Anfang November dieses Jahres wurden Polarlichter auch in Österreich, in Italien oder Texas beobachtet – also Regionen erstaunlich niedriger Breitengrade. Solche weit südlich sichtbaren Polarlichter deuten auf einen stärkeren koronalen Massenauswurf der Sonne hin – und entsprechend massivere Auswirkungen auf das Magnetfeld und die Atmosphäre der Erde.

Anfang November in Hessen: Ähnliche Polarlichter waren damals auch über Österreich zu sehen.
IMAGO/Jan Eifert

So ungewöhnlich dieses jüngste Licht- und Farbenspiel auch war: Es war nichts im Vergleich zu den Polarlichtern, die sich nach einem riesigen Sonnensturm im Februar 1872 zeigten. Damals wurden Polarlichter selbst an Orten in Äquatornähe wie Bombay und Khartum beobachtet.

Ein internationales Team von Wissenschaftern aus neun Ländern hat nun eine weitere detaillierte Studie über dieses auch historisch bedeutsame Ereignis veröffentlicht. Dabei zeigte sich zum einen, dass die damalige, noch sehr rudimentäre Telekommunikation durch diesen Sturm weitgehend unterbrochen wurde. Die Ergebnisse bestätigen zum anderen aber auch, dass solche extremen Stürme häufiger vorkommen als bisher angenommen. Was uns eine Warnung sein soll angesichts der für 2024 und 2025 vorhergesagten Sonnenaktivitäten.

Sonneneruption 
Eine mittelgroße Sonneneruption und ein koronaler Massenauswurf, die 2017 aus derselben großen aktiven Region der Sonne ausbrachen. Laut der neuen Studie können auch schon mittelgroße Sonnenfleckengruppen schwere Folgen für die Erde haben.
REUTERS/NASA

In der modernen Welt sind wir zunehmend von technischen Infrastrukturen wie Stromnetzen, Kommunikationssystemen und Satelliten abhängig. Diese Abhängigkeit macht uns jedoch immer anfälliger für die Auswirkungen großer geomagnetischer Stürme. "Je länger die Stromversorgung unterbrochen werden könnte, desto mehr wird die Gesellschaft, insbesondere die Bewohner städtischer Gebiete, damit zu kämpfen haben", sagt Hisashi Hayakawa (Universität Nagoya), der Hauptautor der neuen Studie im "Astrophysical Journal". Solche Stürme könnten stark genug sein, um im schlimmsten Fall das Stromnetz, Kommunikationssysteme, Flugzeuge und Satelliten auszuschalten.

Der dritte "Supersturm"

Ganz extreme Stürme sind entsprechend selten. In den vergangenen zwei Jahrhunderten ragen zwei solche Stürme heraus: das Carrington-Ereignis im September 1859 und der geomagnetische Sturm vom Mai 1921. Die neue Studie legt nahe, dass auch das Ereignis vom Februar 1872 in diese Kategorie aufgenommen werden sollte. Der damalige Sonnensturm war stark genug, um die technische Infrastruktur selbst in den Tropen zu beeinträchtigen. Der Telegrafenverkehr auf dem Unterseekabel im Indischen Ozean zwischen Bombay (Mumbai) und Aden war stundenlang unterbrochen. Ähnliche Störungen wurden von der Landverbindung zwischen Kairo und Khartum gemeldet.

Polarlicht Sonnensturm
Weltkarte mit all jenen Orten, wo im Februar 1872 Polarlichter dokumentiert wurden.
Hayakawa et al. 2023

Für ihre neue Studie nutzte die Gruppe um Hayakawa historische Aufzeichnungen und moderne Techniken, um den damaligen Sonnensturm von seinem solaren Ursprung bis zu seinen terrestrischen Auswirkungen zu untersuchen. Für den solaren Ursprung griff die Gruppe auf weitgehend vergessene Sonnenfleckenaufzeichnungen aus historischen Archiven zurück, insbesondere auf belgische und italienische Dokumentationen.

Was die Auswirkungen auf die Erde betrifft, so nutzten sie geomagnetische Feldmessungen, die an so unterschiedlichen Orten wie Bombay (Mumbai), Tiflis und Greenwich aufgezeichnet wurden, um die zeitliche Entwicklung und die Intensität des Sturms zu bewerten. Sie untersuchten auch Hunderte von Berichten über visuelle Polarlichter in verschiedenen Sprachen, die durch den Sturm verursacht wurden.

Mehr als 700 Aufzeichnungen

Einer der interessantesten Aspekte des Sturms von 1872 war, dass er wahrscheinlich in einer nur mittelgroßen, aber komplexen Sonnenfleckengruppe in der Nähe des Zentrums der Sonnenscheibe entstand, was durch Analysen von Sonnenaufzeichnungen aus Belgien und Italien bestätigt wurde. Diese Ergebnisse legen nahe, dass selbst eine mittelgroße Sonnenfleckengruppe einen extremen Magnetsturm auslösen kann. Insgesamt identifizierte das Team mehr als 700 Polarlichtaufzeichnungen, die zeigen, dass der Nachthimmel von den Polarregionen bis zu den Tropen (bis zu etwa 20 Grad geografischer Breite in beiden Hemisphären) von prächtigen Polarlichtern erhellt wurde.

"Solche Extremereignisse sind selten", resümiert Hayakawa. "Einerseits können wir uns glücklich schätzen, dass wir in der heutigen Zeit von solchen Superstürmen verschont geblieben sind. Andererseits zeigt das Auftreten von drei solcher Superstürme innerhalb von sechs Jahrzehnten, dass die Bedrohung für die moderne Gesellschaft real ist. Daher ist die Bewahrung und Analyse historischer Aufzeichnungen wichtig, um die Auswirkungen solcher Ereignisse zu bewerten, zu verstehen und abzumildern."

Die jüngsten Polarlichter von Anfang November waren vermutlich nur das Vorspiel für sehr viel stärkere Sonnenstürme, die ursprünglich für 2025 erwartet werden. Denn derzeit nähert sich die Sonne dem Maximum des 25. Sonnenzyklus. Laut einer ganz neuen Untersuchung in den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society: Letters" dürften wir das Maximum allerdings schon 2024 erreichen. Und wir dürften Glück haben, dass diese Zyklus eher schwach bis moderat ausfallen wird.

Bleibt zu hoffen, dass ein geomagnetischer Supersturm wie 1859, 1872 oder 1921 in den nächsten zwei Jahren tatsächlich nicht dabei sein wird. (Klaus Taschwer, 1.12.2023)