die erwähnten hieratischen Texte, welche steuerliche Abgaben zum Inhalt haben. Aber auch der Text selbst fällt in eine ganz andere Kategorie.

Zwar sind die Zeichen selbst oft sehr verblasst, nicht leicht zu lesen und auch der gesamte Text nur bruchstückhaft erhalten. Multispektrale Fotografien erlaubten aber eine vorläufige Lesung und Interpretation des Textes. Erhalten geblieben ist eine Reihe von Personennamen und zugeteilten Rationen, wie etwa Brot und Gerste, wohl für gewisse Arbeitsleistungen. Die aufgelisteten Namen sind interessanterweise überwiegend kanaanäisch. Unter ihnen ist zum Beispiel ein "Ben-Anat", was sich mit "Sohn (der kanaanäischen Göttin) Anat" übersetzen lässt.

Diese Art von "Lohnzettel" ist aus Ägypten durchaus bekannt, auch dort wurden Arbeiter mit Nahrungsmitteln entlohnt, für die Südlevante ist diese Form der Administration bisher allerdings vollkommen unbekannt. Das besondere an diesem Text ist nun aber, dass er zeigt, dass dieses ägyptische Verwaltungssystem offenbar bereits im 15. Jahrhundert vor Christus auch in der Levante bereits Fuß gefasst hatte und man daher von einem viel größeren Einfluss des ägyptischen Nachbarn ausgehen muss, als bislang vermutet.

Lachisch und Ägypten in der frühen Spätbronzezeit

All dies wirft ein völlig neues Licht auf das Verhältnis von Ägypten zur Levante im 15. Jahrhundert vor Christus. Die bereits erwähnte frühalphabetische Scherbe zeigt, dass diese Schriftart deutlich früher als bislang erwartet in der Region aufgenommen wurde, und die neu gefundene hieratische Scherbe zeugt von einer gewissen Präsenz Ägyptens an diesem Fundort.

Es wird kein Zufall sein, dass ein ägyptischer Papyrus, der sich heute in der Eremitage in St. Petersburg befindet und ebenfalls in das 15. Jahrhundert vor Christus datiert werden kann, zum ersten Mal Lachisch in den ägyptischen Quellen nennt. Noch ist es freilich zu früh, detaillierte historische Schlussfolgerungen zu ziehen und es harren noch zahlreiche Funde aus dem Ausgrabungsareal auf ihre Analyse. Die Archäologen hoffen in den kommenden Jahren ihre Arbeiten an diesem bedeutenden Fundort fortsetzen zu können und möglicherweise weitere beschriftete Scherben zu finden, die uns die Welt der Spätbronzezeit und ihre Beziehungen zum Niltal näherbringen. (Felix Höflmayer, Stefan Jakob, 30.11.2023)