Souls of a River Chris Krikellis
Krikellis findet poetische Bilder für die Seelen der Ertrunkenen.
Plaesion Film

Es ist gar nicht einfach, poetische Bilder für humanitäre Krisen und politisches Versagen zu finden. Es ist vielleicht auch gar nicht notwendig. Wenn es aber aufgeht, dann ist das Ergebnis umso ausdrucksstärker. Dem deutsch-griechischen Filmemacher Chris Krikellis ist es mit seinem auf der Diagonale 2023 mehrfach ausgezeichneten österreichischen Dokumentarfilm geglückt: Souls of a River ist ein Kinopoem, das die persönliche Migrationsgeschichte des Regisseurs mit den Schicksalen jener zu verknüpfen weiß, die versuchen, den Grenzfluss Evros zwischen der Türkei und Griechenland zu überqueren.

Souls of a River - Trailer
TOI ET MOI

Konkret und bedrückend greifbar wird die kritische Situation an dieser EU-Außengrenze, wenn Krikellis einen Pathologen in Alexandroupoli besucht und ihn zu seinem Beruf befragt. In den zwanzig Jahren, in denen er der Arbeit des Thanatologen nachgehe, erzählt jener, habe er über 500 Leichen aus dem Grenzfluss Evros geborgen. Großteils konnten sie nicht identifiziert werden. In einer Datenbank zeigt er dem Filmemacher die Utensilien, die manche der Verstorbenen mit sich trugen: einen Ring, eine christliche Ikone, eine muslimische Gebetshaube.

Souls of a River Chris Krikellis
Der Filmemacher (links) im Gespräch mit dem Kriminalpathologen, der die Leichen vom griechischen Ufer des Grenzflusses birgt.
Plaesion Film

Und er erzählt von den Bürden seines Berufs: davon, die Angehörigen ausfindig zu machen, die – weil sie meist keine EU-Bürger sind – nur unter erschwerten Bedingungen anreisen können, um ihre Verstorbenen abzuholen. Von der nicht existenten Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden, in deren Zuständigkeit die Todesfälle auf dem östlichen Flussufer fallen. Und vom Eindruck, dass die Konflikte mit dem Nachbarland nie ganz bereinigt wurden und sich Europa ebenso wenig dafür interessiert wie für die strukturschwache Region in Nordostgriechenland, in die Krikellis mit dem Mediziner reist.

Fragen nach Zugehörigkeit

Krikellis’ filmische Spurensuche fängt aber noch andere Bilder ein. Die Vogelschwärme über dem Evros sowie die verlassene und berückende, karge Landschaft Nordostgriechenlands. Ebendort hat sein eigener Vater dessen Militärdienst abgeleistet, als Griechenland unter der Militärdiktatur und türkischen Angriffen auf Zypern zu leiden hatte. Neun Monate später kam Krikellis in München zur Welt, nun lebt er in Wien. Und ebendas ist letztlich auch Thema seines Dokupoems: die äußerst zeitgemäße Frage nach Heimat und Zugehörigkeit, nach legaler und illegaler Einwanderung. (Valerie Dirk, 3.12.2023)