Richard Wall
In vielen Genres und Kunstformen tätig: Richard Wall
Richard Wall

Der oberösterreichische Schriftsteller und Künstler Richard Wall, der am 7. Dezember seinen 70. Geburtstag feiert, hat seit den 1980er-Jahren ein literarisches und bildnerisches Werk geschaffen, das sich vom Beobachten und Gehen herleitet. Vor allem ist es die Bewegung, die einem bei Durchsicht seiner über 30 Buchpublikationen ins Auge sticht, das Unterwegssein, wie es in den Buchtiteln Gehen gegen den Wind (2012) und In Bewegung (2023) anklingt.

Gehen bedeutet für Wall denn auch eine "poetische, Körper und Geist mit der Landschaft verknüpfende Tätigkeit", weshalb ihm jeder Ort Anlass für sein engagiertes Interesse ist, sei es das südböhmische Stifter-Land oder das irische Achill Island, das griechische Samos oder Galizien. Nicht zu vergessen die Waldviertler Einschicht, in die er sich seit einigen Jahren gerne zurückzieht. Mit größter Intensität lässt Wall sich auf seine jeweilige Umgebung ein, die er entweder als Raum der Naturgewalt, der Begegnung oder der Erinnerung begreift. Und auch wenn dem Akt des Schreibens eingehende faktische Recherchen vorangehen, so sind es sinnliche Wahrnehmungen, die seine Schriften dominieren.

Sinnliches Leben

Wenn er etwa im kretischen Hochland auf den Spuren des Widerstands gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg unterwegs ist, vermittelt er durch die Beschreibung der engen Höhlen die beklemmende Stimmung, die in diesen Verstecken geherrscht haben muss. Es sind poetische Anverwandlungen konkreter Orte, die ihres raumzeitlichen Kontexts enthoben und in überzeitliche und überregionale Bedeutungszusammenhänge versetzt werden.

Wall ist ein notorischer Leser. Immer reist er mit einem Buch in der Tasche, das er sorgsam auf sein Reiseziel abstimmt und schreibend reflektiert. Auch finden sich genügend Lektürespuren in seinen Texten, die von den Klassikern der Antike über irisch-gälische Dichtung bis zur Gegenwartsdichtung reichen und auf eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache verweisen. Wunderschön sind die jüngst unter dem Titel eleftheria veröffentlichten Haikus, in denen er auf das sinnliche Erleben Griechenlands fokussiert.

Richard Wall, "In Bewegung. Annäherungen und Begegnungen". € 19,80 / 294 Seiten. Löcker-Verlag, Wien 2023

Winziges Treibgut

Rom, wo Wall sich im Rahmen mehrerer Stipendien aufhielt, erarbeitet er sich auf langen Spaziergängen und vermerkt dabei die berühmten Bauwerke ebenso wie das winzige Treibgut auf den alten Pflastersteinen und die Menschen, die ihm begegnen. Parallel dazu erkundet er die Stadt durch einschlägige Lektüre, die er zitiert und mit eigenen Eindrücken überschreibt. Rom. Ein Palimpsest (2006) heißt das Ergebnis dieser Aufenthalte, Walls einziger Roman, der ein überaus lesenswertes Kompendium aus Beschreibungen, Gedichten, Lektüren und Bildmaterial darstellt.

Als studierter Maler, dessen Werke in etlichen Ausstellungen zu sehen waren, ist Wall darauf bedacht, sein literarisches Œuvre mit Bildmaterial aus eigener oder fremder Hand (etwa Andreas Ortag, Martin Anibas) zu versehen und es bibliophil zu gestalten. Auch an der Visualität seiner Literatur, den Beschreibungen von Farbnuancen, Formen und Lichteinfällen erkennt man den bildnerischen Künstler. Sehr eindrücklich ist dies in den Gedichtbänden Schwellenlicht. Schattenbahn (1995) und Unter Orions Lidern (2009) nachzulesen.

Soziales Abseits

In Vor- und Nachworten, Prologen oder "Proemen" erklärt der Dichter Konzept und Sinnzusammenhang des jeweiligen Buchprojekts. In diesen poetologischen Passagen werden Einblicke in die Schreibwerkstatt geboten, die zum tieferen Verständnis seiner Texte führen. Auch sein "pandämonisches Diarium" Das Jahr der Ratte (2021) zeigt, wie das Erleben des Alltags, Lektüre und Kunstbetrachtung nahtlos in einen schöpferischen Akt übergehen.

Aus dem sozialen und topografischen Abseits, das Wall als "formidable Beobachterposition" gewählt hat, erkennt er manche Zusammenhänge gesellschaftspolitischer Verstrickungen klarer als aus der Nähe. Seine Kritik an Raumplanung, Umweltverschmutzung oder dem fehlenden Spürbewusstsein der Menschen findet sich sowohl in Essays als auch in Gedichten, wie etwa in Wir, die Geduldeten (2005), in dem es heißt: "Die Zuständ / dulden kein / Gesundbeten."

Nicht auf sich selbst, die eigene Person, das eigene Tun und Trachten, fokussiert zu sein, sondern auf die Verbundheit mit den anderen Lebewesen – das ist mit das Geheimnis eines gelungenen Lebens. Dieser Gedanke weht einen an, wenn man vor Richard Wall steht und in seine lebhaft funkelnden Augen blickt. In dem Gedicht Oder hol die Bussole rät der Dichter allerdings zur Innenschau: "Am besten, du schließt die Augen / Und verlässt dich auf die Wahrnehmung der Poren / Und der gekrümmten Haare auf deiner Haut."(Alexandra Millner, 5.12.2023)