Shane MacGowan von The Pogues ist tot. Der Mann war einer der größten Songwriter seiner Zeit.
Shane MacGowan von The Pogues ist tot. Der Mann war einer der größten Songwriter seiner Zeit.
REUTERS/Stringer

Fliegerohren und Zähne, die wie eine Häuserzeile nach einem Erdbeben der Stärke 8,4 aussahen. Dazu ein Atem, der einen Alkometer zerstören konnte. Shane MacGowans Erscheinung konvenierte mit seinem Lebensstil, denn wenn er an die Öffentlichkeit trat, dann nicht selten mit einer Flasche Whiskey in der Hand.

MacGowan war Sänger und Gründer der Band The Pogues. Wo immer auf der Welt Guinness gezapft wird und die irische Diaspora den St. Patrick's Day begeht, waren er und seine Musik nie weit. Von Irland ganz zu schweigen. Das wird so bleiben, selbst wenn Shane MacGowan nun nach langer Krankheit gestorben ist.

Irischer Punk-Poet

Geboren am 25. Dezember 1957 in Kent, ging seine Familie zurück in die irische Heimat und später nach London, wo er als Teenager zur Zeit des Punk Musiker wurde: Mit den The Nipple Erectors, die sich bald auf den öffentlichkeitstauglicheren Namen The Nips verkürzten.

The Pogues - If I Should Fall From Grace With God
ThePoguesOfficial

1982 trat er erstmals mit den von ihm gegründeten Pogues auf, die im Geiste des Punk irische Musik spielten. MacGowan besang die Wehmut der Iren auf dem Weg in neue Heimaten, hielt einen heiteren Patriotismus hoch und vergaß nie auf das Trostspenderpotenzial geistiger Getränke. Doch ihn auf Äußerlichkeiten und sein Dasein als wandelnde Whiskeyfahne zu reduzieren griffe zu kurz. Denn hinter der ruinierten Fassade war er einer der größten Songschreiber seiner Zeit.

The Pogues singing 'Dirty Old Town' drunk in a pub
Gazely Gaze

MacGowans Lieder besaßen Sensibilität und Erzählkraft, selbst wenn zweitgenannte bei vielen Konzerten im Genuschel verschwand. Liedern wie "If I Should Fall From Grace with God", der von Phil Chevron geschriebenen Migrantenballade "Thousands Are Sailing" oder "Streams of Whiskey" verlieh er Tiefe und Integrität.

Er führte, während ihm die Pogues mit Banjo, Tin Whistle, rasender Mandoline und schnaufender Quetsche von Originalen zu Traditionals wie "Dirty Old Town" folgten, immer in Schräglage, stets am Rande des Wahnsinns. Das wucherte in volksfestartige Konzerte aus – nachzusehen in dem famosen Mitschnitt "Live At The Town And Country" aus dem Jahr 1988.

MacGowan und die Pogues wurden neben den Dubliners einschlägige Hausheilige auf der Insel und Stars im Rest der Welt. MacGowan sang Duett mit Nick Cave ("What A Wonderful World") und arbeitete mit Sinead O'Connor – die ihm das Leben rettete, indem sie ihn bei der Polizei wegen seiner Heroinsucht verpfiff.

Nick Cave & Shane MacGowan - What A Wonderful World (Official) Digitally Remastered and Upscaled
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Joe Strummer von The Clash vertrat den Meister öfter als einmal, wenn der unpässlich war. Für Strummer war MacGowan ein begnadeter Poet, den er kurzfristig ersetze, als ihn die Band während einer Tour feuerte. 1988 spielte er mit Kirsty MacColl "Fairytale of New York" ein, das in Großbritannien meistgespielte Weihnachtslied des 21. Jahrhunderts – eines der besten sowieso.

Daneben trat er in den Filmen "Eat The Rich" von Peter Richardson und "Straight To Hell" von Alex Cox auf. Johnny Depp produzierte 2020 die von Regisseur Julien Temple realisierte Doku "Shane" und war bis zum Ende sein Freund.

The Pogues - Fairytale Of New York (Official Video)
ThePoguesOfficial

Sieben Studioalben nahmen die Pogues auf, die ersten drei sind Meisterwerke. Lebensintensive Dokumente immenser Kreativität und Leidensfähigkeit. Von der Band wegen Unprofessionalität vor die Tür gesetzt, gründete er 1992 die Gruppe Shane MacGowan and The Popes, mit der er zwei Studioalben produzierte und intensiv tourte, wobei viele Auftritte aufgrund seines Abusus tragisch ausfielen. Erst 2001 kam es zur Reunion mit den Pogues, damals erschien eine Biografie "A Drink with Shane MacGowan", 2018 eine weitere mit dem Titel "A Furious Devotion".

Sein berüchtigtes Gebiss – das Wenige, das davon übrig war – ließ er 2015 in einer neunstündigen und für eine TV-Doku aufbereiteten Operation erneuern. Doch Jahrzehnte körperlichen Raubbaus hinterließen ihre Spuren und forderten ihren Tribut. Seine letzten Jahre waren geprägt von Krankheiten. Wegen einer kaputten Hüfte saß er im Rollstuhl, empfing aber Besuch, wenn zum Beispiel Bruce Springsteen vor der Tür stand.

2018 heiratete er seine langjährige Gefährtin, die Journalistin Victoria Mary Clarke. Im Alter von 65 Jahren ist Shane Patrick Lysaght MacGowan nun gestorben: "Down in the Ground Where the Dead Men Go", wie er einst sang. (Karl Fluch, 30.11.2023)